Über den Altvater Johannes

Als der Altvater Johannes an seinem Ende war und bereitwillig und freudig zum Herrn ging, standen die Brüder im Kreis um ihn herum und wünschten, dass er ihnen ein gedrängtes Heilswort als Erbschaft hinterlasse, mit dessen Hilfe sie zur Vollendung in Christus kommen könnten. Er seufzte und sagte:

„Nie habe ich meinen eigenen Willen getan, und ich habe keinen etwas gelehrt, was ich nicht vorher selbst getan hatte.“

Apophthegmata Patrum

Hl. Pantaleon

Pantaleon bedeutet der „Löwenstarke“, die griechische Form des Namens lautet Panteleimon, was der ganz Mitfühlende heißt. Die Verbindung von Erbarmen und Stärke macht uns erst fähig, anderen Menschen wirksam zu helfen. Wer mitfühlend ist, aber keine innere Stärke besitzt, der verliert sich leicht an die Menschen, denen er helfen will. Wer aber Stärke ohne Erbarmen besitzt, der neigt leicht dazu, andere für seine Zwecke zu missbrauchen. Pantaleon hat zu innerer Ruhe und Stärke gefunden und es dabei nie aufgegeben, sich der Menschen zu erbarmen.

Pantaleon wurde wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Nikomedien geboren. Er war der Sohn eines heidnischen Senators, seine Mutter aber war Christin. Schon als Kind erkannte man seine Heilkräfte und sein Vater ließ ihn die Heilkunst erlernen. Ein heiliger Mann namens Hermelins unterwies ihn im christlichen Glauben, doch erst als ein von einer Schlange gebissenes Kind, für das keine Hoffnung mehr bestand, durch die Anrufung des Namens Jesu Christi geheilt wurde, ließ Pantaleon sich taufen.

Seine Fähigkeiten kamen dem Kaiser zu Ohren und Pantaleon wurde der Leibarzt des Kaisers Maximian. Dieses hohe Amt hinderte ihn aber nicht daran, auch dem einfachen Volk zu helfen. Unentgeltlich nahm er sich der körperlichen und seelischen Nöte der Armen an und unterstützte viele mit seinem Vermögen. Die Ostkirche verehrt ihn daher als einen der “Hagioi anargyrioi”, der unentgeltlich Helfenden.

Sein christlicher Glaube blieb nicht verborgen. Die Heilung eines Blinden überzeugte schließlich auch seinen Vater, der sich lange dagegen gesträubt hatte, und er ließ sich taufen. Es heißt, dass Pantaleon auch die Frau des Kaisers Maximian zum Christentum bekehren wollte. Er wurde beim Kaiser, der das Christentum nicht duldete, angezeigt. Maximian wollte seinen geschätzten Arzt zum Abfall vom Christentum und zum Opfer für die heidnischen Götter überreden, doch Pantaleon blieb standhaft:

„Lieber sollen meine Hände verdorren, als dass ich sie zum Schwur der heidnischen Götter erhebe.“

Daraufhin musste er viele Qualen erdulden, er wurde ohne Nahrung in einen Kerker gesperrt und mit glühendem Blech gebrannt, doch nichts konnte ihm schaden. Als man ihn ertränken wollte, spülten ihn die Wellen an Land, wilde Tiere wurden zahm und taten ihm kein Leid. Schließlich band man ihn an einen Olivenbaum und schlug ihn mit Ruten, bis er voller Wunden war, aus denen Blut rann.

„Wo aber sein Blut hinging, da wurde alles grün und schön und der dürre Ölbaum begann zu blühen und trug süße Frucht. Und überall wo sein Blut hinkam, ward alles voller Rosen, Lilien und Veilchen.“

Schließlich band man ihm die Hände über dem Kopf zusammen. Einen großen Nagel schlug man durch die Hände bis in seinen Kopf. So stand er da, gemartert, gebunden und starb vor den Augen des Volkes, das zu diesem Schauspiel zusammengeströmt war. Viele bewunderten seine Standhaftigkeit und ließen sich taufen. Man sammelte sein Blut in kleinen Fläschchen. Pantaleon starb im Jahr 305. Sofort setzte die Verehrung des heiligen Arztes ein. Bis heute gehört er zu den vierzehn Nothelfern.

Leben im Haus der Liebe

Rublev_DreifaltigkeitWir machen im Leben oft die Erfahrung, dass unser Streben nach Glück bedroht wird von unseren eigenen Ängsten, die uns daran hindern, das zu tun, wonach wir Verlangen haben. Auch von außen werden wir ständig bedroht von Stimmen, die uns niederdrücken wollen. So werden wir leicht mutlos und gewinnen gar den Eindruck, dass wir letztlich zu nichts taugen. Doch das ist eine Täuschung, die es zu überwinden gilt. Auch hierzu kann uns die Erzählung von der Begegnung Abrahams mit den drei Männern eine Hilfe sein.

Die drei Männer oder drei Engel, als die sie auch vorgestellt werden, wurden schon früh als ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes gedeutet. Denn obgleich sie als drei erscheinen, ist es der eine Herr, der durch sie spricht. Andrej Rublev hat diese Begebenheit zu seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone inspiriert. Und diese Ikone wiederum wurde für Henri Nouwen zu einem Bild für das Haus der Liebe. Er sagt:

„Für mich wurde die Betrachtung dieser Ikone immer mehr ein Weg, tiefer in das Geheimnis des göttlichen Lebens einzutreten und gleichzeitig ganz und gar engagiert zu bleiben in dem Ringen unserer hass- und angsterfüllten Welt.“

Wenn wir die drei göttlichen Personen auf der Ikone betrachten, so sehen wir sie in einem vertrauten Gespräch vereint, in vollkommener Liebe, Ruhe und Harmonie. Und doch ist der Kreis der drei Personen nicht in sich geschlossen, sondern der Betrachter fühlt sich eingeladen, in diesen Kreis einzutreten und dort selbst Vertrautheit und Liebe zu erfahren. Henri Nouwen sagt:

„Während ich lange Stunden vor Rublevs Dreifaltigkeit saß, merkte ich, wie allmählich mein Schauen zum Gebet wurde. Dieses schweigende Gebet ließ nach und nach meine innere Unrast hinwegschmelzen und hob mich empor in den Kreis der Liebe, einen Kreis, der von den Mächten der Welt nicht durchbrochen werden konnte. … Ich wusste, dass das Haus der Liebe, in das ich eingetreten war, keine Grenzen hat und jeden umgibt, der dort wohnen will.“

Es muss nicht Rublevs Ikone sein. Es gibt viele Bilder und Texte, die uns zu unserer Wohnung im Haus der Liebe führen können. Gerade in den Stunden der Unruhe und der Angst ist es wichtig, dass wir uns diese Texte und Bilder in Erinnerung rufen und uns durch sie zu unserer Mitte führen lassen. Nicht Angst und Hass sind der Ort, an dem wir das Leben finden, sondern allein das Haus der Liebe.

Manchmal spüren wir, dass uns unser Haus verloren gegangen ist, wir fühlen uns schutzlos dem ausgeliefert, was auf uns einströmt, winden uns hin und her und finden keinen Ort, an dem wir Ruhe und Geborgenheit erfahren. Diese Not quält uns, sosehr dass wir meinen, dass unser Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint. Und die Menschen, deren Nähe wir suchen, scheinen sich noch weiter von uns zu entfernen.

Ich weiß nicht, ob es uns gelingen kann, allein mit unseren Kräften in der Welt uns dieses Haus der Liebe zu bauen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dieses Haus der Liebe bereits existiert. Seine Tür steht weit offen für jeden, der eintreten möchte. Den Weg dahin gilt es zu finden, die Wegweiser gilt es zu erkennen und zu deuten.

Kehren wir noch einmal zur Ikone zurück und versuchen wir, ihren Wegweiser zum Haus der Liebe zu deuten. Drei Engel sitzen an einem Tisch beieinander. Ihre Haltung drückt Verbundenheit aus, sie scheinen einen Kreis zu bilden, der von tiefer Vertrautheit Zeugnis gibt. Und doch scheint dieser Kreis nicht geschlossen, sondern offen für den Betrachter, der somit eingeladen ist, in diese liebevolle Vertrautheit einzutreten. In der Mitte des Tisches steht in einer Schale das Lamm, das Abraham für die drei zubereiten ließ und das zugleich ein Symbol ist für den Opfertod Christi.

„Dieses Opferlamm ist die Mitte der Ikone. Die Hände von Vater, Sohn und Geist deuten seinen Sinn auf verschiedene Weise: Der Sohn in der Mitte weist mit zwei Fingern darauf und deutet so auf seinen Auftrag hin, Opferlamm zu werden, und zwar durch die Menschwerdung menschliches und göttliches Opferlamm zugleich. Der Vater zur Linken ermutigt den Sohn mit einem Segensgestus. Und der Geist, der den gleichen Herrscherstab trägt wie Vater und Sohn, zeigt dadurch, dass er auf die viereckige Öffnung vor dem Altar deutet, an, dass dieses göttliche Opfer ein Opfer ist für die Erlösung der Welt.“ (Henri Nouwen)

Wir glauben, dass uns Christus durch sein Leben und seinen Tod den Weg in die Mitte des göttlichen Lebens erschlossen hat. Durch ihn sind wir hineingenommen in diese liebevolle Vertrautheit, die in der Ikone zum Ausdruck kommt. Jesus selbst nennt sich den Weg, der zum Vater führt. Er hat uns gezeigt, wie wir leben sollen, damit wir zum Haus der Liebe gelangen.

Aber diesen Weg zu gehen ist nicht allein unsere Anstrengung. Es ist ein Geschenk, das Gott uns macht. Daher das Opfer. In seiner Liebe hat Christus sich für uns hingegeben. Er hat damit für uns alle den Eintrittspreis bezahlt in das Haus der Liebe. Wenn wir sein Geschenk annehmen, dürfen wir kostenlos eintreten. Wir sind gerufen, in diese Mitte der göttlichen Liebe einzutreten und von dort auf die Welt zu blicken, von dieser Mitte aus in der Welt zu handeln. Nur wenn wir so in Gottes Liebe sind, können wir ganz bei uns und ganz bei den Menschen sein.

In einem Jahr, wird deine Frau Sara einen Sohn haben … (Gen 18,1-10)

Wie gern würden wir in die Zukunft blicken und wissen, was uns erwartet, gerade dann, wenn es um unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte geht. Abraham und Sara wünschten sich ein Kind. Sie waren schon alt, es schien so, als könnte dieser Wunsch nie mehr in Erfüllung gehen. Und doch hatte Gott einst zu Abraham gesagt, dass er der Vater vieler Völker sein werde. Doch wie sollte das möglich sein, ohne Nachkommen?

Zwar haben wir keine so großen Verheißungen von Gott bekommen wie Abraham, aber doch wünschen wir uns, einfach glücklich zu sein. Viele Menschen möchten den Partner für das Leben finden, mit dem eine gemeinsame Zukunft möglich ist, wünschen sich Kinder, und wünschen sich, dass auch beruflich im Leben alles soweit in Ordnung geht, dass die Familie ein gutes Leben haben kann.

Viele spüren die Sehnsucht danach, mehr aus ihrem Leben zu machen, als einfach nur arbeiten zu gehen und eine geregelte Existenz zu haben. Ein erfülltes Leben, darunter stellen sich viele Menschen unterschiedliche Dinge vor. Aber wie kann ich dieses erfüllte Leben finden? Wo ist mein Platz in dieser Welt? Wann ist die Zeit dafür da, dass endlich eintrifft, was ich ersehne?

Nächstes Jahr komme ich wieder …

Wie schön wäre es zu wissen, dass nächstes Jahr um diese Zeit im Leben eine entscheidende Wendung eingetreten ist, dass ich in einem Jahr um diese Zeit mit einem lieben Menschen zusammen bin, dass ich in einem Jahr um diese Zeit mich nicht mehr mit diesem und jenem Problem herumschlagen muss, dass in einem Jahr um diese Zeit ein entscheidender Schritt in der Berufswahl getan ist und ich meinem Platz in dieser Welt gefunden habe.

Kann ich mit dieser Hoffnung leben, oder überkommt mich die Hoffnungslosigkeit, wenn ich daran denke, dass wieder aus eine Bekanntschaft mit einem lieben Menschen keine Beziehung geworden ist, dass ich im Beruf keinen Schritt vorwärts komme, dass ich immer noch nicht weiß, wohin ich in meinem Leben gehen soll?

Manchmal möchten wir aus lauter Verzweiflung viel lieber den Kopf in den Sand stecken, jammern und Trübsal blasen, einfach nichts mehr tun, weil wir denken, es hat doch alles keinen Sinn, es bringt uns nicht weiter und wir werden nie das finden, wonach wir im tiefsten Grund unseres Herzens suchen.

Vielleicht kann uns in solchen Situationen die Geschichte von Abraham Mut machen. Plötzlich kamen da drei Männer, ein seltsamer Besuch. Und schweigsame Leute scheinen es gewesen zu sein. Als Abraham sie sieht, steht er auf und geht ihnen entgegen, obwohl es zur Zeit der Mittagshitze viel angenehmer gewesen wäre, im Schatten des Zeltes sitzen zu bleiben. Ohne langes Fragen tut Abraham, was das Gebot der Gastfreundschaft verlangt, er bittet sie zu bleiben und lässt schnell ein sättigendes Mahl zubereiten. Es soll ihnen an nichts fehlen und sie sollen ausgeruht und gestärkt von ihm aufbrechen können.

Das Leben weiterleben und offen sein für Begegnungen, aufstehen und etwas tun, wenn die Zeit dafür da ist, das ist eine Weisung, die uns diese Geschichte geben kann. Abraham hat nicht resigniert, er hat sein Leben einfach weitergelebt, obwohl seine Sehnsucht ungestillt blieb. Manch einer hätte da schon längst gefragt, was das alles bringen soll, hätte in den Tag hinein gelebt, wäre gar einer Sucht verfallen und hätte so noch mehr kaputt gemacht.

Abraham aber hat seine Hoffnung nie aufgegeben. Er hätte ja seine Sehnsucht vergessen können und es sich in seinem Leben schön einrichten können. Viele können nicht warten, bis ihre tiefste Sehnsucht erfüllt wird, sondern geben sich mit vordergründigem zufrieden. Wenn der Partner nicht kommt, mit dem ich eine innige Verbundenheit spüre, dann nehme ich halt jemand, bei dem es auch irgendwie passt. Wenn ich im Beruf nicht die Stelle finde, bei der ich mich ganz einbringen kann, dann mache ich halt das, was mir auch einigermaßen gefällt … Leben auf Sparflamme. Und was bleibt am Ende?

So will ich stets nach dem Größeren mich ausstrecken, bis ich wirklich merke, dass meine Sehnsucht erfüllt ist. Auch wenn es lange dauert und ich so manche Durststrecke zu durchleben habe. Aber ich will nicht nur das halbe Glück, nicht nur das halbe Leben. Und wenn ich stets die Sehnsucht in mir wach halte und sie nicht mit vordergründigem verdecke, wenn ich offen bin für das, was das Leben mir bringt, dann wird auch in meinem Leben der Moment kommen, in dem ich spüre: Ja, jetzt ist die Erfüllung ganz nahe und in einem Jahr werde ich ein ganz neuer Mensch sein, dann ist das Alte vergangen und etwas Neues geworden. Und es wird ein Glück sein, das ich mir jetzt kaum vorstellen kann.

Abbas Pambo (um 303 – 374)

Altvater Pambo lebte als Einsiedler in der Nitrischen Wüste in Ägypten und war ein Zeitgenosse von Antonius dem Großen. Er ist bekannt für sein Schweigen. Als der Patriarch Theophilus von Alexandrien die Nitrische Wüste bereiste und dessen Begleiter Pambo um ein Wort für ihn baten, sagte er: „Wenn mein Schweigen ihm keine Hilfe ist, dann werden es auch meine Worte nicht sein.“ Im Alter strahlte sein Gesicht wie das Gesicht des Mose, so dass ihm keiner ins Angesicht blicken konnte. Vierzehn Apophthegmata sind von ihm erhalten, von denen ich vier hier vorstellen möchte:

Es war ein Altvater mit Namen Pambo, und von dem sagte man, dass er drei Jahre damit verbrachte, Gott zu bitten, dass er ihn nicht auf Erden verherrliche. Und Gott verherrlichte ihn so, dass niemand ihm ins Angesicht schauen konnte wegen des Glanzes, den sein Angesicht hatte.

Das hatte er vor vielen voraus, dass er, um ein Wort der Schrift oder einen geistlichen Gegenstand befragt, nicht auf der Stelle antwortete, sondern sagte, er verstehe die Stelle nicht, und wenn er weiter gefragt wurde, gab er überhaupt keine Antwort.

Athanasios, der Erzbischof von Alexandrien heiligen Angedenkens, lud den Altvater Pambo ein, aus der Wüste nach Alexandrien zu kommen. Er kam und sah dort eine Tänzerin und brach in Tränen aus. Die Anwesenden fragten ihn, warum er weine. „Zwei Dinge“, sagte er, „haben mich bewegt: das erste ist ihr Verderben, das zweite, dass ich nicht so großen Eifer entfalte, Gott zu gefallen, wie sie, schlechten Menschen zu gefallen.“

Als er im Sterben lag, sagte Pambo in der Todesstunde zu den heiligen Männern, die ihn umstanden: „Seitdem ich an diesen Ort in der Wüste gekommen bin und mir das Kellion erbaut habe, erinnere ich mich nicht, weder Brot gegessen zu haben, das ich nicht durch Handarbeit erworben hatte, noch empfinde ich Reue über ein Wort, das ich gesprochen habe, bis zu dieser Stunde. Und doch gehe ich zu Gott als einer, der nicht einmal angefangen hat, Gott zu dienen.

Sendung (Lk 10,1-12)

Wir hören an diesem Sonntag das Evangelium von der Aussendung der Zweiundsiebzig. 72, das ist 6 mal 12. Zwölf ist die Zahl des Volkes. Das Volk Israel hat zwölf Stämme, das neue Volk Gottes baut Jesus auf die Grundsteine der zwölf Apostel. Zwölf ist aber auch die Zahl der Vollkommenheit. Die zwölf Monate machen den Jahreskreis aus, nach antiker Zeitrechnung haben Tag und Nacht jeweils zwölf Stunden. Das himmlische Jerusalem hat zwölf Tore.

Wir können in der Vollkommenheit, die durch die Zahl Zwölf symbolisiert wird, die kosmische bzw. himmlische Vollkommenheit sehen, im Gegensatz zur Welt, die nur von bedingter Vollkommenheit ist, da sie begrenzt und zeitlich ist. Die Symbolzahl für die irdische Vollkommenheit ist die Sechs, die Hälfte der Zwölf. Multipliziert man die Sechs als Zahl der irdischen Vollkommenheit mit der Zwölf, der Zahl für das Volk, so erhält man die Zweiundsiebzig als Zahl der Völker dieser Welt. Genau diese Anzahl von Völkern findet sich auch in der großen Völkertafel im 10. Kapitel des Buches Genesis. Nur nebenbei bemerkt: Die himmlische Zahl aller Völker wird dann wieder Zwölf mal Zwölf sein. Nicht umsonst werden 144-mal Tausend am Ende gerettet werden (was also symbolisch und nicht als konkrete Zahl zu verstehen ist).

Beda Venerabilis sagt:

Es ist ganz passend, dass zweiundsiebzig gesandt werden, denn genau so vielen Völkern musste das Evangelium verkündigt werden. Zuerst wurden die Zwölf erwählt wegen der zwölf Stämme Israels, dann die Zweiundsiebzig, um die übrigen Völker zu lehren.

Jesus Christus sendet seine Boten zu allen Völkern dieser Welt. Er selbst will der Herr aller Völker sein. Während seines Lebens ist er nur zum Volk Israel gesandt, doch nach dem Pfingstfest gehen die Boten hinaus zu allen Völkern der Erde.

Der Herr selbst ist es, der die Boten ruft in seinen Dienst. Nicht in ihrem Namen gehen sie, nicht sie hatten die Idee, zu gehen, sondern der Ruf des Herrn hat sie getroffen und sie sind ihm gefolgt. Die Boten lassen sich dorthin senden, wohin der Herr selbst gehen will. Im Gesandten ist der gegenwärtig, der sendet. Die Boten sind nicht nur zweiter oder dritter Rang gegenüber dem Herrn, sondern wenn sie kommen, bringen sie selbst den Herrn zu den Menschen. Dies bedeutet auch, dass sie so leben müssen wie er es will, damit er ihn ihnen sichtbar wird.

Er sandte sie zu zweien zur Predigt aus, weil es zwei Gebote der Liebe gibt: die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Und es gibt keine Liebe, wo weniger sind als zwei. Ohne darüber zu sprechen, belehrt uns der Herr damit, dass jemand, der zum Nächsten keine Liebe hat, das Amt der Verkündigung nicht übernehmen darf. (Gregor der Große)

Auch die Apostel werden zu zweit berufen und in den Apostellisten in Zweiergruppen aufgeführt. Glaubensverkündiger sind keine Einzelkämpfer. Wir vergessen das heute oft. Ist das vielleicht ein Grund, der unsere Kirche heute so lähmt in ihrer Verkündigung, weil viele Priester allein sind in ihrem Dienst, allein oft auf weiter Flur, wenn sie ein immer größeres Pfarrgebiet „verwalten“ müssen?

Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind … Es gibt keine Liebe wo weniger sind als zwei … Herr, schenke uns Gefährten auf unserem Weg, damit wir wahrhaft zu Boten deiner Liebe werden können.

Verbunden mit dem Strom des Lebens (Jes 66, 10-14)

Verbunden sein, das hat in Zeiten des Internet eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Nahezu an jedem Ort besteht die Möglichkeit, in Sekundenschnelle mit Menschen aus aller Welt in Kontakt zu treten. Viele können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. Wie war es bis vor wenigen Jahren überhaupt möglich, ohne Smartphone und Flatrate Kontakte zu pflegen?

Die Menschen zur Zeit des Propheten Jesaja hatten andere Sorgen. Das Land war zerrüttet von Krieg, Hunger und Krankheiten quälten die Menschen. Wie sollte es weitergehen? Das Leben war bestimmt vom nackten Kampf ums Überleben. Da sollen die Worte des Propheten Mut machen:

Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach.

Jerusalem im abgelegen Bergland Judäas soll nicht länger abgeschnitten sein von den großen Handelsströmen der weiten Welt, die Wohlstand und Macht versprechen. Die Stadt soll zu einem Zentrum werden, in dem sich Menschen aus allen Nationen versammeln. Doch was hat Jerusalem zu bieten? Nichts Geringeres als die Wohnung Gottes unter den Menschen, der im Allerheiligsten des Tempels gegenwärtig ist.

Gott wohnt unter den Menschen und erfüllt die Stadt, in der er wohnt, mit Segen. Bäche des Friedens und des Wohlstandes werden die Stadt tränken, die jetzt noch in der Trockenheit von Armut und Krieg dahinsiecht. Was vertrocknet ist, blüht auf, frisches Grün wächst. Wie Kinder auf dem Schoß der Mutter, so fühlen sich die Menschen in der Stadt Gottes geborgen. Es sind schöne Bilder von Glück und Frieden, die uns Gott durch den Propheten zeigt. Bilder, die auch für uns heute Realität werden können.

Fühlen nicht auch wir uns trotz Internet und Handy oftmals getrennt von den Menschen um uns? Wir haben Kontakte in die weite Welt, aber zum Menschen neben uns finden wir oft nicht den richtigen Draht. Und wie ist es mit unserem Kontakt nach oben, zu Gott?

Gott will den Kontakt zu uns herstellen, er will uns anbinden an den Strom des Lebens, will uns tränken mit den Wassern des Friedens und uns den Reichtum seiner Gnade schenken. Lassen wir Gott ein in unsere Herzen. Durchbrechen wir die Wälle des Hasses und der Gewalt, die uns vertrocknen lassen. Durchbrechen wir die Dämme unserer Ichsucht, dass Gottes Liebe in unsere Herzen fließen kann. Geben wir uns ganz in Gottes Arme. Er will uns umfangen, wie eine liebende Mutter ihr Kind.

Radikales Vertrauen

Im Evangelium (Lk 9,57-62) spricht Jesus vom Ernst der Nachfolge. Keinen Ort, um das Haupt hinzulegen, keine Zeit, die Toten zu begraben, keine Zeit, Abschied von der Familie zu nehmen, ja nicht einmal Zeit, sich nochmals umzusehen.

Ist das nicht ein Widerspruch zu dem, was wir in den beiden Lesungen gehört haben? Elischa verabschiedet sich noch von seiner Familie. Gott will uns Leben in Fülle schenken. Aber Jesus will, dass wir alles zurücklassen, was uns lieb und teuer ist, ohne jemals mehr einen Gedanken daran zu verschwenden.

Sicher gilt dieser Ruf nicht für alle Menschen. Er gilt für den engen Kreis der Jünger. Aber die Anhängerschaft Jesu beschränkt sich nicht auf diesen Kreis. In den Evangelien hören wir davon, dass es auch Jünger gibt, die in ihrer Heimat bleiben und dort an ihrem Ort das Evangelium verkünden.

Aber was sind das für Leute, die Jesus radikal nachfolgen? Im ersten Teil des Evangeliums treten Jakobus und Johannes auf, die Feuer vom Himmel auf ein Dort fallen lassen wollen, das sie und den Meister nicht aufnimmt. Kommt uns eine solche Einstellung nicht bekannt vor? Jesus weist sie zurecht. Aber haben nicht doch die Kritiker Recht, die den monotheistischen Religionen die Schuld geben für so manches Unheil in dieser Welt?

Viele verbinden mit radikalen Menschen negative Vorstellungen. Radikale Gruppen stören die Ordnung, zetteln Aufstände an, sind eine Bedrohung für den inneren Frieden. Das ist so, weil sich Radikalität oft gegen die anderen richtet, die nicht so denken.

Doch die Radikalität, die Jesus fordert, ist eine andere. Sie soll nicht nach Außen gerichtet sein, sondern nach Innen. Radikal soll jeder zu sich selbst sein in der Nachfolge des Herrn, nach außen aber soll er die Liebe leben.

Jesus zeigt den Jüngern durch drei Beispiele, wie er sich radikales Leben vorstellt. Wenn einer radikal sein möchte, dann soll er Jesus radikal folgen, er soll sein Haus verlassen, ohne damit rechnen zu können, ein Dach über dem Kopf zu haben, er soll sogar um Jesu Willen die höchste Pflicht eines Menschen, seine Eltern zu begraben, vernachlässigen und auch ein Abschied von der Familie wird verwehrt.

Wer in die radikale Nachfolge Jesu eintreten möchte, für den fängt damit ein ganz neues Leben an und jegliches Zurückblicken auf das frühere wird verwehrt: Wer die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt nicht für das Reich Gottes.

Wir fragen uns sicher: Wer kann so radikal Jesus nachfolgen? Wer Jesus folgen will, kann dies nicht unter Zwang tun, sondern nur aus einem grenzenlosen Vertrauen heraus in Gottes Güte und Barmherzigkeit. Nur wenn ich weiß, dass Gott mich keinen Mangel und keine Not leiden lassen wird, wenn ich ihm mein Leben schenke, kann ich das loslassen, was mich daran hindert, Jesus nachzufolgen.

Für jeden von uns gilt die Frage: Was hindert mich noch daran, Jesus ganz zu folgen, woran klammere ich mich und was kann ich loslassen, um zu einer größeren Freiheit zu finden? Bitten wir um den Mut, stets das zu tun, was Gott von uns möchte – im Vertrauen darauf, dass wir dadurch nichts verlieren, sondern umso mehr von Gott hinzu bekommen werden.