Paulus – Galaterbrief

Petrus_Paulus_Gal

Ich erkläre euch, Brüder: Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen. (Gal 1,10-12)

Das Missionswerk des Paulus in Galatien ist in seinem Kern bedroht durch Prediger, die von den heidnischen Galatern die Beschneidung und damit auch die Einhaltung der jüdischen Reinheitsvorschriften fordern. Paulus sieht sich als Apostel der Heiden, der die Kirche Christi unter den Heiden aufbaut, die zwar auf dem Fundament des Alten Bundes steht, aber nicht mehr an den alten Riten festhält. Das Christentum ist keine jüdische Sekte, sondern eine neue Religion.

Die Gegner des Paulus berufen sich darauf, nach der Lehre der Apostel zu handeln. Für sie ist Paulus kein richtiger Apostel, da er erst nach der Auferstehung Jesu zum Glauben gekommen ist. Daher erkennen sie seine Lehre nicht an. Sicher konnten sie auch viele andere mit ihren Argumenten überzeugen, denn auf den ersten Blick betrachtet sind die Apostel, die Jesus selbst berufen hat und die mit Jesus beisammen waren, bedeutender als Paulus, der Jesus nicht wirklich erlebt hat.

Daher ist es Paulus so wichtig zu betonen, dass er Jesus Christus gesehen hat. Der Auferstandene ist auch ihm erschienen und hat ihm den Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden anvertraut. Wie die anderen Apostel von Jesus zu seinen Lebzeiten gelernt haben, so hat Paulus von ihm durch eine Offenbarung gelernt. Paulus hat es daher nicht nötig, erst bei den anderen Aposteln in die Lehre zu gehen. Bevor er dies näher ausführt, zeigt er, wie die Offenbarung Christi sein eigenes Leben grundlegend verändert hat.

Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein. (Gal 1,13-14)

Paulus war vor seiner Bekehrung ein gesetzestreuer Jude, der in seiner Befolgung des jüdischen Gesetzes vorbildlich war und in seinem Eifer die meisten seiner Zeitgenossen übertraf. In diesem Eifer wollte er auch das Christentum, in dem er zunächst eine jüdische Sekte sah, die den Glauben der Väter verfälschte, im Keim ersticken. Alle Welt hat seiner Meinung nach davon gehört. Bis ins ferne Galatien ist der Ruf von ihm gedrungen. Dann aber ist etwas geschehen, das sein Leben und auch seine Überzeugungen grundlegend geändert hat. Er erkannte, dass dieser Christus, dessen Anhänger er verfolgte, wirklich der Sohn des Vaters war, des Gottes, für den er so eifernd kämpfte und dass Gott der Welt durch ihn eine neue Offenbarung geschenkt hat.

Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate; ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. (Gal 1,15-17)

Paulus weiß sich von Gott berufen, und das schon von Mutterleib an. Er stellt sich damit auf eine Stufe mit den Propheten und großen Gestalten des Alten Bundes. Oft gibt es über diese einen Bericht davon, dass schon bei ihrer Empfängnis und Geburt durch besondere Zeichen deren Erwählung deutlich wurde. So hören wir es ja auch im Lukasevangelium von Johannes dem Täufer. Oft sind es stilisierte Erzählungen, die einem gewissen Schema folgen, und somit zwar erbaulich sind, uns aber historisch als wertlos erscheinen. Von Paulus gibt es keinen Kindheitsbericht in der Heiligen Schrift. Wir lernen ihn nur als erwachsenen Mann kennen. Und doch gilt auch für ihn, dass seine Erwählung durch Gott bereits im Mutterschoß erfolgt ist.

Weil Paulus seine Offenbarung direkt von Gott erhalten hat, braucht er nicht erst zu Menschen in die Lehre zu gehen, bevor er selbst lehrt, auch nicht zu den Aposteln in Jerusalem. Die Offenbarung Gottes hat ihn in den gleichen Stand versetzt wie diese. Es ist daher nicht ein Zeichen von Überheblichkeit, dass er nicht zu den Aposteln geht, sondern Gottes Wille. Wenn er sich erst die Unterweisung und den Auftrag der Apostel für seine Verkündigung einholen müsste, würde er Gottes Auftrag nicht treu erfüllen.

Drei Jahre später ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennen zu lernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Von den anderen Aposteln habe ich keinen gesehen, nur Jakobus, den Bruder des Herrn. (Gal 1,18-19)

Schließlich ist Paulus doch nach Jerusalem gegangen, aber erst nach drei Jahren, nachdem er in Arabien das Evangelium verkündet hat. Von dieser Missionstätigkeit des Paulus erfahren wir leider nichts Weiteres und auch in seinen Briefen geht es nicht mehr darauf ein. Seine Reise nach Jerusalem hatte allein den Zweck, Petrus den Fels (Kephas) kennenzulernen. Nicht, um von ihm zu lernen oder sich von ihm die oberhirtliche Bestätigung für seine Missionstätigkeit einzuholen, sondern allein aus Respekt und Freundschaft dem Petrus gegenüber ist Paulus nach Jerusalem gegangen. Er hat sonst keinen anderen der Apostel kennengelernt, außer Jakobus, den Bruder des Herrn, der damals wohl die Leitung der Jerusalemer Gemeinde innehatte.

Wir dürfen also aus dieser Stelle keinen Konflikt zwischen Paulus und Petrus herauslesen. Wenn auch in Gal 2,11 und anderen Stellen der Heiligen Schrift von einer Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus die Rede ist, so handelt es sich dabei nur um die Klärung strittiger Punkte und nicht um eine grundsätzliche Differenz oder gar Feindschaft. Petrus war mit seinem Verhalten und seiner Lehre noch tiefer im Judentum verwurzelt als Paulus. Dem Fischer vom See Gennesaret ist es schwerer gefallen, seine von Kindheit an gelernte religiöse Praxis aufzugeben als dem gebildeten und weitgereisten Paulus.

Weil Petrus seine Verwurzelung im Judentum deutlich machte, konnten sich die Gegner des Paulus, die von den Heiden die Übernahme eben jener Bräuche forderten, auf ihn, den ersten der Apostel, berufen. Daher muss Paulus so deutlich machen, dass er selbst Petrus in nichts nachsteht und mit ihm in gegenseitigem Einvernehmen, ja sogar Freundschaft verbunden ist. Es ist ja auch tatsächlich so, dass sich die Apostel darauf geeinigt haben, von den Heidenchristen weder die Beschneidung noch die Einhaltung der jüdischen Reinheitsvorschriften einzufordern.

Vielleicht können wir hier Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus als Vergleich nehmen. Für Papst Benedikt XVI. sind die traditionellen Riten der katholischen Kirche besonders wichtig. Unter seinem Pontifikat kam es zu einer Stärkung traditioneller Gottesdienstformen. Papst Franziskus setzt andere Akzente. Und doch stehen beide fest auf dem Fundament des katholischen Glaubens. Jeder der beiden hat verschiedene Gruppen, die ihn besonders verehren, aber doch genießen beide als Papst das gleiche Ansehen. Ähnlich mag es auch mit Petrus und Paulus gewesen sein. Während Petrus mehr die Judenchristen angesprochen hat, war diesen Paulus stets verdächtig. Und doch sind beide von Christus berufen und stehen fest im Glauben an den Herrn. Die Kirche hat dies in ihrer Tradition auch immer betont, da sie die beiden Apostel am gleichen Tag (29.6.) gemeinsam feiert.

Was ich euch hier schreibe – Gott weiß, dass ich nicht lüge. Danach ging ich in das Gebiet von Syrien und Zilizien. Den Gemeinden Christi in Judäa aber blieb ich persönlich unbekannt, sie hörten nur: Er, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er früher vernichten wollte. Und sie lobten Gott um meinetwillen. (Gal 1,20-24)

Nach seinem Besuch in Jerusalem zieht Paulus weiter und missioniert in Syrien und Zilizien. Mit den Gemeinden in Judäa hatte er aber nichts zu tun. Diese gehörten zum Missionsfeld des Petrus und der anderen Apostel. Hier mischt sich Paulus nicht ein. Doch sein Ruf als Missionar dringt bis zu ihnen und sie freuen sich darüber, dass durch ihn Jesus Christus in der Welt bekannt gemacht wird. Dafür loben und danken sie Gott.