Mensch – wo bist du?

Gott, der Herr, rief nach dem Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? (Gen 3,9)

Mensch – wo bist du? Das verzweifelte Suchen Gottes nach dem Menschen durchzieht die gesamte Menschheitsgeschichte. Gott hat den Menschen immer wieder gerufen, das Alte Testament kennt die großen Hörer des Rufes Gottes, Henoch, Noach, Abraham, Mose, Samuel, David, die Propheten, um nur einige von ihnen zu nennen. Der Mensch aber geht immer wieder eigene Wege und missachtet das Gebot Gottes, das ihm das Leben sichern soll. Dafür steht symbolisch der Schöpfungsmythos am Beginn des Buches Genesis.

Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist in erster Linie ein gestörtes Verhältnis. Das Suchen Gottes nach dem Menschen ist oft einseitig. Gott hat dem Menschen die Erde anvertraut, hat den Menschen daraufhin angelegt, im Einklang mit seiner Umwelt zu leben, der Mensch aber will immer mehr, will seinen Besitz auf Kosten anderer und der Umwelt immer weiter anhäufen und macht damit das kaputt, was Gott so schön und gut gemacht hat.

An Weihnachten findet das Suchen Gottes nach dem Menschen seinen Höhepunkt. Gott selbst wird Mensch und zwar in erschreckend einfachen Verhältnissen. Nicht in einem Haus der großen Religionsführer, etwa in der Familie eines der Hohenpriester oder Schriftgelehrten, die ihre Macht und ihren Reichtum damit rechtfertigen, dass sie ja der Größe des Gottes, dem sie dienen, dadurch Ausdruck verleihen müssen – und damit Gott selbst verhöhnen, der die seligpreist, die arm sind vor Gott.

Gott wird Mensch im Schoß einer Frau, die in den Augen der Welt nicht groß und mächtig ist, die keinen großen materiellen Reichtum besitzt, die aber reich ist vor Gott, weil sie von Kindheit an Gott sucht. Die Größe Mariens besteht darin, dass ihr Herz voll ist von der Liebe zu Gott und dass sie bereit ist, auf Gottes Stimme zu hören. Das ist kein Reichtum, der nur wenigen Privilegierten offen steht und der auf Kosten anderer geht. Diesen Reichtum kann jeder Mensch erwerben. Jesus wird uns in seinem Leben und in seinen Worten zeigen, wie das geht.

Weihnachten zeigt uns, dass es ein Irrweg ist, wenn wir meinen, wir müssten Gott damit dienen, dass wir ihm große Bauten errichten, in denen wir seine Herrlichkeit in goldenen Utensilien anschaulich machen. Ja, Gott ist mächtig und ihm gebührt die Ehre, aber er selbst zeigt uns, wie sich diese Ehre zeigt, im Lächeln des Kindes von Betlehem, dessen Hände offen und leer sind, in dessen Herzen aber die Fülle der Gottheit wohnt.

Mensch – wo bist du? Heute müssen wir uns zunächst einmal damit auseinandersetzen, dass viele gar nicht mehr daran glauben, dass es einen Gott gibt, der diese Frage stellt. Braucht der Mensch einen Gott, der nach ihm sucht? Wir wissen, dass die Geschichte vom Paradies ein Mythos ist. Aber wir glauben, dass Gott irgendwie an der Erschaffung der Welt und des Menschen mitgewirkt hat. Wie, das wissen wir nicht. Wir wissen heute viel über die Jahrmillionen, in denen sich das Universum entwickelt hat, die Erde zu dem Planeten wurde, wie wir sie heute kennen und dann schließlich das Leben hier entstanden ist. Aber doch liegt vieles im Dunkeln. Mit unseren heutigen wissenschaftlichen Methoden kommen wir zwar sehr nahe an den Zeitpunkt heran, als das Universum entstanden ist, aber der Zeitpunkt seines Entstehens bleibt uns unzugänglich. Wir wissen viel über das Leben, aber wie höhere Lebensformen und schließlich auch der Geist des Menschen entstanden sind, können wir nicht mit absoluter Sicherheit sagen.

Es bleibt auch in unserer hochtechnisierten Welt noch Platz für Gott. Zwar gibt es keinen Platz mehr für die Götter, die sich die Menschen gemacht haben, um mit ihnen die Sterne und Planeten zu besetzen oder die Naturgewalten zu erklären. Es gibt auch keinen Platz mehr für die Götter des Schicksals, denen die Menschen die unerklärlichen Ereignisse in ihrem Leben zugeschrieben haben. Aber es gibt einen Platz für einen Gott, der im Herzen des Menschen wohnt, der ihm nahe ist und der das Suchen des Menschen nach Erkenntnis, Liebe und Lebenssinn begleitet.

Jeder Mensch muss selbst herausfinden, ob es in seinem Leben einen Platz gibt für diesen Gott. Wer aber bereit ist, sich auf diesen Gott einzulassen, der wird seinen Ruf nach dem Menschen hören. Und wer dann antwortet: Hier bin ich, Herr!, der wird mehr über diesen Gott erfahren. Er wird verstehen, wie jemand, der sich so klein macht wie ein Kind, doch stärker sein kann als die Mächtigen dieser Welt, er wird verstehen, wie jemand, der schenkt, mehr haben kann, als die Reichen dieser Welt, und er wird eine Liebe erfahren, wie sie die Welt nicht geben kann.

Mensch – wo bist du?

Hier bin ich Herr!

Ich habe dich gesehen

im Stall von Betlehem.

Ich irrte durch die Nacht

und sah ein Licht.

Ich trat hinzu

uns spürte eine Nähe

in den Augen dieses Kindes

das mich anblickte.

Jetzt weiß ich, Gott,

wie sehr du dich nach mir sehnst.

Lass mich den Weg mit dir gehen,

den Weg hinein ins Leben.

Amen.

Adam, wo bist du?

Als sie an den Schritten hörten, dass sich Gott, der HERR, beim Tagwind im Garten erging, versteckten sich der Mensch und seine Frau vor Gott, dem HERRN, inmitten der Bäume des Gartens. Aber Gott, der HERR, rief nach dem Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. (Gen 3,8-10)

Wir dürfen die Erzählungen des Buches Genesis nicht wörtlich nehmen, aber dennoch enthalten sie Wahrheiten, die für immer bleiben. Adam und Eva haben gegen das Gebot Gottes verstoßen und – verführt von der Schlange – von dem verbotenen Baum gegessen. Doch anstatt nun besonders weise und mächtig zu werden, wie es ihnen die Schlange versprochen hatte, erkennen sie nur ihre Nacktheit und fangen an sich zu schämen.

Plötzlich kommt Gott durch den Garten Eden. Bisher lebten Mensch und Gott dort in einem vertrauten Verhältnis. Der Mensch freute sich an Gottes Nähe und Gott freute sich am Leben des Menschen. Aber nun ist es anders. Der Mensch erschrickt vor Gott und versteckt sich vor ihm. Vordergründig gibt der Mensch seine Nacktheit als Grund für seine Furcht an. Doch es steckt mehr dahinter.

Nichts ist mehr, wie es vorher war. Wir kennen das vielleicht selbst. Eine Beziehung war harmonisch, die Partner konnten einander vertrauen, doch dann tut einer der Partner etwas, das er nicht hätte tun dürfen. Der andere merkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt hier zwar immer wieder Wege, mit diesem Fehler zu leben und wieder zusammen zu finden, doch diese Wege sind beschwerlich.

Gott weiß, was geschehen ist. Er sucht den Menschen, ruft nach ihm. Ist es die Suche eines strafenden Gottes nach dem Übeltäter oder ist es nicht vielmehr die Suche des liebenden Gottes nach dem Menschen, dem er verzeihen möchte? Im folgenden Gespräch gibt Gott dem Menschen die Möglichkeit, seine Sünde einzugestehen und um Verzeihung zu bitten, doch der Mensch ist weit davon entfernt, diese Möglichkeit anzunehmen, stattdessen gibt einer dem anderen die Schuld, der Mann der Frau und die Frau der Schlange.

Der Mensch hat noch nicht gelernt, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen. Der Genuss der verbotenen Frucht hat etwas im Menschen bewirkt. Er hat neue Fähigkeiten gewonnen, neue Erkenntnisse. Doch er muss lernen, sie verantwortungsvoll zu nutzen. Im Paradies gibt es keinen Platz mehr für einen solchen Menschen. Stattdessen muss der Mensch nun selbst für sein Wohlergehen sorgen, mühsam sich die Erde nutzbar machen, Neues entdecken.

Der Mensch muss nun selbst für sich sorgen, und doch findet Gott immer wieder Wege, erneut zu einem vertrauten Verhältnis zu diesem Menschen zu finden. Gott will dem Menschen begegnen, in seiner Mühsal, in seinem Alltag. Davon berichtet die Bibel, wie Gott sich dem Menschen zuwendet und ihn zu einer ganz neuen Gemeinschaft mit sich führen will.

Die Versuchung des Menschen

Mit scheinbar frommen Sprüchen ist der Satan an Jesus heran getreten. Dabei hat er das Wort der Schrift verdreht. Jesus aber besiegt den Satan, indem er ihm die rechte Auslegung des Wortes Gottes entgegenhält. Gottes Wort zu verdrehen ist eine beliebte Taktik des Satans. Er war damit schon bei den ersten Menschen erfolgreich:

Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? (Gen 3,1)

Nein, so hat Gott nicht gesagt, das weiß auch Eva.

Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. (Gen 3,2-3)

Alles hat Gott für den Menschen gemacht. Wir hören in den vorangehenden Versen, dass Gott für den Menschen einen wundervollen Garten angelegt hat. Ein Garten, das war für den orientalischen Menschen etwas Wunderbares. Nur Könige und besonders reiche Menschen hatten die Mittel dazu, in den trockenen Ländern einen immergrünen Garten anzulegen. Ein solcher Garten war den Menschen von Gott geschenkt. Aber ein Baum sollte tabu sein. Von ihm durften die Menschen nicht essen. Aber gerade durch dieses Verbot bekommt der Baum eine unwiderstehliche Anziehungskraft, als die Schlange ihre verführerischen Worte an Eva richtet:

Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. (Gen 3,4-6)

Die Folgen aber sind fatal. Nicht die von der Schlange versprochene Göttlichkeit wird den Menschen zuteil, sondern Gott wird den Menschen aus dem Paradies vertreiben. Das Vertraute Miteinander der Menschen untereinander, zwischen Mensch und Gott und Mensch und Natur ist fortan gestört. Die einzige Erkenntnis, die Adam und Eva nach dem Verzehr der Frucht des Baumes gewinnen, ist die, dass sie nackt sind, und sie bedecken ihre Blöße mit Feigenblättern.

Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. (Gen3,7)