Wenn ihr fastet … (Mt 6)

Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler! Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber, wenn du fastest, salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. (Mt 6,16-18)

In der Bergpredigt stellt Jesus die Zehn Gebote auf den Kopf. Diese beginnen ja bekanntlich mit der Bekräftigung, dass Gott, der Retter Israels, der einzige Gott für Israel ist, und dass es die Pflicht des Volkes ist, diese Einzigartigkeit Gottes zu bewahren. Erst danach folgen die Weisungen für den Umgang der Menschen miteinander. Jesus aber beginnt beim Menschen. Er preist die Armen und Unterdrückten selig. Dann zeigt er auf, wie die Menschen miteinander leben sollen, nicht so, dass jeder auf sein Recht pocht, sondern in Gerechtigkeit und Liebe, einer Liebe, die auch im Inneren des Herzens keinen Hass und keine Verachtung anderer zulässt, nicht einmal des schlimmsten Feindes.
Erst dann zeigt Jesus, wie aus diesem Leben gemäß der Liebe auch eine ganz neue Gottesbeziehung erwächst. Erst wenn der Mensch in der alltäglichen Einübung der Liebe seinen Mitmenschen gegenüber Fortschritte macht, kann er etwas von Gott verstehen, der selbst die Liebe ist. So wird der Mensch immer mehr Gott ähnlich und kann so in eine ganz neue Beziehung mit ihm eintreten.
Eine besondere Ausdrucksform der Beziehung des Menschen zu Gott ist das Gebet. Wir können mit Gott kommunizieren, auch wenn wir ihn nicht sehen und seine Stimme nicht hören. Im Gebet findet der Mensch einen ganz besonderen Draht zu Gott, der sich von den alltäglichen Kommunikationsformen unterscheidet. Daher ist Gebet mehr als das Aufsagen von abgelesenen oder auswendig gelernten Formeln. Ein solches Gebet bleibt im Äußerlichen verhaftet. Formeln und Rituale können aber eine Hilfe sein, um zum Zentrum des Betens zu gelangen.

Genauso wie das Beten, sollen auch andere religiöse Ausdrucksformen, insbesondere das Fasten, nicht bei Äußerlichkeiten stehen bleiben. Im Fasten verzichtet der Mensch freiwillig auf gewisse Annehmlichkeiten des Lebens, auf üppige Nahrung, Alkohol, Konsum, Unterhaltung. In unserer Wohlstandsgesellschaft heute gibt es so viele Dinge, auf die wir verzichten können. Verzicht schmerzt auch immer etwas, er fordert eine Willensanstrengung. Aber genau dadurch werden wir reifer. Der Verzicht lässt einen Freiraum entstehen, den Gott füllen kann.
Heute wird vor allem die gesundheitliche Form des Fastens betont. Nachdem die Kirche die Fastenregeln weitgehend abgeschafft hat, entdecken andere das Fasten neu. Es gibt unzählige Ratgeber für die verschiedensten Formen des Fastens. Manche zahlen Unsummen von Geld für professionelle Fastenkuren. Dabei kann Fasten so einfach sein, wenn wir uns einen konkreten Vorsatz nehmen, für welche Zeit wir auf was genau verzichten wollen. Dann brauchen wir nur noch die nötige Willensstärke, das auch durchzuhalten.
Die Kirche will uns mit den 40 Tagen der Österlichen Bußzeit eine Hilfe geben. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie er diese Zeit nutzt. Wer Anfänger im Fasten ist, sollte sich nicht zu viel vornehmen, um nicht doch bald enttäuscht aufgeben zu müssen. Es kommt auch auf die Lebensumstände an und auf das konkrete Konsumverhalten des Einzelnen. Wer sich viele Annehmlichkeiten gönnt, findet sicher leicht etwas Überflüssiges, auf das er verzichten kann. Wer aber eh schon relativ enthaltsam lebt, muss sich schon etwas mehr Gedanken darüber machen, worauf er noch verzichten kann.
Allen modernen Fastenratgebern gemeinsam ist der Hinweis darauf, dass Fasten dem Einzelnen gut tut. Vielleicht ist das auch eine Hilfe dafür, das religiöse Fasten neu zu beleben. Es ist keine lästige Pflicht, nichts, das von oben verordnet wird, um die Menschen zu drangsalieren, sondern eine Hilfe, das eigene Leben bewusster und gesünder zu gestalten. Das Fasten tut dem Menschen gut. Es macht aber noch mehr als das. Durch den Verzicht entsteht Raum für Neues und dies kann auch eine ganz neue Gottesbegegnung sein.
Wenn wir all diese positiven Aspekte des Fastens betrachten, so erkennen wir, dass Fasten nichts damit zu tun hat, trübselig und ungewaschen auf der Straße herumzulaufen. Fasten ist kein Jammern über den Verzicht, sondern die Freude darüber, dass wir es schaffen können, uns von unnötigen Bindungen und Zwängen zu befreien. Fasten macht glücklich. Das ist für uns die rechte Motivation, heute damit zu beginnen.

Erfüllung des Gesetzes (Mt 5)

Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. (Mt 5,17)

In der Bergpredigt zeigt uns Matthäus Jesus als den neuen Mose. Wie Mose dem Volk Israel das Gesetz Gottes vermittelt hat, so bringt Gott in Jesus Christus nun allen Menschen sein neues Gesetz. Es ist aber nicht neu, sondern geht aus dem Gesetz des Alten Bundes hervor. Die Gebote, die Gott dem Volk Israel gegeben hat, sind nicht schlecht und Gott hat es sich auch nicht anders überlegt. Vielmehr haben die Menschen Gottes ursprüngliches Gesetz falsch verstanden. Gottes Gebote sind zeitlos, müssen aber immer wieder neu an die sich wandelnden gesellschaftlichen Umstände angepasst werden.

Verhaltensformen, die für ein Nomadenvolk hilfreich waren, passen nicht in die Welt des Römischen Reiches zur Zeit Jesu, genauso wie Verhaltensformen, die sich in einer überwiegend agrarischen Gesellschaft herausgebildet haben, nicht in eine moderne globale Gesellschaft eines fortschrittlichen Industriestaates passen. Das heißt aber nicht, dass die Weisungen aus alter Zeit im falsch sind. Es geht darum, ihren eigentlichen Kern zu entdecken und diesen in die neue Zeit zu übersetzen. Wir müssen zu jeder Zeit neu entdecken, wie wir am besten als Menschen zusammenleben können. Die Welt ist im Wandel. Gewohnte Strukturen lösen sich auf. Jede Generation hat hier neu ihre Wege zu suchen, aber sie braucht die menschlichen Umgangsformen nicht komplett neu zu erfinden. Das Neue geht aus dem Alten hervor und baut auf ihm auf.

So will auch Jesus kein neues Gesetz geben, sondern er will das bestehende Gesetz neu auslegen. Wir können in den Worten Jesu eine Steigerung erkennen. Er stellt die Zehn Gebote regelrecht auf den Kopf. Die Zehn Gebote beginnen mit den Weisungen, wie der Mensch sich Gott gegenüber verhalten soll, und enden mit den Weisungen für das menschliche Zusammenleben. Jesus aber fängt hier mit dem menschlichen Zusammenleben an und kommt dann zu einer neuen Art und Weise der Begegnung mit Gott. Dabei fängt er im mitmenschlichen Bereich mit einer Weisung an, über die allgemeiner Konsens besteht, dass Menschen einander nicht töten sollen. Aber damit ist es nicht genug. Mitmenschlichkeit geht tiefer, sie geht soweit, alle Menschen zu lieben, ja sogar so weit, selbst unsere Feinde zu lieben.

Wenn der Mensch zu einem so tiefen liebevollen Miteinander bereit ist, dann erst ist er bereit für eine ganz neue Begegnung mit Gott, einer Begegnung, die sich nicht auf Äußerlichkeiten wie bestimmte Kulthandlungen oder das Aufsagen bestimmter Gebete beschränkt, sondern die zu einer lebendigen Beziehung zwischen Gott und Mensch führt. Für einen solchen Menschen ist Gott nicht ein höheres Wesen oder eine höhere Macht, sondern Gott ist für ihn ein Vater, dem der Mensch ganz vertrauen kann und der Sorge trägt um das Leben jedes einzelnen.

Diese Nähe Gottes zu den Menschen war auch im Alten Bund nicht fremd. Wir kennen den wunderschönen Psalm 23, der Gott als Hirten zeigt. Viele Worte der Propheten sprechen von der Liebe Gottes zu seinem Volk und zu jedem einzelnen Menschen. Aber sie ging etwas verloren, indem die Menschen sich mehr darauf konzentriert haben, jedes einzelne kleine Gebot zu erfüllen, anstatt Gott als liebenden Vater zu sehen. Auch im Christentum ist diese Entwicklung zu erkennen. Es ging hauptsächlich darum, die Gebote zu halten, Verfehlungen zu beichten und andächtig die Hl. Messe zu besuchen. Aber die Nähe und Liebe Gottes konnten dabei nur wenige erfahren. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich heute so viele von der Kirche abwenden, weil sie es verpasst hat, die Weisung Gottes rechtzeitig für eine neue Zeit zu übersetzen.

Jeder Mensch ist dazu aufgerufen, der Weisung Jesu auch heute zu folgen, von einem ausdruckslosen Nebeneinander von Menschen, das sich allein an die wichtigsten Regeln des Zusammenlebens hält, zu einem liebevollen Miteinander, das über ein gegenseitiges Annehmen und Verzeihen bis hin zu einer tiefen Liebe selbst zu den Feinden führt. Dann können wir auch Gott neu begegnen und erfahren seine Liebe, mit der er uns stets umsorgt und unser Leben trägt. Warten wir nicht, bis andere den ersten Schritt tun. Gott steht bereit, jeden einzelnen mit seinen liebevollen Armen zu umfangen.

Umkehr

Umkehr.

Ich laufe. Immer geradeaus. Vielleicht auch im Kreis. Mir passieren immer wieder die gleichen Fehler, ich tappe immer wieder in dieselben Fettnäpfchen. Was habe ich schon alles versucht. Es hat sich nichts geändert.

Umkehr.

Wohin? Gibt es einen Weg zurück aus Scheitern, Hass und Verletzung? Gibt es einen Weg, der Wunden heilt und Unrecht verzeiht? Gibt es einen Weg heraus aus der Abhängigkeit, in die ich mich verstrickt habe?

Umkehr.

Es gibt immer einen Ausweg. Umkehr ist immer möglich. Gott reicht uns die Hand und hebt uns über die Mauer am Ende unserer Sackgasse, über die Gräben, die sich zwischen Menschen aufgetan haben.

Umkehr.

Hoffnung und Herausforderung. Umkehr ist kein billiges “das passt dann schon wieder”. Umkehr ist radikal. Ich muss dazu bereit sein, einen neuen Schritt zu tun – an Gottes Hand. Einen Schritt ins Ungewisse, aber gehalten von der Zuversicht, dass Gott mir stets mehr geben wird, als ich mir zu wünschen wage.

Die Notwendigkeit zur Umkehr besteht,
nicht weil der Tag X vor der Tür steht,
nicht wegen der Angst,
am Ende zu den Verlorenen zu gehören,
sondern aus Freude am Reich Gottes.

Das Reich Gottes ist schon da,
wir wollen teilhaben ihm,
an der Freude, die Christus schenkt,
wir wollen dazugehören zu einer Welt,
in der es Heil und Rettung gibt.

Epiphanie / Dreikönig

Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir. (Jes 60,1)

In einer freudigen Lichtvision spricht hier der Prophet von Jerusalem und sieht die Stadt in herrlichem Glanz erstrahlen, der von Gottes Herrlichkeit kommt. Mit Tritojesaja, aus dem diese Verse stammen, befinden wir uns in der Zeit nach dem Exil. Die Juden sind aus Babylon wieder zurückgekehrt in ihr Land und sind dabei, die Stadt Jerusalem und den Tempel neu aufzubauen. Sie sehen eine neue Heilszeit angebrochen, in der Jerusalem in neuem Glanz erstrahlt.

Im Exil in Babylon hat man viel darüber nachgedacht, was der Plan Gottes mit seinem Volk ist. Die Juden wurden mit der Religion des Zweistromlandes konfrontiert und haben vor allem auch in Abgrenzung zu diesen fremden Einflüssen ihren eigenen Glauben neu reflektiert. Nach dem Schock über den Verlust des verheißenen Landes musste man vor allem auch neu darüber nachdenken, was die Erwählung durch Gott bedeutet. Nicht mehr das Land, nicht mehr der Tempel sind Zeichen der Erwählung, sondern das Gesetz das Gott durch Mose und die Propheten dem Volk gegeben hat.

Im neuen Bewusstsein der Erwählung, dem Ziel, das Gesetz treu zu befolgen und der Arbeit am Wiederaufbau Jerusalems sah man das neue Heil Wirklichkeit werden, das Gott seinem Volk schenken will. Das neue Jerusalem mit einem gesetzestreuen Volk sollte von nun an unter den Völkern ein Zeichen für Gottes Herrlichkeit sein. Doch der Euphorie wich bald die Einsicht, dass auch die neue Zeit ihre eigenen Probleme mit sich bringt und so richtete sich die Vision vom Heil bald wieder auf die Zukunft.

Ein Licht über Gottes heiliger Stadt und ihrem Volk, diese Vision wird in der Geburt des Sohnes Gottes Wirklichkeit. Gott zeigt die Menschwerdung seines Sohnes durch ein lichtvolles Zeichen an, durch eine Himmelserscheinung. Dies entdecken sternkundige Magier im Morgenland und machen sich auf, um den zu suchen, den dieses Zeichen angekündigt hat. Ist die Reise der Magiern oder Heiligen Drei Könige, wie man sie seit dem Mittelalter nennt, nur eine schön ausgedachte Geschichte des Matthäus (Mt 2,1-12) oder liegt ihr eine historische Tatsache zugrunde?

Die Sternbeobachtung hatte im Alten Orient eine lange Tradition und es gab in den dortigen Hochkulturen sternkundige Priester, die vor allem für die Bestimmung der Festzeiten zuständig waren, aber es auch verstanden, besondere Himmelserscheinungen zu deuten. Ob eine solche zur Zeit der Geburt Jesu vorlag und wie diese konkret aussah, damit beschäftigen sich Astrologen von der Antike bis heute. Es kommt dafür vor allem ein Komet, eine Supernova oder eine besondere Konjunktion von Planeten in Frage.
Moderne astronomische Berechnungen ergeben, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass Sternkundige in der damaligen Zeit ein besonderes Ereignis beobachtet haben. Trotz vieler Versuche konnte aber nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, welches Ereignis das genau war und ob es auch wirklich auf die Umgebung von Jerusalem hingewiesen hat. Wir müssen also sagen, dass der Stern von Betlehem wissenschaftlich weder genau belegbar, aber auch nicht unmöglich ist.

Gott lässt über seinem Volk ein Licht aufgehen, das die Völker herbeiruft. Das Zeichen deutet auf die Geburt eines neuen Königs aus dem Haus David hin. Die Sterndeuter aus dem Morgenland sind die ersten, die dieses Licht sehen und sich auf den Weg machen. Sie finden ein Kind, Gottes Sohn, dem sie huldigen. Mit den Magiern aus dem Orient beginnt die Wallfahrt der Völker zu Gottes heiligem Volk. Das Ziel dieser Wallfahrt aber ist nicht mehr Jerusalem mit dem Tempel, oder das Volk, das nach dem Gesetz Gottes lebt, sondern der Sohn Gottes. Alle Heiden werden durch ihn gerufen, zu Gottes neuem Volk zu werden, das im Licht Gottes wandelt.

Das will uns Matthäus mit seinem Bericht über die Magier aus dem Osten sagen. Jesus Christus ist das verheißene Licht, in dem Gottes Herrlichkeit über seinem Volk aufgeht. Und so lautet der Name des Festtags bis heute, Epiphanie, Erscheinung des Herrn. Die Herrlichkeit des Sohnes Gottes wird zum ersten Mal sichtbar durch den Stern, dem die Magier gefolgt sind. Sie zeigt sich dann zum ersten Mal dem Volk Gottes bei der Taufe Jesu im Jordan und sie zeigt sich den Glaubenden bei Jesu Wunder bei der Hochzeit zu Kana, von dem es heißt, dass Jesus dadurch seine “Herrlichkeit offenbarte” (Joh 2,11).
Gottes Licht ist aufgestrahlt in Jesus Christus. Stehen auch wir auf und gehen wir hin zu diesem Licht, lassen wir uns von ihm erleuchten und so selbst licht und hell werden und strahlen in diese Welt!

Allherrschender Gott,
durch den Stern, dem die Weisen gefolgt sind,
hast du am heutigen Tag
den Heidenvölkern deinen Sohn geoffenbart.
Auch wir haben dich schon im Glauben erkannt.
Führe uns vom Glauben
zur unverhüllten Anschauung deiner Herrlichkeit.
(Tagesgebet am Hochfest Epiphanie)

Talente (Mt 25)

In dem Gleichnis, das Jesus seinen Jüngern erzählt, geht es nicht um Gewinnmaximierung und Erfolg im wirtschaftlichen Sinn. In seinen Gleichnissen gebraucht Jesus immer ein Bild aus der materiellen Welt, das den Menschen vertraut ist, um eine tiefergehende Wirklichkeit, die unseren Augen verborgen ist, auszudrücken.

Ein Talent war für die Menschen damals der Inbegriff einer riesigen Geldsumme. Keiner der Menschen, zu denen Jesus sprach, hatte wohl jemals so viel Geld gesehen und selbst die Reichen, denen Jesus begegnet ist, gehörten nicht zu den Superreichen, die ein so großes Vermögen hatten. Jeder seiner Zuhörer verstand sofort, dass das, was der Mann im Evangelium seinen Dienern anvertraute, alles übertraf, was sie sich vorstellen konnten.

Jesus will damit zeigen, wie sehr Gott jedem einzelnen Menschen vertraut und wie reich er jeden einzelnen beschenkt. Auch wenn es Unterschiede gibt und manche mehr bekommen als andere, so hat doch jeder sehr viel bekommen. Der Herr traut jedem seiner Diener etwas zu, so traut auch Gott jedem Menschen zu, aus dem, was er hat, etwas zu machen.

Wir sollen das, was wir bekommen haben, einsetzen zur Freude des Herrn. Gott freut sich über unseren Mut und Einfallsreichtum, auch wenn diese nicht immer von Erfolg gekennzeichnet sind. Gott will, dass wir mutig ins Leben gehen und uns an der Stelle, an der wir stehen, zu seiner Ehre und zum Wohl der Menschen einbringen. Das ist unsere Berufung. Das können ganz kleine und unscheinbare Dinge sein. Wir brauchen keine großen Prediger oder Wunderheiler zu werden. Es genügt schon, wenn sich Menschen in unserer Nähe wohl fühlen, weil wir freundlich und hilfsbereit sind.

Wer sich aber ängstlich versteckt und noch dazu sagt, dass er aus Angst vor Gottes Strafe nichts gewagt hat, der hat Gott nicht verstanden. Er zweifelt an Gott und seiner Güte und lehnt Gottes Geschenk ab. Solche Menschen will Jesus mit diesem Gleichnis wachrütteln. Sie sollen die Augen aufmachen und erkennen, wie sehr Gott auch sie beschenkt hat. Jesus will ihnen Mut machen, auch etwas zu wagen, nicht aus Furcht vor der Strafe, sondern weil sie erfahren haben, dass Gott jeden Menschen unfassbar liebt und immer, wirklich immer einen Weg öffnen kann zu einem befreiten und glücklichen Leben.

Zehn Jungfrauen (Mt 25)

Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. (Mt 25,1)

 

Jesus erzählt in einem Gleichnis von zehn Jungfrauen. Ihnen kam es zu, die Hochzeits-Prozession mit ihren Lichtern zu begleiten, eine ehrenvolle Aufgabe, auf die diese jungen Frauen sicher stolz gewesen sind. Doch die einen gehen anders an die Sache heran als die anderen. Normalerweise fand diese Prozession wohl am späten Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, statt. Hier dauert es länger als erwartet, bis der Bräutigam erscheint. Die einen denken sich, es wird schon werden und machen sich keine großen Gedanken um das, was da kommen mag. Ein fataler Fehler. Die anderen haben bereits eine mögliche Verzögerung eingeplant und noch etwas Öl als Reserve mitgenommen. Diese Vorsichtsmaßnahme zahlt sich am Ende aus. Während den einen im entscheidenden Augenblick die Lampen ausgehen, haben die anderen noch genügend Öl, um dem Bräutigam zu leuchten.

Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. (Mt 25,2-8)

Bis zu diesem Zeitpunkt kann man noch keinen Unterschied zwischen den Jungfrauen feststellen. Alle zehn warten auf den Bräutigam, werden dabei müde und schlafen ein. Als der Bräutigam dann kommt, stehen alle auf und machen ihre Lampen zurecht. Erst jetzt bemerken die unklugen Jungfrauen, dass sie zu wenig Öl dabei haben. Sie wollen von den klugen welches abhaben, doch diese geben ihnen nichts.

Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. (Mt 25,8-9)

Kann man die klugen Jungfrauen als hartherzig bezeichnen? Jesus will doch, dass wir einander lieben und miteinander teilen. Wenn sie das Öl geteilt hätten, dann hätten wenigstens alle zusammen die halbe Prozession lang mit ihren Lichtern leuchten können, der Rest der Prozession hätte dann jedoch ohne Lichter stattgefunden, weil alle Lampen auf halbem Weg ausgegangen wären.

Jesus erzählt das Gleichnis nicht, um ein Beispiel zu geben, wie man teilen oder eben nicht teilen soll. Um ein Gleichnis zu verstehen, muss man immer den Hintergrund berücksichtigen, vor dem Jesus es sagt. Hier geht es um das Bereit-Sein für das Kommen des Herrn. Jesus ist der Bräutigam und er kommt zu einer Stunde, in der niemand es erwartet. Man muss nicht ständig wach sein, um sein Kommen nicht zu verpassen. Auch die klugen Jungfrauen haben geschlafen und werden dafür nicht getadelt. Wenn der Herr kommt, werden alle merken, dass es soweit ist. Vielmehr kommt es darauf an, die nötige Vorsorge getroffen zu haben.

Vielleicht ist ein anderes Beispiel unserer Zeit näher. Manche Leute nehmen, wenn sie einen Ausflug machen, nicht allzu viel mit. Wenn der Wetterbericht schönes Wetter vorhersagt, verzichten sie auf wetterfeste Kleidung und feste Schuhe. Andere hingegen packen vorsichtshalber etwas mehr ein. Wenn das Wetter gut bleibt, haben die einen zu viel mit sich herumgeschleppt, und die anderen sind ganz glücklich mit ihrer leichten Kleidung. Wenn aber unerwartet das Wetter umschlägt, sind die einen darauf vorbereitet, die mit der leichten Kleidung aber müssen sich schnell einen warmen Ort suchen, damit sie sich nicht verkühlen.

Was aber sollen wir einpacken, um für den Tag des Herrn vorbereitet zu sein? Öl und wetterfeste Kleidung werden uns da nichts nützen. Bereits früh wurde der Vorrat an Öl gedeutet als die guten Werke.

Es kommt auf das Leben an. Jesus gibt uns in den Evangelien viele Beispiele, wie wir leben sollen. Wer glaubt, kann sich nicht vor der Not seiner Mitmenschen verschließen. Aber Jesus weist auch darauf hin, wie wir diese Hilfe geben sollen, nicht von oben herab und so, dass wir dafür von anderen gelobt werden, sondern im Stillen und von Herzen freigebig, ohne dafür einen Lohn von Menschen zu erwarten. Das erklärt auch, warum die Klugen das Öl nicht teilen können. Man kann nicht für jemand anderen etwas Gutes tun, jeder muss es stets selbst tun.

Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. (Mt 25,10-12)

Die unklugen Jungfrauen kommen zu spät mit ihren Lampen, sie werden nicht mehr zur Feier eingelassen. Ein sehr hartes Wort, das den Ernst der Lage zeigt. Die klugen Jungfrauen aber dürfen das freudige Fest mitfeiern.

O wenn man es doch mit dem Gaumen des Herzens schmecken könnte, was es Wunderbares auf sich hat, wenn es heißt: “Der Bräutigam kommt!” Was Schönes, wenn es heißt: “Sie gingen mit ihm in den Hochzeitssaal.” Was Bitteres hingegen, wenn es heißt: “Und die Tür wurde zugeschlossen.” (Gregor der Große)

Ignatius von Loyola empfiehlt in seinen Exerzitien, die Gleichnisse Jesu so auf sich wirken zu lassen, wie es Gregor der Große beschreibt. Ich versuche mich in die Lage der klugen Jungfrauen zu versetzen und mit ihnen die Freude zu spüren, an der Hochzeitsfeier teilnehmen zu dürfen. Ich versuche auch, mich in die Bitterkeit hineinzuversetzen, die die unklugen Jungfrauen empfunden haben, als man sie an der Tür zum Hochzeitssaal abgewiesen hat. So erlangt das Gleichnis für mich eine lebendige Bedeutung und diese Erfahrung wird mit helfen, mich dafür zu entscheiden, wie die klugen Jungfrauen bewusst zu leben und immer an die Mahnung Jesu zu denken:

Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Mt 25,13)

Demut (Mt 23)

Darauf wandte sich Jesus an das Volk und an seine Jünger. (Mt 23,1)

Die große Gerichtsrede, die die Kapitel 23 bis 25 des Matthäusevangeliums umfasst, ist die letzte der fünf Reden Jesu, die Matthäus in seinem Evangelium aus verschiedenen Jesusworten zusammengestellt hat. Sie bildet das Gegenstück zur ersten Rede, der Bergpredigt, und umfasst sicher nicht zufällig wie diese auch genau drei Kapitel. Im ersten Teil der Rede geht es vor allem um die Leitung der Gemeinde. Jesus stellt dem Negativbild der jüdischen Pharisäer das Ideal christlicher Brüderlichkeit und Demut gegenüber.

Er sagte: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen. Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen. Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi (Meister) nennen. (Mt 23,2-7)

Jesus kritisiert nicht die Lehre der Pharisäer. Sich suchen nach der Gerechtigkeit Gottes und wissen, was diese bedeutet. Sie kennen den Willen Gottes, aber sie bringen ihn nur mit ihren Worten, nicht durch ihr Tun zum Ausdruck. Schön reden können viele und damit auch leicht andere blenden. Die innere Haltung entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen. Gerade das macht religiöse Lehrer so gefährlich. Die Leute lassen sich blenden von ihrem frommen Schein und bringen ihnen Ehre und gehorsam entgegen, stöhnen aber auf der anderen Seite unter den Lasten, die ihnen von den religiösen Führern auferlegt werden.

Wer ein wahrhafter Diener Gottes ist, wird lieber selbst um der anderen willen vieles auf sich nehmen, als andere für sich Lasten tragen zu lassen. Er leidet für seine Gemeinde. Seine innige Beziehung zu Gott trägt er nicht nach außen, sondern betet in der Nacht in der Verborgenheit seiner Kammer. Er stellt sich nicht in den Mittelpunkt und hält nicht Ausschau danach, wo er das beste Essen bekommt, sondern hält sich bescheiden zurück. Es geht nicht darum, dass man sich nicht grüßen lassen dürfte oder nicht einladen lassen darf, es geht vielmehr darum, dass es nicht angebracht ist, wegen seines Amtes den Anspruch zu erheben, eine Stellung vor allen anderen einzunehmen.

Der Herr verbietet nicht, dass diejenigen, denen solche Behandlung von Amt und Standes wegen gebührt, auf dem Markt gegrüßt werden oder den ersten Platz bei Tisch einnehmen. Er sagt vielmehr, dass die Gläubigen diejenigen, welche solches allzu sehr lieben – ob sie es nun bereits haben oder nicht – meiden sollen; es ist kein gutes Zeichen für ihren Charakter. (Hrabanus)

Letztlich geht es darum, dass innerhalb der Gemeinde erkennbar werden muss, wer der Herr, wer der Lehrer und wer der Meister ist. Dies ist allein Jesus Christus. Alle anderen sind Diener, jeder auf dem Platz und Rang, der ihm zugemessen ist.

Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Mt 23,8-12)

Gott wird für die rechte Ordnung in der Gemeinde Sorge tragen. Niemand soll sich selbst in den Vordergrund drängen. Machtkämpfe soll es in der Gemeinde nicht geben. Wer sie führt, richtet sich nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Gott.

Das ist die Ursache aller Übel: den Thronsitz eines Meisters zu begehren. (Johannes Chrysostomus)

Die Väter haben immer wieder auf die Bedeutung der Demut hingewiesen. Demut bedeutet Mut zum Dienen. Sie ist also kein ängstliches Duckmäusertum, wie heute viele glauben. Demut beruht vielmehr auf einer inneren Größe, die es nicht nötig hat, die eigene Person immer in den Vordergrund zu stellen und vor den Menschen zu glänzen, sondern den Mut hat, sich auch einmal hinten anzustellen und gerade im Dienst an den Menschen Größe zu zeigen. Die Demut weiß darum, dass es eine größere Ehre gibt als die, einen Augenblick der Weltgeschichte lang von den Menschen geachtet und gelobt zu werden.

Die Worte Jesu bleiben bis heute eine Anfrage an jeden von uns, ob unsere Frömmigkeit auch wirklich aus unserem Herzen kommt und unser Leben bestimmt, oder nur frommer Schein ist.

Nächstenliebe (Mt 22)

Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Mt 22,39)

Das Gebot der Nächstenliebe ist keine Erfindung Jesu. Jesus zitiert hier wörtlich Lev 19,18. Bereits die Zehn Gebote enthalten ja diese beiden Teile, auf der einen Seite die Gebote, die die Anerkennung Gottes betreffen, auf der anderen Seite die Gebote, die das Verhalten der Menschen untereinander regeln.

Denn auf diese zwei Gebote beziehen sich die Zehn Gebote; die Vorschriften der ersten Tafel nämlich beziehen sich auf die Liebe zu Gott, die der zweiten Tafel auf die Liebe zum Nächsten. (Hrabanus)

In den weiteren Ausführungen zu den Zehn Geboten wird dann immer wieder darauf hingewiesen, dass die Menschen sich umeinander kümmern sollen, dass sie nicht einander ausnutzen, sondern dass gerade den Armen und Schwachen geholfen werden muss, dass sie nicht zugrunde gehen. Im Buch Exodus heißt es:

Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwen und Waisen ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, so dass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern. Nimmst von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben; denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid. (Ex 22,20-26)

Gott selbst kümmert sich darum, dass die Schwachen und Armen nicht ausgebeutet werden. Die Propheten werden immer wieder zur Gerechtigkeit mahnen. Das Gebot der Nächstenliebe war also den Juden durchaus vertraut.

Die Besonderheit bei Jesus ist, dass er das Gebot der Nächstenliebe auf alle Menschen ausweitet. Bei den Juden bezog es sich zunächst nur auf die Mitglieder des eigenen Volkes, allenfalls noch auf die Fremden, die das Gastrecht genossen. Aber mit den Heiden wollte man nichts zu tun haben, man grenzte sich ihnen gegenüber ab und da endete in den meisten Fällen auch das Gebot der Nächstenliebe. In Jesus Christus aber erkennen wir, dass Nächstenliebe keine Grenzen hat, dass sie sich auch auf die Menschen beziehen muss, denen wir ablehnend genüberstehen, ja dass sie auch unsere Feinde mit einschließen muss. Nur wer zu dieser Liebe zu den Menschen bereit ist, kann auch Gott wahrhaft lieben. Sonst bleibt unser Gottesdienst eine leere Formel.

Alle Menschen sind Gottes Kinder, er liebt sie unendlich. Es ist also unmöglich, Gott zu lieben, ohne die Menschen zu lieben. Je größer die Liebe zu Gott, desto größer die Liebe zu den Menschen. In den letzten Stunden seines Lebens hat Jesus uns aufgetragen: “Meine Kinder, liebt einander. Daran wird man erkennen, dass ihr zu mir gehört, wenn ihr einander liebt” (vgl. Joh 13,34f).
Liebe zu Gott, Liebe zu den Menschen, darin liegt mein ganzes Leben, darin wird es immer bestehen, hoffe ich. (Charles des Foucauld)

Gottesliebe (Mt 22)

Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? (Mt 22,24-36)

Welches Gebot ist das wichtigste? Wer so anfängt zu fragen, stellt bereits Gott auf die Probe. Was muss ich unbedingt halten und wo kann ich ein Auge zudrücken? Wir rechnen die Gebote und ebenso die Verstöße dagegen nach einem bestimmten Wert auf wie bei einer Prüfung. Wenn es genügt, die Prüfung mit 60% zu bestehen, muss ja nicht jeder 100% bringen.

Doch Jesus denkt anders. Wir müssen immer bestrebt sein, 100% zu bringen. Es geht darum, ein Leben zu führen, so wie Gott es will. Das erfordert vollen Einsatz. Alles steht miteinander im Zusammenhang und wenn wir bei einer kleinen Sache bewusst nachlässig sind, kann sich das auf unser ganzes Leben auswirken.

Wir werden nie vollkommen sein, wir werden immer Fahler machen, das weiß auch Jesus. Aber wir dürfen diese Fehler nicht bereits in unsere Berechnungen einkalkulieren. Wenn wir einen Fehler machen, und sei er noch so klein, müssen wir dies ernst nehmen und nach Wegen suchen, dass wir es das nächste Mal besser machen.

Der Weg zur Vollkommenheit führt über die Treue in den kleinen Dingen. Nur wenn wir dabei nach Vollkommenheit streben, wird uns auch der große Lebensentwurf gelingen, werden wir die Heiligkeit erlangen, zu der Gott uns berufen hat.

Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. (Mt 22,37-38)

Es gibt ein erstes Gebot. Es lautet: Gott zuerst! Immer muss Gott an erster Stelle stehen. Jesus zitiert hier Dtn 6,5. Dort wird das für die Juden grundlegende Gebot aufgezeigt. Gott ist der einzige Gott und ihm anzuhangen muss unser ganzes Verlangen sein. Seine Weisung sollen wir stets im Herzen tragen und die Juden tragen sie in den Tefillin auch sichtbar an ihrem Leib. Doch es kommt nicht auf Äußerlichkeiten an, sondern auf unser Herz. dort erkennen wir, ob wir Gott nur äußerlich verehren, oder ob wir ihn auch wirklich lieben.

Liebe den Herrn, deinen Gott, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Geist! “Liebe!” sagte er, nicht: “Fürchte!” Denn Lieben ist mehr als Fürchten; Fürchten ist typisch für Sklaven, Lieben aber für Söhne. Furcht unterliegt dem Zwang, Liebe aber vollzieht sich in Freiheit. Wer in Furcht dem Herrn dient, der entgeht zwar der Strafe, erhält aber keinen Lohn für seine Gerechtigkeit, weil er unwillig das Gute aus Furcht tat. Gott will also nicht, dass er in sklavischer Weise von den Menschen gefürchtet wird wie ein Herr, sondern dass er geliebt wird wie ein Vater, der den Menschen den Geist der Gotteskindschaft geschenkt hat.
Gott lieben aus ganzem Herzen heißt, dass dein Herz an nichts mehr hängt als an der Liebe zu Gott. Gott lieben aus ganzer Seele heißt, die Seele ganz sicher in der Wahrheit zu haben und fest im Glauben zu sein. Die Liebe des Herzens ist nämlich das eine, die Liebe der Seele das andere. Die Liebe des Herzens ist gewissermaßen menschlicher Natur, dass wir Gott auch menschlich lieben; das können wir aber nur, wenn wir uns loslösen von der Liebe zu irdischen Dingen. Die Liebe des Herzens aber fühlt man im Herzen; die Liebe der Seele aber fühlt man nicht, sondern man erkennt sie, weil sie im Urteil der Seele besteht. Wer aber glaubt, dass bei Gott alles Gute ist und nicht Gutes außerhalb von ihm, der liebt Gott in seiner ganzen Seele.
Mit dem ganzen Geist Gott zu lieben bedeutet, dass alle Geisteskräfte für Gott frei sind; wessen Verstand nämlich Gott dient, wessen Weisheit sich um Gott dreht, wessen Denken sich mit göttlichen Dingen beschäftigt, wessen Gedächtnis sich an das erinnert, was gut ist, der liebt Gott mit seinem ganzen Geist. (Johannes Chrysostomus)

Ja oder Nein (Mt 21)

Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging doch. (Mt 21,28-30)

Heute ist es üblich geworden, alles zu bewerten. “Gefällt mir” – “Gefällt mir nicht”, der entsprechende Button wartet unter Artikeln, Bildern und Videos darauf, einfach angeklickt zu werden. Personen sammeln “Likes”, scheinbar um so einen Indikator dafür zu haben, wie toll sie sind. Alles soll heute bewertet werden, das Hotel, das Restaurant und selbst die öffentliche Toilette. Wir gewöhnen uns daran, und geben unsere Bewertung ab, oft vielleicht, ohne viel darüber nachzudenken.

So haben es wohl auch die beiden Söhne im Gleichnis getan. Der erste Sohn sagt sofort Ja. Der Vater erwartet von mir, dass ich ihm helfe, wenn ich Nein sage, gibt es wieder endlose Diskussionen. Er gibt dem Vater gegenüber also seine Wertung ab: Arbeit im Weinberg, “Gefällt mir”, da geh ich hin. Aber diese Wertung war etwas voreilig. Der Vater ist zufrieden und geht schon mal voraus, Doch der Sohn überlegt es sich anders. Er bleibt zuhause, der Weinberg interessiert ihn nicht mehr.

Der zweite Sohn tut genau das Gegenteil. Er hat sofort gedacht: Arbeit im Weinberg, “Gefällt mir nicht”, da geh ich nicht hin. Kein Bock, zu anstrengend, hab Besseres zu tun, da kann der Vater sagen, was er will. Er bleibt zuhause, dann aber kommt er ins Nachdenken. Es ist der Weinberg der Familie, der Vater braucht Hilfe… Auch wenn es auf den ersten Blick keinen Spaß macht, wäre die Arbeit im Weinberg wohl doch sinnvoll und nützlich. Seine vorschnelle Ablehnung reut ihn und er geht doch hin und hilft dem Vater.

Welches Verhalten ist nun nachhaltiger? Das Verhalten dessen, der viele “Likes” verteilt und dafür auch viele “Likes” bekommt, der sich aber nicht darum schert, was dahinter steckt und dem die anderen letztlich egal sind? Oder das Verhalten dessen, der sich nicht einschleimt, sondern erstmal offen sagt, dass ihn etwas nicht interessiert, dann aber zum Nachdenken kommt und schließlich aktiv wird, der sein Interesse nicht durch einen seelenlosen Klick zum Ausdruck bringt, sondern sich wirklich engagiert?

Wer viele “Likes” und “Freunde” hat, ist nicht deshalb schon ein Mensch mit Charakter. Er weiß sich erst einmal gut zu verkaufen. Was wirklich dahinter steckt, erkennt man erst, wenn für das angegebene Interesse und die Freundschaft eine Aktion erforderlich wird. Dann erkennt man, wem wirklich an den anderen etwas gelegen ist, wer wirklich die Anliegen der anderen teilt, und bereit ist, dafür etwas zu tun.

Nur auf einen Button zu klicken ist zu wenig, wir müssen unserem Interesse auch Taten folgen lassen, und dazu gehört auch, dass wir uns wirklich entscheiden können, was wir wollen. Immer wieder gibt es Situationen, in denen wir “Ja” oder “Nein” sagen müssen, in denen ein “Vielleicht” nicht zählt, weil es ein feiger Lückenbüßer wäre, der die Lücke füllt, bis die Entscheidung unausweichlich ansteht. Entscheidungen fällen, Entscheidungen durchtragen, beides ist wichtig, zu dem stehen, was ich gesagt habe und vor allem: verlässlich sein, andere nicht täuschen, nicht heuchlerisch sein und sich nicht bei anderen einschmeicheln.

Es gibt Menschen, die stellen sich gerne in den Vordergrund, die wollen allen klar machen, wie toll sie sind, was sie alles leisten, besonders auch, um so vor ihren Vorgesetzten gut dazustehen. Ja, mach ich, natürlich, ich bin doch immer für sie da … Doch sie sind oft nur dann aktiv, wenn sie auch gesehen werden und ihnen die Anerkennung für eine Arbeit sicher ist. Die unscheinbare Arbeit überlassen sie gern anderen.

Dann gibt es Menschen, die stellen sich nicht in den Vordergrund. Aber gerade weil sie auch dort gute Arbeit leisten, wo es niemand sieht, halten sie den Betrieb am Laufen. Und doch gehen sie oft leer aus, wenn es um Dank und Anerkennung geht, weil die Menschen eben zu sehr auf das Äußere sehen und die Prahler mehr auffallen als die stillen Treuen.

Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der zweite. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Denn Johannes ist gekommen, um euch den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen, und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt. (Mt 21,31-32)

Jesus erzählt dieses Gleichnis den Hohenpriestern und Ältesten und will ihnen damit sagen: Ihr seid wie der erste Sohn, ihr steht an erster Stelle, wenn es um die Religion geht, aber nur um selber gut dazustehen und nicht, weil es euch um Gott geht. Ihr tut oft nicht das, was Gott von euch will. Daher kommen Zöllner und Sünder eher in das Reich Gottes als ihr. Denn sie sagen zwar ganz unumwunden, dass sie mit der Religion nicht viel am Hut haben, aber innen drinnen können sie doch gute Menschen sein und das Gute tun, das Gott will.

Jesus meint mit diesem Gleichnis aber auch uns alle, die wir als Getaufte nicht Knechte, sondern Söhne und Kinder Gottes sind. Der uns gewährte vertraute Umgang mit Gott darf nicht dazu führen, dass wir träge werden in seinem Dienst, dass wir sagen, wir sind getauft und gehen in die Kirche, also sind wir doch schon gute Menschen. Wir müssen unserem Glauben Ausdruck geben in unserem Leben, in unserem Einsatz für andere und dadurch, dass wir Gott den ersten Platz in unserem Leben geben. Manchmal sind es gerade Leute, die Gott zunächst ablehnend gegenüberstehen, die nach einer bewussten Bekehrung mehr Eifer zeigen als mancher, der sein Leben lang Christ ist.

Gott kennt das Herz des Menschen. Er weiß genau, aus welchen Beweggründen einer etwas tut. Bei Gott kann sich niemand einschmeicheln. Er sieht, ob ein Mensch wirklich fromm ist, oder nur dann, wenn andere es sehen. Ja oder Nein. Was wollen wir wirklich? Gehe ich in Gottes Weinberg zur Arbeit, weil es mir um Jesus und um die Menschen geht? Oder ist mir mein eigenes Ansehen wichtiger als alles andere? Die Entscheidung liegt ganz bei mir.