Alles hat seine Zeit (Koh 3)

Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit. (Koh 3,1)

Der Weisheitslehrer Kohelet beschäftigt sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens. Dabei nimmt er althergebrachte Weisheiten kritisch in den Blick, beispielsweise diejenige, dass es frommen Menschen immer gut geht. Die Alten lehren: befolge die Gebote und du wirst ein langes und glückliches Leben haben. Die Beobachtung zeigt uns aber, dass das nicht stimmt. Auch fromme Menschen werden von Schicksalsschlägen getroffen. Waren diese Frommen dann vielleicht nicht fromm genug? Oder müssen wir vielmehr nach neuen Antworten suchen?

Auch die Aussage, dass Reichtum und Bildung die Garantie für ein glückliches Leben sind, hinterfragt Kohelet kritisch. Reichtum ist vergänglich und selbst wer sich alles leisten kann ist noch lange kein glücklicher Mensch. Auch die Beschäftigung mit Bildung und Wissen bereitet oft mehr Kopfzerbrechen, als dass sie dem Menschen Glück und Freude bringt. Wozu dann das alles? Ist letztlich alles sinnlos, “Windhauch”, wie es Kohelet nennt?

Es gibt viel Windhauch in der Welt, aber es gibt auch etwas, das bleibt. Das Leben ist nicht sinnlos, aber die Menschen beschäftigen sich oft mit den falschen Dingen. Es gilt das zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Dann wird das Leben ein erfülltes Leben, weil Gott uns aus seiner Fülle das schenken will, was uns zu einem erfüllten Leben fehlt. Nicht durch unablässige Mühe, sondern durch die Offenheit für den schenkenden Gott finden wir zu einem erfüllten Leben.

Wie ist das aber mit den leidvollen und frohen Momenten im Leben? Kohelet gibt uns darauf in diesem wundervollen Gedicht eine Antwort: alles hat seine Zeit, Leid und Freude wechseln einander ab im Leben. Wir können diesem Wechsel des Geschicks nicht entkommen. Fromme und weniger fromme Menschen sind in gleicher Weise an dieses Auf und Ab gebunden. Wir dürfen unser Geschick nicht als Strafe oder Belohnung sehen, sondern es sind ganz natürliche Abläufe, denen wir nicht entkommen können.

Dennoch sind wir nicht blind dem Schicksal ausgeliefert. Unsere Anstrengungen und auch unsere Frömmigkeit haben einen Sinn und zahlen sich aus, aber sie sind eben nicht die einzigen Kräfte, die unser Leben bestimmen. Kohelet möchte uns weg bringen von einem Schwarz-Weiß-Denken und uns die Augen öffnen für die Komplexität des Lebens. Es gibt keine einfachen Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Wir müssen manche Fragen als solche stehen lassen. Aber wir können dennoch ein erfülltes Leben haben, auch wenn wir nicht alle Antworten kennen.

Für alles gibt es eine bestimmte Zeit:

Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben,

eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreißen der Pflanzen,

eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen,

eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,

eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen,

eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz;

eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln,

eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,

eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren,

eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,

eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen,

eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,

eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen,

eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden. (Koh 3,2-8)

Wichtige und nicht so wichtige Dinge stehen hier relativ unvermittelt nebeneinander. Neben den großen Ereignissen im Leben des Menschen wie Geburt und Tod oder so gravierenden Einschnitten in das Leben wie Krieg und Frieden steht das Steinewerfen und Steinesammeln. Dann gibt es alltägliche oder immer wiederkehrende Ereignisse wie das Pflanzen oder das Umarmen, Klagen und Tanzen. Bei manchen Dingen wissen wir von selbst, dass sie nicht ewig dauern können. Wer gepflanzt hat, muss auf das Wachsen der Pflanzen warten, Menschen, die einander umarmen, müssen diese Umarmung irgendwann wieder lösen.

Bei manchen Dingen fällt es uns schon schwerer, den Wechsel geschehen zu lassen, auch wenn wir genau wissen, dass sie vergänglich sind. Freude würden wir gerne festhalten, aber sie vergeht irgendwann, aber auch das Leid dauert nicht ewig, auch wenn wir mitten im Leid oft nicht daran glauben können, dass es vorüber geht. Aber auch das Leid wird ein Ende haben, ebenso wie der Hass der Liebe weichen kann.

Alles geschieht und oftmals können wir nichts dagegen tun. Manche Menschen haben das Glück, in einer wohlhabenden Gesellschaft zu leben, andere müssen ein Leben in Armut führen. Aber auch das kann sich ändern. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass das quirlige Leben unserer mobilen Gesellschaft von einen Tag auf den anderen nahezu zum Stillstand kommen kann. Alles hat seine Zeit und momentan scheint die rasende Zeit etwas gebremst worden zu sein.

Ich habe als Bild zu dem Gedicht von Kohelet einen Tropfstein gewählt. So ein Tropfstein wächst in zehn Jahren etwa einen Millimeter. Nach den Maßstäben einer schnelllebigen Zeit könnten wir sagen, er wächst überhaupt nicht, aber wenn wir eine Tropfsteinhöhle besuchen, dann sehen wir, was für imposante Gebilde durch dieses langsame Wachstum im Laufe der Jahrhunderte entstehen können. Das kurze und begrenzte menschliche Leben kann nicht der Maßstab für alles sein. Früher hielten die Menschen sich für den Mittelpunkt der Welt. Heute wissen wir, dass die Zeit menschlichen Lebens nur ein Augenblick in den Jahrmillionen der Weltgeschichte ist, auf einem kleinen Planten irgendwo in den Weiten des Universums.

Dennoch halten wir uns weiterhin für groß und allem anderen überlegen, jagen eitlen Dingen voll Windhauch nach und zerstören mit unserer Gier den Planeten, den Gott uns geschenkt hat und der genug Ressourcen für alle bieten würde, wenn wir nur bereit wären, uns auf das zu beschränken, was wir wirklich nötig haben. Einzelne Wassertropfen können in Jahrhunderten imposante Hallen aus Tropfstein formen. Vielleicht kann dieses Bild uns helfen, uns neu auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist und so zu einem wirklich glücklichen und erfüllten Leben zu finden, ein Leben, das nicht seinen Vorteil dadurch gewinnt, dass es auf Kosten anderer gelebt wird, sondern das sich selbst als Geschenk ansieht und auch für andere ein Geschenk sein will.

Lob der weisen Frau (Spr 31)

Im letzten Kapitel des Buches der Sprichwörter wird das Lob der weisen Frau ausgesprochen. Einige ihrer Eigenschaften wurden in den vorangehenden Kapiteln auf die Weisheit selbst bezogen wurden. Somit soll die hier beschriebene tatkräftige, weise und gottesfürchtige Frau als eine Verkörperung der Weisheit gekennzeichnet werden. Weisheit ist also nicht etwas, das nur Männern vorbehalten bliebe oder allein Menschen möglich ist, die sich in besonderer Weise dem Gottesdienst widmen. Die ideale Verkörperung der Weisheit ist die Frau, die zuhause in ihrem Alltag schlicht und einfach, aber sorgfältig ihre Arbeit tut.

Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert. (Spr 31,10)

Wer findet eine solche Frau, mit der die Weisheit in das eigene Haus Einzug nimmt und so das Haus selbst zum Haus der Weisheit (Spr 9,1) wird? Wir möchten sagen: Glücklich ist, wer sie findet! Sein Haus wird gesegnet sein! Sie ist unbezahlbar. Sie ist letztlich ein Geschenk Gottes, wie die Weisheit selbst. Auch von der Weisheit wird gesagt, dass sie alle Perlen an Wert übertrifft (Spr 3,15 und 8,11). Der Mann, der die Weisheit sucht, wird auch die passende Frau finden und mit dieser wird die Weisheit selbst in sein Haus einziehen.

Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie, und es fehlt ihm nicht an Gewinn. Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens. (Spr 30,11-12)

Dieser Frau kann man vertrauen. Sie tut nur Gutes und hat nichts Böses im Sinn. Sie wird das Geld nicht leichtfertig ausgeben, vielmehr wird sie durch ihre Arbeit selbst dazu beitragen, das Vermögen der Familie zu vermehren. Vielfältig sind ihre Tätigkeiten, sie widmet sich der Hausarbeit, wozu auch die Herstellung von Stoffen und Kleidung gehört und sorgt dafür, dass alle zu essen haben, auch in Zeiten der Not, wenn Nahrung knapp wird.

Sie sorgt für Wolle und Flachs und schafft mit emsigen Händen. Sie gleicht den Schiffen des Kaufmanns: Aus der Ferne holt sie ihre Nahrung. Noch bei Nacht steht sie auf, um ihrem Haus Speise zu geben. (Spr 31,13-15)

Doch auch Tätigkeiten, die wir heute einer Frau aus dem alten Orient so gar nicht zutrauen würden, nimmt sie selbst in die Hand. Ihre Tätigkeit erstreckt sich nicht nur auf das Innere des Hauses, sondern auch auf öffentliche Geschäfte. Sie macht nicht nur “Frauenarbeit”, sondern verrichtet auch Tätigkeiten, die Kraft erfordern.

Sie überlegt es und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg. Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark. (Spr 31,16-17)

Tag und Nacht ist sie beschäftigt und von dem Ertrag ihrer Arbeit kann sie auch noch an die Armen austeilen und so über ihr eigenes Haus hinaus Gutes wirken.

Sie spürt den Erfolg ihrer Arbeit, auch des Nachts erlischt ihre Lampe nicht. Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand, ihre Finger fassen die Spindel. Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen. (Spr 31,18-20)

Sie sorgt vor, so dass es nie an etwas fehlen wird. Auch wenn es unerwartet kalt wird und Schnee gibt, hat sie für das ganze Haus die passende Kleidung zur Hand.

Ihr bangt nicht für ihr Haus vor dem Schnee; denn ihr ganzes Haus hat wollene Kleider. Sie hat sich Decken gefertigt, Leinen und Purpur sind ihr Gewand. (Spr 31,21-22)

Nicht die Frau wird wegen des Mannes geehrt, sondern der Mann wird geehrt, weil die Menschen ihn ob seiner weisen Frau achten!

Ihr Mann ist in den Torhallen geachtet, wenn er zu Rat sitzt mit den Ältesten des Landes. (Spr 31,23)

Es mutet fast schon wie ein kleines Familienunternehmen an, was die Frau alles leistet:

Sie webt Tücher und verkauft sie, Gürtel liefert sie dem Händler. (Spr 31,24)

Die Frau ist es, die alles in der Familie am Laufen hält. Dabei achtet sie auf alles genau und sorgt für Ordnung im Haus. Mit gesundem Optimismus blickt sie in die Zukunft.

Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft. Öffnet sie ihren Mund, dann redet sie klug und gütige Lehre ist auf ihrer Zunge. Sie achtet auf das, was vorgeht im Haus, und isst nicht träge ihr Brot. Ihre Söhne stehen auf und preisen sie glücklich, auch ihr Mann erhebt sich und rühmt sie: Viele Frauen erwiesen sich tüchtig, doch du übertriffst sie alle.
Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, nur eine gottesfürchtige Frau verdient Lob. Preist sie für den Ertrag ihrer Hände, ihre Werke soll man am Stadttor loben. (Spr 31,25-31)

Eine solche Frau wird von ihrer ganzen Familie gelobt, ja darüber hinaus in der ganzen Stadt und sogar Fremden gegenüber. Wenn von ihr am Stadttor geredet wird, so erfährt jeder, der dort hinein- und hinausgeht, sogleich von dieser Frau.

Der Mann soll bei einer Frau nicht allein auf das Äußere achten, vergänglich ist irdische Schönheit, was aber bleibt ist die Weisheit. Mit dieser Weisheit wird die Frau das Haus auch noch mit Licht und Schönheit erfüllen, wenn aller äußerliche Glanz verblasst ist.

Frauen sind nicht nur für Haus und Herd zuständig, wie das lange Zeit im männlichen Denken verwurzelt war, die Arbeit der Frauen erstreckt sich auch auf Tätigkeiten außerhalb des Hauses. Die Frau selbst kann das in ihrem Haus produzierte an Händler verkaufen, ja sogar Grundstücke kaufen und verwalten.

Hier wird auf der einen Seite ein nahezu modernes Frauenbild gezeichnet, jedoch wehren sich auch viele Frauen gegen die dann doch wieder erfolgte Einengung auf die Nützlichkeit. Wo bleibt da die Sinnlichkeit? Ist die Frau letztlich doch nur für die Arbeit zuständig?

Doch Weisheit ist mehr als umsichtige Geschäftigkeit. Sie bedeutet auch ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge dieser Welt. Die weise Frau arbeitet nicht nur, sie versteht auch etwas vom Leben. Sie weiß um die Sinnlichkeit, aber auch um deren Grenzen. Sie versteht es, Menschen in ihren Bann zu ziehen, aber nicht, um sie zu verführen, sondern um sie zu tieferer Erkenntnis zu führen.

Herr schenke uns solch weise Frauen,
die ein Segen sind für unsere Familien,
unsere Gesellschaft und für die Kirche.
Lass in ihnen deine Weisheit unter uns wohnen,
dass wir durch sie deinen Rat
und deine Hilfe erfahren.

Sprichwörter

Sprichwörter Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel. (Spr 1,1)

Das Buch der Sprichwörter gehört wie das Hohelied, das Buch der Weisheit und das Buch Kohelet zu den Alttestamentlichen Weisheitsschriften, die dem König Salomo zugeschrieben werden. Salomo galt als Repräsentant des weisen Herrschers schlechthin. Dabei ist es durchaus möglich, dass Sprüche von Salomo über die Jahrhunderte hinweg mündlich überliefert und später schriftlich festgehalten wurden. Dies wird in einer Zwischenüberschrift in Spr 25,1 suggeriert: “Auch das sind Sprichwörter Salomos, die die Männer Hiskijas, des Königs von Juda, sammelten.”

Das Buch enthält neben den dem König Salomo zugeschriebenen Teilen auch Weisheitssprüche anderer Herkunft, so die Worte von Weisen (Spr 22,17-24,33), die Worte Agurs (Spr 30) und die Worte an Lemuel (Spr 31). Es ist von einer langen und komplexen Entstehungsgeschichte des Buches auszugehen, die sich möglicherweise von der Königszeit (9. Jhd. v.Chr.) bis zum 2. Jhd. v.Chr. erstreckt. Zudem weicht die Septuaginta in Umfang und Anordnung der Spräche vom hebräischen Text ab. Es ist nahezu unmöglich, Alter und Herkunft einzelner Sprüche festzustellen und auch für die Anordnung der Sprüche in der Endgestalt des Buches gibt es keine hinreichende exegetische Erklärung.

Der hebräische Titel “Misle” (Pl. von “Maschal”, das man etwa mit Gleichniswort übersetzen kann) kann im Deutschen sowohl als “Sprichwörter” oder allgemeiner nur als “Sprüche” wiedergegeben werden. Die Septuaginta übersetzt den Titel mit paroimiai, in der Vulgata heißt das Buch Liber Proverbiorum Salomonis. Das Buch ist in sieben Teile unterschiedlicher Länge gegliedert, wobei die größeren Abschnitte nochmals in sich unterteilt sind. Die Überschriften zu den einzelnen Teilen finden sich jeweils im ersten Satz des bezeichneten Abschnitts:

Spr 1-9 Sammlung von Weisheitslehren (“Sprichwörter Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel.” Spr 1,1)
Spr 10,1-22,16 Erste Salomonische Spruchsammlung (“Sprichwörter Salomos.” Spr 10,1)
Spr 22,17-24,22 Erster Teil der Worte von Weisen (“Worte von Weisen.” Spr 22,17)
Spr 24,23-34 Zweiter Teil der Worte von Weisen (“Auch folgende Sprichwörter stammen von Weisen.” Spr 24,23)
Spr 25-29 Zweite Salomonische Spruchsammlung (“Auch das sind Sprichwörter Salomos, die die Männer Hiskijas, des Königs von Juda, sammelten.” Spr 25,1)
Spr 30 Worte Agurs (“Worte Agurs, des Sohnes des Jake aus Massa.” Spr 30,1)
Spr 31 Worte an Lemuel (“Worte an Lemuel, den König von Massa, mit denen ihn seine Mutter ermahnt hat.” Spr 31,1)

Die Siebenzahl ist sicher bewusst gewählt. Die Zahl sieben spielt in der Symbolik eine wichtige Rolle. In Spr 9,1 werden die “sieben Säulen der Weisheit” genannt (vgl. z.B. auch die sieben Gaben des Heiligen Geistes).

Weisheit

Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen. (Weish 6,12-13)

Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments erscheint uns oft fremd. Was ist das überhaupt, Weisheit? Die Weisheitsschriften stammen aus den ersten vorchristlichen Jahrhunderten, jener Zeit, in der in Griechenland die Philosophenschulen blühten und die griechische Kultur auf den Mittelmeerraum prägend gewirkt hat. Auch die Juden sind mit den griechischen Weisheitslehren in Kontakt gekommen. Sie waren sich sicher, dass es die Weisheit des Gottes Israels leicht mit der Weisheit der großen Philosophen aufnehmen kann.

Israel sah sich als ein weises Volk, weil gerade die Gebote Gottes, die Israel anvertraut sind, Ausdruck höchster Weisheit sind. In dieser Zeit hat man dann die Weisheit personalisiert zu einer von Gott gesandten Führerin seines Volkes.

Die Weisheit ist nicht verborgen. Sie zeigt sich, geht strahlend hervor wie die Sonne. Doch wer ihr begegnen will, muss dennoch nach ihr suchen. Wer der Weisheit begegnen will, muss ein tiefes Verlangen nach ihr haben, jedem, der sie sucht, wird sie sich zeigen. Wer am Morgen nach ihr sucht, der findet sie vor seine Tür, wer in der Nacht an sie denkt, den bewahrt sie vor sorgenvoller Schlaflosigkeit.

Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen. Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei. Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken. (Weish 6,14-16)

Die Weisheit selbst kommt denen entgegen, die ihrer würdig sind. Jener, der Weisheit sucht und die Weisheit selbst machen sich gegenseitig auf dem Weg zueinander. Sie finden einander, weil sie einander suchen. Diese Worte sollen uns Mut machen. Ein Leben nach der Weisheit ist nicht schwer, jeder, der danach strebt, kann es erreichen.
Wie das konkret aussehen kann, zeigt uns Jesus im heutigen Gleichnis.

Salomos Weisheit (1Kön 3)

Salomo aber liebte den Herrn und befolgte die Gebote seines Vaters David; nur brachte er auf den Kulthöhen Schlachtopfer und Rauchopfer dar. So ging der König nach Gibeon, um dort zu opfern; denn hier war die angesehenste Kulthöhe. Tausend Brandopfer legte Salomo auf ihren Altar. In Gibeon erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll. (1Kön 3,3-5)

In Israel gab es zu Beginn der Herrschaft Salomos noch kein zentrales Heiligtum. König David war es verwehrt, dem Herrn in Jerusalem einen Tempel zu bauen. Erst sein Sohn und Nachfolger Salomo wird den Tempel in Jerusalem errichten. Noch verehrt das Volk seinen Gott an verschiedenen heiligen Orten. Einer dieser Kultorte ist in Gibeon. Dorthin geht auch Salomo, um dem Herrn sein Opfer darzubringen. Dort erscheint der Herr dem König, der ganz am Beginn seiner Regierungszeit steht, im Traum. Träume sind seit alters her eine Form, wie Gott sich den Menschen offenbart.

Salomo hatte sich vorbereitet. Frisch gewaschen, kein einziger Fleck auf seiner Kleidung, ein Wohlgeruch umströmte ihn. So näherte er sich dem besonderen Ort. Was dann geschah, übertraf alle seine Erwartungen. Es kam zu einem traumhaften Gespräch zwischen ihm und Gott im Dunkel der Nacht. Ein unsichtbares Band zwischen Bitten und Erfüllen, ein Bund, zu Gottes Bedingungen, der gibt, worum du nicht gebeten hast, der aber erwartet, dass du das erbittest, was er als erstes geben will, das was hinter dem Vordergründigen steht und dieses übertrifft.

Salomo antwortete: Du hast deinem Knecht David, meinem Vater, große Huld erwiesen; denn er lebte vor dir in Treue, in Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen. Du hast ihm diese große Huld bewahrt und ihm einen Sohn geschenkt, der heute auf seinem Thron sitzt. So hast du jetzt, Herr, mein Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. Dein Knecht steht aber mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? (1Kön 3,6-9)

Salomo darf vor Gott eine Bitte aussprechen. Zunächst aber dankt er Gott für das, was er an ihm getan hat. Gott hat seinem Vater David seine Huld erwiesen und ein Zeichen dieser Huld ist es, dass nun Davids Sohn Salomo auf dem Thron Israels sitzen darf. David galt als weiser und vorbildlicher Herrscher, der zwar nicht ohne Fehler war, aber doch immer wieder zu Reue und Umkehr bereit war. Die von der Tradition dem König David zugeschriebenen Psalmen geben Einblick in dessen tiefen Glauben an den Gott Israels.

Salomo will seinem Vater ähnlich sein. Er ist noch sehr jung, ihm fehlt es an Erfahrung. Er weiß, dass er nur dann vor Gott und für das Volk ein guter Herrscher sein kann, wenn er Weisheit besitzt, wenn er das Gute vom Bösen zu unterscheiden vermag. Um diese Weisheit zu erlangen, benötig er ein hörendes Herz. Er muss dazu bereit sein, zu lernen, darf sich nicht gleich mit seinem jugendlichen Elan und Tatendrang in die Regierungsgeschäfte stürzen. Er muss den Rat erfahrener Männer prüfen und er muss bereit sein, auf das zu hören, was Gott zu ihm sagt.

Salomo hat ein offenes Ohr und Herz für Gott, das zeigt sich bereits darin, dass Gott zu ihm im Traum sprechen kann. Diese Offenheit für Gott muss er sich bewahren und sie vertiefen. Er darf sich nicht von Macht, Reichtum und Erfolg blenden lassen. Er muss sich immer dessen bewusst sein, dass er dies nicht durch eigene Kraft erwerben und bewahren kann, sondern dass alles ein Geschenk Gottes ist, das er auch im Namen Gottes verwalten soll.

König Salomo wird hier zu einem idealen Herrscher stilisiert, zugleich aber zeigt die Bibel von Salomo ein ambivalentes Bild. Er macht Israel mächtig, aber nach seinem Tod zerfällt das Reich, der unermessliche Reichtum Salomos, von dem die Bibel berichtet, war nicht nur durch Weisheit, sondern zu einem großen Teil auch durch Ausbeutung erworben. Salomo besaß eine Autorität und Machtfülle, an die seine Nachfolger nie mehr herankamen.

Sicher wussten die Verfasser dieses Textes um diese Ambivalenz. Vielleicht sind die Worte, die sie Salomo in den Mund legen, eher Wunsch als Wirklichkeit, ein Wunsch an spätere Könige, dass sie so handeln mögen, wie es hier von Salomo heißt. Doch nicht nur Könige, sondern jeder Mensch sollte so vor Gott sein, wie dieser idealisierte König Salomo.

In Märchen und anderen Geschichten begegnet uns oft das Bild vom einen freien Wunsch oder den drei freien Wünschen. Nicht immer können die Menschen damit klug umgehen. Manche Wünsche erweisen sich, wenn sie in Erfüllung gehen, eher als Fluch denn als Segen. So wäre König Midas fast verhungert, weil sein Wunsch in Erfüllung ging, dass alles, was er berührt, zu Gold wird. Wenn wir wirklich sehnsüchtige Wünsche haben, gilt es tiefer zu blicken und die Folgen zu bedenken. Was kann uns wirklich glücklich machen?

Das hörende Herz, das sich König Salomo wünscht, kann ihn glücklich machen. Ein hörendes Herz, das bedeutet, dass er nicht von Anfang an alles weiß. Aber wenn er hören kann, zeigt ihm Gott durch seine innere Stimme stets das, was in einer Situation wichtig ist. Wir kennen diese innere Stimme. Plötzlich haben wir einen Geistesblitz und entdecken, wonach wir lange gesucht haben, oder wir werden vor einer Gefahr gewarnt, oder bei einer Entscheidung zeigt sich ein Weg. Doch da sind noch die vielen anderen Stimmen. Die Weisheit besteht darin, aus den vielen Stimmen die eine richtige zu hören und auch zu verstehen, was diese Stimme uns sagen will.

Ein hörendes Herz, das bezieht sich nicht nur auf unseren Umgang mit Gott, sondern auf den Umgang mit der Wirklichkeit überhaupt und mit anderen Menschen. Ein hörendes Herz heißt im Umgang mit anderen Menschen achtsame Liebe. Das bedeutet, die Andersheit des Anderen wirklich wahrzunehmen und ihn so zu verstehen, wie er ist. Nicht einfach nur gute Ratschläge zu erteilen, sondern zu erkennen, was ein anderer Mensch wirklich braucht. Ein hörendes Herz sieht die Welt nicht als Ziel der Ausbeutung des Menschen, sondern als Gottes gute Schöpfung, die es zu pflegen und zu bewahren gilt.

Gebet um Weisheit

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Das Buch der Weisheit ist eine wahrscheinlich im 1. Jahrhundert vor Christus in der ägyptischen Großstadt Alexandria entstandene Spätschrift des Alten Testaments. Es will vor allem der Jugend, aber auch allen am Judentum Interessierten zeigen, dass sich der jüdische Glaube in Vergleich mit der hellenischen Kultur nicht zu verbergen braucht.

Die Griechen haben ihre Göttersagen, die großartigen Werke Homers und andere literarische Texte, die wir bis heute bewundern. Sie haben auch große Philosophen hervorgebracht, die bis heute berühmt sind, allen voran Sokrates, Platon und Aristoteles. Doch auch die jüdische Geschichte steckt voller Faszinationen und ist Zeichen dafür, wie Gottes Weisheit sich offenbart. Gottes Weisheit ist in der Geschichte am Werk und sie allein, nicht die vermeintlichen Segnungen der heidnisch-hellenischen Kultur, bringt der Welt das Heil.

Der dritte Teil des Buches der Weisheit beginnt mit einem Gebet. Hier finden wir starke Anklänge an das Gebet König Salomos um Weisheit in 1Kön 3. Es ist König Salomo, der für seine Weisheit berühmt war, der hier spricht und jeden einzelnen dazu ermuntert, es ihm nachzutun, nach Weisheit zu streben. Ohne Gottes Weisheit vermag der Mensch nichts. Allein die Weisheit Gottes vermag die Welt zu retten.

Der Mensch, der nach Weisheit strebt erkennt, wie begrenzt menschliche Erkenntnis ist. Wie oft meinen wir, über alles genau Bescheid zu wissen, fällen vermeintlich felsenfeste Urteile, und doch ist alles ganz anders. Wenn sie fünf Menschen fragen, die genau die gleiche Situation erlebt haben, werden ihnen diese fünf Menschen fünf verschiedene Versionen davon erzählen. Wir meinen, die Gesetze der Natur zu kennen, meinen die Natur durch unser Eingreifen zum Besseren verändern zu können. Aber wenn wir der Natur freien Lauf lassen und sie unvoreingenommen beobachten, merken wir, dass sie sich ganz anders verhält, als wir gedacht haben.

So ist es auch mit unserem Streben nach Profit. Viele meinen, dass dann alles besser wird, wenn der Gewinn steigt. Doch vom Reichtum profitieren nur wenige, während viele unter der Ausbeutung leiden. Viele meinen, dass der Sinn des Lebens darin besteht, immer mehr zu haben. Aber gerade wenn wir bereit sind, unsere Hände zu öffnen und zu schenken, erhalten wir die Fülle.

Nicht nur Wissen und Erkenntnis verleihen uns Einsicht in das Wesen der Dinge, sondern nur die Weisheit, die uns tiefer blicken lässt, die uns Zusammenhänge verstehen lässt und die uns vor allem neugierig darauf macht, immer mehr zu lernen und Neues zu erfahren. Die Weisheit verbindet uns mit Gott. Nur er kann sie uns schenken. Bitten wir ihn um diese Gabe.

Herr, schenke mir die Weisheit, die deine Werke kennt und die zugegen war, als du die Welt erschufst, die weiß, was dir gefällt und was recht ist nach deinen Geboten. Sende sie vom heiligen Himmel und schick sie vom Thron deiner Herrlichkeit, damit sie bei mir sei und alle Mühe mit mir teile und damit ich erkenne, was dir gefällt.