Wir machen im Leben oft die Erfahrung, dass unser Streben nach Glück bedroht wird von unseren eigenen Ängsten, die uns daran hindern, das zu tun, wonach wir Verlangen haben. Auch von außen werden wir ständig bedroht von Stimmen, die uns niederdrücken wollen. So werden wir leicht mutlos und gewinnen gar den Eindruck, dass wir letztlich zu nichts taugen. Doch das ist eine Täuschung, die es zu überwinden gilt. Auch hierzu kann uns die Erzählung von der Begegnung Abrahams mit den drei Männern eine Hilfe sein.
Die drei Männer oder drei Engel, als die sie auch vorgestellt werden, wurden schon früh als ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes gedeutet. Denn obgleich sie als drei erscheinen, ist es der eine Herr, der durch sie spricht. Andrej Rublev hat diese Begebenheit zu seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone inspiriert. Und diese Ikone wiederum wurde für Henri Nouwen zu einem Bild für das Haus der Liebe. Er sagt:
„Für mich wurde die Betrachtung dieser Ikone immer mehr ein Weg, tiefer in das Geheimnis des göttlichen Lebens einzutreten und gleichzeitig ganz und gar engagiert zu bleiben in dem Ringen unserer hass- und angsterfüllten Welt.“
Wenn wir die drei göttlichen Personen auf der Ikone betrachten, so sehen wir sie in einem vertrauten Gespräch vereint, in vollkommener Liebe, Ruhe und Harmonie. Und doch ist der Kreis der drei Personen nicht in sich geschlossen, sondern der Betrachter fühlt sich eingeladen, in diesen Kreis einzutreten und dort selbst Vertrautheit und Liebe zu erfahren. Henri Nouwen sagt:
„Während ich lange Stunden vor Rublevs Dreifaltigkeit saß, merkte ich, wie allmählich mein Schauen zum Gebet wurde. Dieses schweigende Gebet ließ nach und nach meine innere Unrast hinwegschmelzen und hob mich empor in den Kreis der Liebe, einen Kreis, der von den Mächten der Welt nicht durchbrochen werden konnte. … Ich wusste, dass das Haus der Liebe, in das ich eingetreten war, keine Grenzen hat und jeden umgibt, der dort wohnen will.“
Es muss nicht Rublevs Ikone sein. Es gibt viele Bilder und Texte, die uns zu unserer Wohnung im Haus der Liebe führen können. Gerade in den Stunden der Unruhe und der Angst ist es wichtig, dass wir uns diese Texte und Bilder in Erinnerung rufen und uns durch sie zu unserer Mitte führen lassen. Nicht Angst und Hass sind der Ort, an dem wir das Leben finden, sondern allein das Haus der Liebe.
Manchmal spüren wir, dass uns unser Haus verloren gegangen ist, wir fühlen uns schutzlos dem ausgeliefert, was auf uns einströmt, winden uns hin und her und finden keinen Ort, an dem wir Ruhe und Geborgenheit erfahren. Diese Not quält uns, sosehr dass wir meinen, dass unser Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint. Und die Menschen, deren Nähe wir suchen, scheinen sich noch weiter von uns zu entfernen.
Ich weiß nicht, ob es uns gelingen kann, allein mit unseren Kräften in der Welt uns dieses Haus der Liebe zu bauen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dieses Haus der Liebe bereits existiert. Seine Tür steht weit offen für jeden, der eintreten möchte. Den Weg dahin gilt es zu finden, die Wegweiser gilt es zu erkennen und zu deuten.
Kehren wir noch einmal zur Ikone zurück und versuchen wir, ihren Wegweiser zum Haus der Liebe zu deuten. Drei Engel sitzen an einem Tisch beieinander. Ihre Haltung drückt Verbundenheit aus, sie scheinen einen Kreis zu bilden, der von tiefer Vertrautheit Zeugnis gibt. Und doch scheint dieser Kreis nicht geschlossen, sondern offen für den Betrachter, der somit eingeladen ist, in diese liebevolle Vertrautheit einzutreten. In der Mitte des Tisches steht in einer Schale das Lamm, das Abraham für die drei zubereiten ließ und das zugleich ein Symbol ist für den Opfertod Christi.
„Dieses Opferlamm ist die Mitte der Ikone. Die Hände von Vater, Sohn und Geist deuten seinen Sinn auf verschiedene Weise: Der Sohn in der Mitte weist mit zwei Fingern darauf und deutet so auf seinen Auftrag hin, Opferlamm zu werden, und zwar durch die Menschwerdung menschliches und göttliches Opferlamm zugleich. Der Vater zur Linken ermutigt den Sohn mit einem Segensgestus. Und der Geist, der den gleichen Herrscherstab trägt wie Vater und Sohn, zeigt dadurch, dass er auf die viereckige Öffnung vor dem Altar deutet, an, dass dieses göttliche Opfer ein Opfer ist für die Erlösung der Welt.“ (Henri Nouwen)
Wir glauben, dass uns Christus durch sein Leben und seinen Tod den Weg in die Mitte des göttlichen Lebens erschlossen hat. Durch ihn sind wir hineingenommen in diese liebevolle Vertrautheit, die in der Ikone zum Ausdruck kommt. Jesus selbst nennt sich den Weg, der zum Vater führt. Er hat uns gezeigt, wie wir leben sollen, damit wir zum Haus der Liebe gelangen.
Aber diesen Weg zu gehen ist nicht allein unsere Anstrengung. Es ist ein Geschenk, das Gott uns macht. Daher das Opfer. In seiner Liebe hat Christus sich für uns hingegeben. Er hat damit für uns alle den Eintrittspreis bezahlt in das Haus der Liebe. Wenn wir sein Geschenk annehmen, dürfen wir kostenlos eintreten. Wir sind gerufen, in diese Mitte der göttlichen Liebe einzutreten und von dort auf die Welt zu blicken, von dieser Mitte aus in der Welt zu handeln. Nur wenn wir so in Gottes Liebe sind, können wir ganz bei uns und ganz bei den Menschen sein.