Die Seligpreisungen (2)

Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. (Mt 5,4)

Trauer kann vielfältige Formen haben, sie kann Trauer um den Verlust eines lieben Menschen sein. Menschen leiden aber oft auch an den konkreten Verhältnissen, in denen sie leben. Unter den Zuhörern Jesu waren sicher viele, die kaum das Nötigste zum Leben hatten und Unterdrückung und Ausbeutung am eigenen Leib erfahren mussten. Sie alle dürfen darauf hoffen, dass es jemanden gibt, der sie ernst nimmt mit ihren Sorgen und Nöten und sie nicht mit leeren Worten vertröstet. Auch wenn es oft nicht so scheint, ist in jeder Lage ein Ausweg möglich. Gottes Zusage gibt Hoffnung und macht Mut, einen neuen Anfang zu wagen.

In der frühen Auslegung sah man in den Trauernden vor allem diejenigen, die über ihre Sünden trauern. Wie bei der vorangegangenen Seligpreisung der Armen, sollten wir uns auch hier davor hüten, Trauer nur in einem spirituellen Sinn zu sehen. Wie es verschiedene Formen von Armut gibt, so gibt es auch verschiedene Formen der Trauer. Jesu Aussagen sind immer konkret und daher meint er jede Form von Trauer, die über unser eigenes Versagen, über uns angetanes Unrecht oder über einen schmerzlichen Verlust. All diese Formen der Trauer sind “gottgewollt” und wenn wir ihnen im Vertrauen auf Gottes Hilfe Zeit und Raum in unserem Leben gewähren, wird Gottes Trost erfahrbar.

Jesus selbst hat das Leid und Trauer auf sich genommen. Er wusste, dass zum menschlichen Leben nicht nur die Freude gehört, sondern ebenso das Leid. Wer nur die Freude sieht, ist in Gefahr, oberflächlich zu werden. Wer auch Leid erfahren hat, dringt leichter in die Tiefe und überlässt sich eher hoffend und vertrauend Gott. Aber doch hat Jesus nie die Trauer und das Leid verherrlicht. Sie gehören zum Leben. Man soll sie annehmen, aber nicht suchen.

Doch wie kommt Jesus dann dazu, die Trauernden selig zu preisen, sie ob ihrer Trauer zu beglückwünschen? Wie kann er das tun, ohne dass es für die Trauernden unpassend, stillos wirkt oder als leere Vertröstung auf die Zukunft? Ist Trauer nicht vielmehr etwas, das nicht sein sollte, nicht sein darf? Jesus stellt hier wie so oft unser alltägliches Empfinden auf den Kopf. Jesus will uns sagen, dass mit seinem Wirken das Himmelreich bereits angebrochen ist. Jesus nimmt den Menschen ihre Not und beseitigt damit die Ursache ihrer Trauer. Wer einen Grund zur Trauer hat, bekommt damit zugleich die Möglichkeit geschenkt, Gottes Trost auf eine neue, überwältigende Weise zu erfahren. Dieser Trost Gottes aber ist es, der die Menschen selig, glücklich macht.

Das ist alles schön gesagt, aber erfahren wir das auch? Zeigt uns unsere Erfahrung nicht viel mehr, dass es auch nach der angebrochenen Gottesherrschaft, nach der Auferstehung Jesu und nach der Sendung des Heiligen Geistes viel Trauer und viel Trauernde gibt? Die Wende zum Heil hat offensichtlich nicht zu einem Dauerzustand des Getröstet-Seins unter den Gläubigen geführt. Welchen Sinn hat also diese Seligpreisung der Trauernden noch für die Glaubenden, für uns heute? Es genügt nicht, zu sagen, es war einmal so zur Zeit Jesu und wird nach unserem Tod wieder so sein, dass Gott die Trauernden trösten wird. Dieser Trost muss vielmehr auch jetzt und heute konkret erfahrbar sein.
Die Seligpreisung der Trauernden ist in sich schon eine frohmachende Botschaft, weil sie im Trauern selbst ein Verhalten sieht, das den Keim der Gottesherrschaft in sich trägt und aus dem das Heil dieser Gottesherrschaft mitten in der Zeit zu einer trostspendenden Frucht heranreifen kann. Die Trauer selbst ist ein Teil des Reiches Gottes. Aber wie ist das möglich? Trauer tut doch weh, sie ist eine Herausforderung. Oft wird sie unterdrückt, wir scheuen uns davor, Trauer öffentlich zu zeigen.

Wenn wir aber Trauer zeigen können, so ist dies ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche. Wo wir dem Drang nach Erinnerung, nach Erzählen und Mitteilen, nach Verstehen und Aufarbeiten nachgeben, da kann Trauer ungemein lösend wirken, da führt sie uns behutsam zum Loslassen-Können, zum Versöhntwerden, zum Annehmen des Geschehenen, ja zu neuem Lebensmut und zu neuen Anfängen. Selig, wer so trauern kann, denn er wird darin dem tröstenden Gott begegnen!

Die Seligpreisungen (1)

Im vorangegangenen Kapitel hat Matthäus uns knapp vom ersten Auftreten Jesu berichtet, von seinem Ruf zur Umkehr, ersten Heilungen und der Berufung der ersten Jünger. Jesu Auftreten ist nicht ohne Wirkung geblieben. Viele Menschen waren spontan von ihm fasziniert und wollten mehr von ihm erfahren. Jesus sieht die Volksscharen, die ihm folgen, und steigt auf einen Berg, um zu ihnen zu sprechen.

“Selig sind …” Neun Mal gebraucht Jesus diese Formulierung. Wenn wir genau hinsehen, fällt uns auf, dass die erste und die achte Seligpreisung mit der Verheißung enden: denn ihnen gehört das Himmelreich. Die neunte unterscheidet sich stilistisch von den übrigen, hier heißt es nicht “Selig sind …” sondern “Selig seid ihr”. Auch dies wird als Belegt dafür gesehen, dass hier ein ursprüngliches Achter-Schema vom Evangelisten erweitert wurde.

Die neunte Seligpreisung ist deutlich länger und hat einen zweiten Abschnitt, der mit den Worten beginnt “Seid fröhlich und getrost”. Wenn man diesen zweiten Abschnitt als eigene Seligpreisung sieht, kommt man dann auf die Zahl von zehn Seligpreisungen, die als Parallele zu den Zehn Geboten gesehen werden kann. Ähnlich wie Mose in der Tora die Zehn Gebote den übrigen Gesetzen voranstellt, bilden für Jesus die Seligpreisungen den Auftakt zu seiner Lehre.

Bevor wir die Seligpreisungen im Einzelnen betrachten, noch ein kurzer Blick auf die Bedeutung des Begriffs “selig”. Im griechischen Urtext steht hier das Wort “makarios”, im Lateinischen “beatus”. Im Deutschen können wird das mit “selig, glücklich, gepriesen” wiedergeben. Freude und Heil für die Armen und Trauernden. Makarios, das ist kein Wort, bei dem man ruhig bleiben kann, das spurlos an einem vorübergeht. In dem Wort stecken Emotionen, es lässt uns aufstehen. Es ist eine Ermutigung. Ihr Armen und Trauernden bleibt nicht sitzen in eurem Elend. Erkennt und staunt, ihr seid zur Heiligkeit berufen, steht auf, die Freude und das Glück warten auf euch. Es ist nur ein kleiner Schritt, aber ihr müsst ihn wagen, ins Ungewisse, aber im Vertrauen darauf, dass Gott bei euch ist und euch beschenkt.

Wenn es etwas gibt, was die Heiligen kennzeichnet, dann ist es dies, dass sie wirklich glücklich sind. Sie haben das Geheimnis dieses echten Glücks entdeckt, das auf dem Grund der Seele wohnt und dessen Quelle die Gottesliebe ist. Darum werden die Heiligen seliggepriesen. Die Seligpreisungen sind ihr Weg und ihr Ziel zur Heimat hin. Die Seligpreisungen sind der Weg des Lebens, den der Herr uns lehrt, damit wir seinen Spuren folgen. (Papst Franziskus)

Die Heiligen, das sind alle, die Gottes Ruf folgen, die aufstehen und ein neues Leben wagen, mit Jesus auf sein Wort hin. Der Weg dieser Menschen unterscheidet sich grundlegend von dem der anderen Menschen in der Welt. Wer Jesus nicht kennt, dem mag dieser Weg unsinnig erscheinen, es ist in der Tat kein Weg, auf dem man zu irdischem Ruhm und Reichtum gelangt, aber er führt zu etwas, das wichtiger und größer ist als dies, er führt zu tiefem Glück und unvergänglicher Freude.

Schwach und Stark

Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten. (1Kor 1,27-28)

Gott ist den Weg nach unten gegangen, um uns Menschen nahe zu kommen. Er kam nicht als mächtiger Herrscher, sondern als schutzloses Kind. Als Erwachsener hat Gottes Sohn kein Heer um sich versammelt, sondern zwölf einfache Menschen. Er hat die Verachtung der Menschen erduldet und starb den schmachvollen Tod am Kreuz. Gerade dieser Tiefpunkt aber, die scheinbare Schwäche Gottes, lässt am Ostermorgen in der Auferstehung seine Kraft auf ungeahnte Weise deutlich werden. Was aus menschlichen Augen als Niederlage galt, wird zum größten Triumph.

Wer Jesus nachfolgt, muss wie er den Weg nach unten gehen, sich nicht an irdischen Besitz und Einfluss klammern, sondern vor der Welt als schwach und schutzlos erscheinen. Jeder aber, der diesen Weg geht, kann in seinem eigenen Leben erfahren, wie sich die scheinbare Schwäche in unbeschreibliche Stärke verwandelt. Wer sich nicht auf menschliche Macht verlässt, dem kann Gott eine ganz andere Kraft und einen ganz anderen Schutz schenken, die über das hinausgehen, was Menschen vermögen. Wer bereit ist, auf irdischen Besitz zu verzichten, dem kann Gott einen ganz anderen Reichtum schenken, der viel mehr wert ist als alles Geld der Welt.

Konkrete Beispiele für diesen Weg gibt Jesus uns in der Bergpredigt, die wir in den nächsten Tagen betrachten wollen. Uns Menschen fällt es schwer, diesen Weg zu gehen. Paulus will uns Mut machen, uns nicht davor zu fürchten, um der Nachfolge Jesu willen als schwach und gering vor der Welt zu erscheinen. Im Vertrauen auf Gottes Kraft dürfen wir so immer wieder die Wunder seiner Macht erleben.

Bekehrung des Apostels Paulus

Die Bekehrung des Apostels Paulus, die sich wahrscheinlich im Jahr 36 ereignet hat, ist ein sowohl für Paulus selbst als auch für die gesamte Weltgeschichte einschneidendes Ereignis. An diesem Tag wird aus dem Schriftgelehrten, der mit jüdischem Namen auch Saulus heißt, ein Verkünder des Evangeliums von Jesus Christus in nahezu der gesamten damals bekannten Welt. Aus der jungen Kirche wird eine Weltkirche, die bald im gesamten Römischen Reich und darüber hinaus vertreten ist.

Jesus Christus war gestorben und auferstanden. Die Botschaft davon haben zunächst die Zwölf Apostel in Jerusalem und Umgebung verkündet. Sie sind Jesus nachgefolgt und haben von ihm gelernt und verkünden nun das, was Jesus gesagt hat. Sie verkünden den Anbruch der Gottesherrschaft, die sich in einem gerechten Leben, Heilungen und der Hoffnung auf ein ewiges Leben bei Gott zeigt. Jesus Christus lebt und er schenkt allen, die an ihn glauben und ihm nachfolgen neues Leben.

Diese Botschaft der Erlösung und Befreiung fiel bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. Die obersten Führer der jüdischen Religion aber, Hohepriester und Schriftgelehrte, sahen darin einen Angriff auf die jüdische Religion. Jesus und die ersten Jünger waren Juden, aber sie gingen einen Weg, der nicht mehr dem entsprach, was die jüdischen Lehrer vorgaben. Mit seinen Predigten hatte Jesus das Gesetz des Mose, auf dem der jüdische Glaube beruht, neu ausgelegt und die Autorität der Schriftgelehrten massiv angegriffen.

Es kam zu Verfolgungen der ersten Christen in Jerusalem und Umgebung, an denen Paulus maßgeblich mitgewirkt hat. Er war anwesend, als Stephanus als erster Märtyrer für den Glauben an Jesus Christus sein Blut vergossen hat. Er will die Anhänger des neuen Weges aufspüren und vernichten und reist dazu im Auftrag der Hohenpriester bis nach Damaskus. Auf dem Weg nach Damaskus aber geschieht etwas, das sein Leben grundlegend verändert hat.

Vor Damaskus sieht Paulus ein helles Licht, das ihn zu Boden wirft und er hört eine Stimme, die zu ihm spricht. Paulus ist von diesem Ereignis überwältigt. Er braucht Tage, um sich davon zu erholen. Für ihn ist von nun an sicher, dass Jesus Christus selbst zu ihm gesprochen hat und ihn zum Apostel berufen hat, zum Verkünder des Glaubens an Jesus Christus in der ganzen Welt. Das junge Christentum hat einen neuen Apostel, der den Kreis der Zwölf ergänzt.

Berufung

Bei Kafarnaum, am See von Galiläa, dem See Gennesaret, beruft Jesus seine ersten Jünger. Auch dadurch zeigt sich der Aufgang des neuen Lichtes, denn in der Jüngerberufung zeigt sich Jesus als der Sohn Gottes. Er beruft seine Jünger, wie Gott selbst im Alten Testament die Propheten berufen hat.

Kommt her, folgt mir nach! (Mt 4,19)

Sogleich lassen sie alles zurück und folgen Jesus. Sie haben erkannt, dass alles, was sie bisher hatten, nichts war im Vergleich zu dem, was Jesus ihnen schenken wird. Wenn wir die Berufung der Jünger betrachten, so sollten wir ins Staunen kommen. Wenn wir aus heutiger Sicht zurückblicken, dann erscheint uns alles vielleicht ganz einfach, dass sie alles verlassen haben und Jesus so ohne weiteres gefolgt sind. Wir hätten das genauso gemacht, denken wir. Klar, wenn Jesus kommt und ruft, lässt man alles stehen und liegen.
Wirklich? Kommt nicht auch Jesus zu uns und ruft uns? Ist es nicht immer eine Herausforderung, wenn Jesus ruft? Und was wussten die Fischer am See von Galiläa damals von Jesus? So gut wie nichts. Wir wissen, was die Jünger alles mit Jesus erlebt haben. Wir wissen, dass ihr Vertrauen auf Jesus nicht enttäuscht wurde. Aber damals war der Ruf Jesu ein Ruf ins Ungewisse. Johannes Chrysostomus schreibt:

Nun, gerade deswegen bewundere ich sie am meisten, weil sie an eine so große Verheißung glaubten, noch ehe sie irgendein Wunderzeichen von ihm gesehen hatten, und alles andere diesem Gehorsam nachsetzten.

Blicken wir auf uns. Wir haben so viele Beweise dafür, in den Jüngern, in den Heiligen, vielleicht auch in Menschen aus unserer Umgebung heute, dass Jesus die nicht im Stich lässt, die ihm folgen. Und doch halten wir so vieles für uns zurück, sind nicht bereit, aufzustehen, und alles liegen zu lassen, folgen dem Ruf Jesu nur halbherzig. Was macht es uns so schwer, Jesus zu vertrauen?

Das Reich Gottes beginnt damit, dass ein Mensch – vom Ruf des Herrn getroffen – in die Nachfolge eintritt. Und diese Nachfolge erwächst aus einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus. Wie wichtig sind auch in unserer Zeit solche Menschen, die Jesus folgen. Sie sind die Lichtbringer unserer Zeit.

Herr, schenke auch unserer Zeit Menschen, die sich ganz in deine Nachfolge stellen und die dein Licht in unserer finsteren Welt leuchten lassen. Mache auch mich zu einem solchen Menschen.

Umkehr

Am Anfang des Wirkens Jesu steht der Ruf zur Umkehr:

Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. (Mt 4,17)

Dieses Wort ist wie ein Zeichen. Halt inne. Stopp. So kann es nicht weiter gehen. Gib deinem Leben eine andere Richtung. Schau auf das, was wirklich zählt. Alles, was nun im Evangelium folgt, wird uns zeigen, wie dieser neue Weg, den Jesus uns weist, aussieht.

Umkehr.
Ich laufe. Immer geradeaus. Vielleicht auch im Kreis. Mir passieren immer wieder die gleichen Fehler, ich tappe immer wieder in dieselben Fettnäpfchen. Was habe ich schon alles versucht. Es hat sich nichts geändert.
Umkehr? Wohin? Gibt es einen Weg zurück aus Scheitern, Hass und Verletzung? Gibt es einen Weg, der Wunden heilt und Unrecht verzeiht? Gibt es einen Weg heraus aus der Abhängigkeit, in die ich mich verstrickt habe?
Es gibt immer einen Ausweg. Umkehr ist immer möglich. Gott reicht uns die Hand und hebt uns über die Mauer am Ende unserer Sackgasse, über die Gräben, die sich zwischen Menschen aufgetan haben.
Aber Umkehr ist kein billiges “das passt dann schon wieder”. Umkehr ist radikal. Ich muss dazu bereit sein, einen neuen Schritt zu tun – an Gottes Hand. Einen Schritt ins Ungewisse, aber gehalten von der Zuversicht, dass Gott mir stets mehr geben wird, als ich mir zu wünschen wage.

Licht in der Finsternis

Mit dem Fest der Taufe des Herrn befinden wir uns bis zum Aschermittwoch, an dem die Österliche Bußzeit beginnt, in der Zeit im Jahreskreis. Nach der Leseordnung der katholischen Kirche haben wir das Lesejahr A, in dem wir vor allem Perikopen aus dem Evangelium nach Matthäus hören. An den ersten Sonntagen des Jahres werden wir von der Taufe des Herrn über das erste Auftreten Jesu und die Berufung der ersten Jünger hingeführt zur großen Rede Jesu, die bei Matthäus als die Bergpredigt bekannt ist.

Mit dem Auftreten Jesu strahlt ein Licht in die Welt und es erfüllt sich die Verheißung des Propheten Jesaja:

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. (Jes 9,1)

Bevor wir die Deutung dieses Wortes bei Matthäus auf Jesus Christus näher betrachten, möchte ich zunächst kurz darüber nachdenken, wie dieses Wort beim Propheten Jesaja selber einzuordnen ist.

Das Wort steht bei Jesaja im großen Rahmen der Immanuelschrift, die den Abschnitt Jesaja 5,1-9,6 umfasst. Diese großartige Komposition stammt aus der Zeit vor dem babylonischen Exil und bildet den Kern der Botschaft des Propheten Jesaja. Sie beginnt mit einem Blick auf die unheilvolle Situation im Volk Israel, das sich von Gott abgewandt hat und unter der Bedrohung durch äußere Feinde zu leiden hat. Daher beruft Gott Jesaja als Propheten, um dem Volk die Worte Gottes zu vermitteln, die durch diese schwere Zeit führen sollen.

Das entscheidende Eingreifen Gottes zeigt sich in der Geburt eines Kindes aus einer Jungfrau. Dieses Kind wird ein Zeichen der Nähe Gottes setzen, weshalb es den Namen Immanuel – Gott mit uns – trägt. Vielleicht war damit nur ein neuer König aus dem Haus David gemeint, der nach Gottes Willen regieren wird. Doch nie wurde in Israel ein König so nahe an Gott erhoben, wie dieser Immanuel. Es konnte also nicht nur ein neuer König gemeint sein, sondern viel mehr als das, ein wunderbarer göttlicher Retter, der Messias, Gottes Sohn. Er wird die Not seines Volkes wenden. Die drohenden Feinde werden nicht das letzte Wort haben, sondern Gott wird zeigen, dass er mit seinem Volk ist und die Finsternis verscheucht.

Denn wer jetzt in Not ist, der bleibt nicht im Dunkel. (Jes 8,23)

Gott wird die Not wenden, in die das Volk auch aus eigener Schuld geraten ist, weil es seinen Gott vergessen hat. Mehr als Strafe wird Gott seinem Volk Rettung bringen. Das folgende Danklied (Jes 9,1-6) schildert mit freudigen Worten die Herrschaft des Immanuel, des göttlichen Kindes. Er überbietet alle Könige Israels, er ist ein Licht inmitten des Volkes. Alle freuen sich über ihn. Er macht der Unterdrückung ein Ende, sowohl von außen als auch im Volk. Er beendet Gewalt und Versklavung und schafft Recht und Gerechtigkeit.