Seht das Lamm Gottes

Letzten Sonntag, am Fest der Taufe des Herrn, haben wir gehört, was uns Matthäus von der Taufe Jesu berichtet. Heute schildert uns Johannes dieses Ereignis und tut dies auf eine ganz andere Weise. Muss bei Matthäus der Täufer erst von Jesus belehrt werden, so ist er bei Johannes schon der Wissende. Gott hat ihm offenbart, dass der, auf den er den Geist wie eine Taube herabkommen sieht, der ist, der mit Heiligem Geist taufen wird.

Weil Johannes in Jesus den Sohn Gottes erkennt, kann er Zeugnis geben für ihn und die Menschen auf den hinweisen, für den er selbst Wegbereiter ist:

Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. (Joh 1,29)

Johannes nennt Jesus das Lamm Gott. Ist das nicht ungewöhnlich? Was wäre, wenn diese Worte, die Johannes damals zu seinen Jüngern gesprochen hat, heute jemand voller Begeisterung zu uns sagen würde: Schau, da ist das Lamm Gottes … Was denken wir bei diesen Worten?

In jeder Heiligen Messe wird das “Agnus Dei” gebetet: “Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt…”; und der Priester spricht beim Erheben der Hostie vor der Kommunion die Worte: “Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.” Oft ist uns der Ablauf der Messe ja so vertraut, dass uns manches gar nicht mehr auffällt oder einfach ganz selbstverständlich geworden ist. Wer hat sich schon einmal bewusst Gedanken gemacht über den Ausdruck “Lamm Gottes”?

Den Menschen damals war das Lamm vertraut als Opfertier. Es hatte eine wichtige Bedeutung im jüdischen Tempelkult. Am Vorabend des Paschafestes wurden die Lämmer im Tempel geschlachtet, die dann am Festtag gegessen wurden. Das geschah in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Das Buch Exodus berichtet davon, wie sich die Israeliten in der Nacht des Aufbruchs versammelten, um das Paschalamm nach der Vorschrift Gottes zu essen.

Damals hatten die Israeliten ihre Türpfosten mit dem Blut des Lammes bestrichen. So wurden sie gerettet, während bei den Ägyptern in jener Nacht jede Erstgeburt hinweggerafft wurde. Eine für unser Verständnis grausame Szenerie, nicht weniger grausam als der Tod Jesu, der sich nach der Chronologie des Johannesevangeliums (abweichend von den anderen Evangelien) genau zu jener Stunde ereignete, als die Lämmer im Tempel geschlachtet wurden.

Der heutige Mensch wehrt sich gegen solche Gedanken des Opfers und hält sie für nicht mehr zeitgemäß. Ist nicht der Gedanke an das Opferlamm eine gewaltsame Umdeutung des Bildes, das uns das Lamm eigentlich geben will? Das Lamm ist wie jedes junge Tier doch ein so niedliches Wesen. Es ist ein Zeichen für Reinheit, Unschuld, Friedfertigkeit. Lammfromm nennt man jemanden, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Der Wolf wohnt beim Lamm, das ist eines der Bilder für das Friedensreich Gottes bei Jesaja.

Und doch gibt es das grausame Bild des geopferten Lammes, das vom Exodus her hineinreicht über den Tod Jesu Christi bis in jede Heilige Messe heute. Dieses Bild meint aber nicht, dass Gott von uns Menschen grausame Opfer verlangt. Gott selbst opfert sich für uns. Opfer ist so nicht Zeichen von Unterwerfung, wie viele meinen, sondern von Freiheit. Wie das Schlachten der Lämmer in engster Verbindung steht zum Exodus, der Befreiung Israels von der Sklaverei in Ägypten, so steht der Tod Jesu für die Erlösung aller Menschen, für die Befreiung aller Menschen von der Sünde.

Christus ist das Osterlamm, das wahre Paschalamm. Die Hingabe Jesu am Kreuz zu unserem Heil ist die Klammer, die das ganze Johannesevangelium umspannt. Jesus selbst weist im Johannesevangelium immer wieder hin auf die Stunde, für die er gekommen ist. Diese Stunde erfüllt sich bei seinem Kreuzestod.

Die enge Verbindung, die der Begriff “Lamm Gottes” zwischen dem Geschehen am Jordan und der Stunde auf Golgota herstellt, zeigt uns sehr schön der bekannte Isenheimer Altar. Dort steht Johannes der Täufer neben dem Kreuz und sagt auf Jesus deutend die Worte: “Seht das Lamm Gottes.”

Auch der Maler des Isenheimer Altares wusste, dass das so historisch nicht korrekt ist, da der Täufer ja nach dem Bericht aller Evangelien schon lange vor der Kreuzigung Jesu von Herodes hingerichtet wurde. Was er darstellen will, ist eine theologische Deutung, die uns den tieferen Sinn der Worte “Seht das Lamm Gottes” verstehen lehrt.

Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Johannes muss mit diesen Worten eine Sehnsucht angesprochen haben, die die Menschen in sich getragen haben. Die Menschen haben sich danach gesehnt, dass einer kommt, der sie erlöst, der sie befreit von ihren Sünden. Da kein Mensch dies vermag, musste Gott selbst Mensch werden. Johannes erkennt den, der dies vermag, den Sohn Gottes und er zeigt auf ihn. Seht her, sagt er zu den Leuten, er ist es, den ihr ersehnt, er allein kann euch Rettung und Heil schenken. Wecken diese Worte auch in uns diese Sehnsucht nach Rettung und Heil?

Gemeinschaft der Heiligen (2)

Ein großes Geschenk des Zweiten Vatikanischen Konzils war es, eine auf “communio” – Gemeinschaft – gründende Sicht der Kirche wiedergewonnen zu haben. Das Konzil hat uns geholfen, besser zu verstehen, dass alle Christen als Getaufte die gleiche Würde vor dem Herrn besitzen und in derselben Berufung, der Berufung zur Heiligkeit, vereint sind.

Jetzt fragen wir uns: Worin besteht diese allgemeine Berufung zur Heiligkeit? Und wie können wir sie verwirklichen? Zunächst müssen wir uns zu Bewusstsein führen, dass Heiligkeit nicht etwas ist, das wir uns selbst erwerben können, das wir mit unseren Eigenschaften und mit unseren Fähigkeiten erlangen können. Heiligkeit ist ein Geschenk, sie ist das Geschenk, das der Herr uns macht, wenn er uns annimmt und uns mit sich selbst bekleidet, uns ihm ähnlich macht. …

Heiligkeit ist ein Geschenk, das ohne Ausnahme allen Menschen angeboten wird. Daher ist sie das Wesensmerkmal eines jeden Christen. All das lässt uns verstehen, dass man, um heilig zu sein, nicht Bischof, Priester, Ordensmann oder Ordensfrau sein muss: Nein, wir alle sind berufen, heilig zu werden! … Gerade dadurch, dass wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser christliches Zeugnis geben, sind wir berufen, heilig zu werden – und zwar in jeder Situation und in jedem Lebensstand. …

Ja, jeder Lebensstand führt zur Heiligkeit, immer! Bei dir zuhause, auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Kirche, in jedem Augenblick steht der Weg zur Heiligkeit offen. … Heiligkeit ist die Einladung, an der Freude des Herrn teilzuhaben und jeden Augenblick unseres Lebens mit Freude zu leben, Heiligkeit ist die Einladung, uns darzubringen und Christus gleich zu einer Liebesgabe für die Menschen um uns zu werden.

(Papst Franziskus)

Gemeinschaft der Heiligen (1)

An die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (1Kor 1,2b-3)

So schreibt Paulus an die Korinther und er hält viel von ihnen, auch wenn ihm zu Ohren gekommen ist, dass die Gemeinde nicht so lebt, wie das zu wünschen wäre. Es gibt Missstände, Spaltungen, Leute, die sich groß hervortun und über andere erheben. Daher erinnert Paulus die an ihre Berufung, an die Anfänge ihres Glaubens, an ihre erste Begeisterung für Jesus Christus. Er sagt ihnen: ihr seid Heilige, geheiligt durch Jesus Christus, geheiligt durch die Taufe, geheiligt durch den Glauben.

Wir alle, die wir getauft sind und an Jesus Christus glauben sind Heilige, geheiligt durch Gott. Heiligkeit hat ihren Ursprung in der Begeisterung für Jesus Christus und dem gläubigen Eintreten in seine Nachfolge. Das bedeutet auch Umkehr und den Beginn eines neuen Lebens. Äußeres Zeichen für diesen bewussten Schritt ist die Taufe, aber auch unser ganzes Leben soll Ausdruck dieser Heiligkeit sein.

Früher war es so, dass die getauften Kinder ziemlich selbstverständlich in einem christlichen Umfeld aufgewachsen sind. Heute fehlt dieses christliche Umfeld immer mehr. Aber das hindert keinen Menschen an einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus. Die Türen der Kirchen sind offen und die Heilige Schrift ist jedem zugänglich. Wer sucht, findet leicht Zugang zu christlichen Gemeinden und Gemeinschaften.

Heute kann jeder Mensch frei entscheiden, wie er leben möchte und jeder kann sich bewusst dafür entscheiden, zu den Heiligen zu gehören. Dieser Weg fordert Entschiedenheit. Er bedeutet nahezu immer, an einem bestimmten Punkt im Leben ein Zeichen der Umkehr zu setzen. Wenn die Markierung dieses Punktes für viele nicht mehr wie zur Zeit des Paulus die Taufe ist, weil die schon erfolgt ist, so gibt es doch genügend andere Möglichkeiten. Das kann beispielsweise eine ausführliche Beichte sein, oder die Entscheidung, ab diesem Tag bestimmte Gebetszeiten einzuhalten oder regelmäßig in die Kirche zu gehen, der Beitritt zu einem Gebets- oder Bibelkreis. Hier muss jeder für sich entdecken, was das Passende ist. Nicht zu viel von sich verlangen, was man dann nicht erfüllen kann und wieder aufgibt, aber auch nicht zu wenig. Liebe und Begeisterung finden immer Mittel und Wege, sich Raum zu schaffen.

Gott schenkt uns die Heiligkeit. Wenn wir in dieser Heiligkeit wachsen, so ist das die Frucht der Freundschaft mit Gott. Wir werden mit Gott vertraut und erhalten so immer mehr Anteil an seiner Heiligkeit. Jesus Christus hat uns durch sein Leben und seinen Tod die Tür geöffnet, dass diese Vertrautheit mit Gott möglich ist.

Gott ist uns nahe in unserem Leben. Er will uns ganz an sich ziehen. Wir haben einen Platz an seinem Herzen. Ist es nicht gerade das, was Erlösung bedeutet, dass wir diesen Platz am Herzen Gottes haben? Das Vertrauen auf diese Nähe Gottes nimmt uns die Angst, die uns in diesem Leben oft quälen mag.

Berufen als Heilige. Nehmen wir diese Berufung ernst. Streben wir nach dieser Vertrautheit mit Gott, indem wir ihn in unser Leben hineinnehmen. Lassen wir uns jeden Tag neu von ihm beschenken.

Licht der Völker

Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jes 49,6)

Das zweite Lied vom Gottesknecht, das wir heute in der Ersten Lesung hören, betont den universalen Anspruch Gottes, der sich an alle Völker richtet. Anders als im ersten Gottesknechtslied, das einen legitimierenden Ausspruch Gottes über seinen Knecht darstellt, spricht hier der Knecht selbst von seiner Berufung. Er weiß um seine Erwählung und Sendung. Gott hat zu ihm gesprochen. Sein Auftrag ist es zunächst, Israel zu sammeln und heimzuführen. Aber das ist zu wenig. Er soll das Licht aller Völker sein, damit Gottes Heil bis an die Enden der Erde reicht.

Das Volk Israel hat sich stets mit dem Gottesknecht identifiziert und sah sich als Zeichen Gottes unter den Völkern, als Sakrament der Gegenwart Gottes. Bei seiner Befreiung aus dem babylonischen Exil durch den Perserkönig Kyros stand Israel plötzlich im Mittelpunkt der Weltgeschichte. Dieses kleine Volk hatte es zu internationaler Bedeutung gebracht. Zudem gab es nun nicht mehr nur in Israel Juden, sondern sie waren infolge der damals immer globaler werdenden Welt in allen Ländern der Welt präsent.

Mit Jesus Christus ist dieser Anspruch, Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt zu sein, auf die Kirche übergegangen. Dies macht das Zweite Vatikanische Konzil in der dogmatischen Konstitution über die Kirche, die nach ihren Anfangsworten den bezeichnenden Titel “Lumen gentium” (Licht der Völker) trägt, deutlich:

Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären. Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, dass nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen.

Wie kann diese Einheit aussehen? Die Kirche kann heute nicht mehr mit dem Absolutheitsanspruch früherer Zeiten auftreten, wenn sie unter allen Menschen ein glaubhaftes Zeugnis für Gottes Gegenwart geben will. Es muss eine Einheit in der Vielfalt sein, die Raum gibt für die Eigenständigkeit unterschiedlicher Kulturen, aber dennoch am Kern des Evangeliums festhält.
Ziel der Sendung des Gottesknechtes ist es, Gottes Heil den Menschen bis an das Ende der Erde zu bringen, Friede, wo Krieg herrscht, Versöhnung, wo Streit die Menschen entzweit, Heilung, wo Krankheit quält. Bitten wir Gott darum, dass wir zu Boten seines Heils werden, zu Zeugen der Liebe Gottes.

Allmächtiger, ewiger Gott, durch dein fleischgewordenes Wort, deinen Sohn unseren Herrn Jesus Christus, dem Licht aller Völker, schenkst du den Menschen die Versöhnung. Befreie alle Völker durch das Licht des Wortes und den Geist der Gnade von der Finsternis der Sünde und lass sie den Weg zum Heil finden.

Taufe des Herrn (2)

Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. (Jes 42,1)

Beim Propheten Jesaja finden wir vier Lieder vom Gottesknecht. Diese Texte wurden schon früh auf Jesus Christus hin gedeutet. Das erste Lied vom Gottesknecht ist der Lesungstext am Fest der Taufe des Herrn.

Das entscheidende Charakteristikum des Gottesknechtes ist, dass Gott seinen Geist auf ihn gelegt hat. Er handelt nicht aus eigenem Antrieb und sucht nicht seinen eigenen Vorteil, sondern er ist von Gott berufen und tut das, was Gott ihm aufträgt. Der Auftrag Gottes aber an ihn ist, den Völkern das Recht zu bringen. Die Sendung des Gottesknechtes ist also eine weltweite Sendung. Nicht nur Israel, sondern allen Völkern bringt er das Recht. Und diesem Auftrag bleibt er bis zuletzt treu.

Was aber meint dieses Recht, das er den Völkern bringt und auf das die Inseln warten (42,4)? Es ist die Botschaft von der Gerechtigkeit Gottes, die den Armen und Unterdrückten ihr Recht verschafft. Es ist die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit, die den Sünder zur Umkehr ruft, und ihm Vergebung schenkt. Es ist die Zusage, dass alle Menschen ein Recht haben auf ein Leben in Freiheit.

Seinen Auftrag erfüllt der Gottesknecht in vollkommener Sanftmut. Er umgibt sich nicht mit Armeen, die einen “Befreiungskrieg” führen, am Ende aber nur das eine System der Unterdrückung gegen ein anderes austauschen. Nicht in dröhnenden Soldatenstiefeln marschiert er einher, und er verkündet seine Botschaft nicht in schallendem Befehlston. Vielmehr bleibt er verborgen und unscheinbar. Und doch bleibt sein Auftreten nicht ohne Wirkung.

Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein. (Jes 42,6)

Gott identifiziert sich mit seinem Knecht. Der Knecht tut das, was er Gott tun sieht. In ihrem Handeln sind der Gottesknecht und Gott nicht zu unterscheiden. Dies erinnert mich an die Worte Jesu im Johannesevangelium, die sicher die treffendste Auslegung zu dieser Stelle sind:

Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, sodass ihr staunen werdet. (Joh 5,19-20)

Und an anderer Stelle sagt Jesus:

Ich und der Vater sind eins. (Joh 10,30)

Jesus ist der Gottesknecht in vollkommener Weise. Als Gottes Sohn ist er eins mit dem Vater im Heiligen Geist. Bei ihm ist die Verbindung mit Gott im Heiligen Geist, die allen Glaubenden verheißen ist, nicht etwas, das zu seinem Wesen hinzutritt, sondern ist untrennbar mit ihm verbunden. Jesus tut unmittelbar das, was er den Vater tun sieht.
Für uns Menschen ist das schwieriger. Zwar ist uns der Heilige Geist geschenkt, aber wir müssen immer wieder lernen, seine Stimme von den vielen Stimmen zu unterscheiden. Wir lassen uns ablenken, verführen, tun das, was unserem eigenen Vorteil dient und übersehen allzu leicht den Willen Gottes.

Wo aber Menschen sich von Gottes Geist leiten lassen, da wird konkret, wozu der Gottesknecht gesandt ist:

Blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft zu befreien. (Jes 42,7)

Das ist das Recht, für das der Gottesknecht eintritt, dass die Blinden wieder sehen, dass niemand unschuldig gefangen gehalten wird und dass jene, die im Dunkel sitzen, befreit werden. Dunkel, das ist das Exil, in dem Israel zur Zeit des Propheten leben musste. Dunkel, das sind ungerechte Lebensbedingungen, Menschen, die unter Krieg und Terror zu leiden haben, Menschen, die auf der Flucht sind, Menschen, die für einen Hungerlohn schuften müssen, Menschen, die in Armut und Not leben. Wir brauchen nur die Augen öffnen und sehen dieses Dunkel. Manche von uns kennen es auch aus eigenem Erleben. Wie befreiend ist da das Licht und wie nötig sind Menschen, die wahre Lichtbringer sind.

Taufe des Herrn (1)

Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott fordert) ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. (Mt 3,13-15)

Das Fest der Taufe des Herrn steht im kirchlichen Kalender am Übergang von der Weihnachtszeit zur Zeit im Jahreskreis. Auch in den Evangelien markiert dieses Ereignis einen entscheidenden Übergang. Jesus tritt aus seinem verborgenen Leben bei seiner Familie in Nazaret hinaus in die Öffentlichkeit. Was in den etwa dreißig Lebensjahren zwischen der Geburt Jesu und seinem ersten öffentlichen Auftreten geschehen ist, wissen wir nicht. Was spätere fromme Legenden erdichtet haben, ist für uns ohne Bedeutung.
Dennoch aber hat dieses verborgene Leben Jesu in Nazaret immer wieder Heilige inspiriert, ganz besonders Charles de Foucauld, der genau dieses verborgene Leben Jesu in Nazaret nachahmen wollte:

Ich sehne mich danach, endlich das Leben zu führen, das ich seit mehr als sieben Jahren suche, das ich erahnt habe, als ich durch die Straßen von Nazaret ging, durch die auch unser Herr gegangen ist als armer, gewöhnlicher Handwerker, von niemandem beachtet. (Charles de Foucauld)

Jesus lebt als Mensch unter den Menschen, seine Göttlichkeit blieb bisher verborgen. Und er reiht sich zusammen mit den Menschen ein in die Schar derer, die sich von Johannes am Jordan taufen lassen. Er der sündenlose steht mitten unter den Sündern, um zusammen mit ihnen die Taufe der Umkehr zu empfangen.

Die Taufe Jesu ist ein wichtiger Schritt im Heilsplan Gottes. Jesus ist gekommen, um die ganze Gerechtigkeit zu erfüllen. Die Gerechtigkeit, von der Jesus spricht, meint das, was recht ist vor Gott. Gerechtigkeit heißt aber auch, dass der Mensch recht ist vor Gott. Ein Gerechter zu sein, einer, der den Willen Gottes tut, ist die höchste Auszeichnung für einen Menschen.

Doch wie wird ein Mensch gerecht vor Gott? Im Alten Bund war man überzeugt davon, dass ein Mensch dadurch gerecht wird, dass er alle Gebote Gottes erfüllt. Doch selbst der frömmste Mensch wusste: kein Mensch ist dazu in der Lage. Jeder Mensch hat Fehler und Schwächen und somit kann kein Mensch wirklich gerecht sein.

Jesus Christus allein ist der Gerechte, an ihm ist keine Sünde. Gerade aber dadurch, dass der vollkommen Gerechte sich in die Schar der Sünder einreiht, sich ihnen ähnlich macht – nicht in der Sünde, aber dadurch, dass er unter ihnen ist – eröffnet er den Weg, der die Vielen zu Gerechten macht. Gerechtigkeit ist nun nicht mehr etwas, das sich der Mensch selbst erarbeiten kann, sondern Gerechtigkeit wird zu einem Geschenk Gottes.

Der einzelne Mensch erhält Anteil an dieser Gerechtigkeit durch die Taufe. Daher war die Taufe Jesu für die Erfüllung der ganzen Gerechtigkeit Gottes notwendig. Jesus hat durch sie den Weg eröffnet, der die Vielen zu Gerechten macht.

Weshalb öffnete sich der Himmel? Weil du wissen sollst, dass dies auch bei deiner Taufe geschieht, in der Gott dich zum himmlischen Vaterland ruft. Wenn du dasselbe auch nicht sehen kannst, sei deswegen nicht ungläubig. Am Anfang erscheinen wunderbare und überirdische Dinge immer in der Form sinnlich wahrnehmbarer Bilder und ähnlicher Zeichen, mit Rücksicht auf diejenigen, die noch zu wenig Verständnis haben und etwas brauchen, das man mit den Augen sehen kann, da sie rein geistige Dinge noch nicht einmal in Gedanken zu fassen vermögen.

Das hat den Zweck, dass das, was einmal am Anfang durch solche Wunderzeichen geoffenbart wurde, gläubig aufgenommen wird, auch wenn später keine Wunder mehr geschehen. Auch zur Zeit der Apostel entstand ja das Brausen eines gewaltigen Sturmes und erschienen feurige Zungen, aber nicht wegen der Apostel, sondern wegen der Juden, die zugegen waren. Wenn auch heute keine sinnlich wahrnehmbaren Zeichen mehr geschehen, so nehmen wir doch gläubig an, was durch sie einmal geoffenbart wurde. So erschien also damals die Taube deshalb, damit sie den Anwesenden und dem Johannes wie mit einem Finger den Sohn Gottes zeigte, aber nicht bloß aus diesem Grund, sondern auch damit du weißt, dass bei deiner Taufe der Heilige Geist ebenso über dich herabkommt.

(Johannes Chrysostomus)

Epiphanie – “Dreikönig”

Auf, werde licht, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir. (Jes 60,1)

Auf, steht auf! So ruft der Prophet eindringlich der Stadt Jerusalem zu. Vorbei ist die Zeit des Wartens auf die Ankunft des Messias, vorbei die Zeit der Dunkelheit. Das Licht ist da. Gott ist erschienen und zu seinem Glanz ziehen alle Völker.

Wir dürfen uns die Worte des Propheten Jesaja auf der Zunge zergehen lassen, sie immer und immer wieder lesen. Sie sind eine unvergängliche Zusage an uns, dass das Licht mächtiger ist als die Finsternis und das Helle kraftvoller als die Schatten. Wir haben keinen Gott, der uns fesselt und niederdrückt, sondern einen Gott, der uns aufrichtet und unseren Blick zum Licht lenkt. Er hat sich selbst klein gemacht, um uns groß herauskommen zu lassen. Stauend dürfen wir das Geheimnis betrachten, das Gottes Liebe uns schenkt. Im Dunkeln geht ein Licht auf und in der Nacht leuchtet ein heller Stern.

Die biblische Tradition kennt die Vision einer Wallfahrt der Völker nach Jerusalem zum Berg Zion. Israel ist das von Gott als Hüter seiner Weisung auserwählte Volk. Wenn Israel diese Weisung treu bewahrt, werden alle Menschen über die Weisheit der Gebote Gottes staunen. Sie werden kommen, um diese Weisheit zu lernen und um den Gott anzubeten, der diese Weisung gegeben hat. So wird Gott seine Weisheit und Herrlichkeit der ganzen Welt offenbaren.

Bereits von König Salomo hören wir, dass die Königin von Saba und andere ferne Herrscher kamen, um Salomos Weisheit zu bestaunen. Die späteren Könige aber strebten nicht so zielstrebig nach der Weisheit, sondern taten oft, was Gott missfiel. Schließlich kam mit der Eroberung Jerusalems das Ende des Königtums in Israel. Nun tritt in der Prophetie immer mehr die Erwartung des Messias in den Vordergrund. Gott wird einen neuen Herrscher aus dem Haus Davids erwecken, der gerecht ist und nach Gottes Weisung das Volk regiert.

Wenn Matthäus uns in seinem Evangelium von den Weisen aus dem Morgenland berichtet, die gekommen sind, um das göttliche Kind anzubeten, so sieht er genau diese Vision des Propheten erfüllt. Jesus Christus ist der Messias, der lange ersehnte Herrscher aus dem Haus Davids. Mit ihm strahlt das Licht der Weisheit Gottes in die ganze Welt. Daher hat die Kirche diesen Text aus Jesaja auch zur Lesung am Hochfest Epiphanie gewählt. In den Bildern vom Zug der “Heiligen Drei Könige” wird lebendig, was Jesaja voraussah:

Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Der Reichtum des Meeres strömt dir zu, die Schätze der Völker kommen zu dir. Zahllose Kamele bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa. Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn. (Jes 60,4-6)

Schließen wir uns dem Zug der Weisen aus dem Morgenland an, ziehen wir hin zum göttlichen Kind, in dem Gottes Licht und Weisheit der Welt erschienen ist. Auch wenn der Weg manchmal beschwerlich ist und wir manchmal in die Irre gehen, wie die Weisen, die zunächst beim “falschen” König in Jerusalem angeklopft haben. Immer wieder leuchtet der Stern uns auf und zeigt uns den Weg.

Johannes Nepomuk Neumann (1811-1860)

Johann Nepomuk Neumann wurde am 28. März 1811 als ältestes von sechs Kindern der Familie Neumann in Prachatitz (Prachatice) im Böhmerwald, etwa 45 Kilometer westlich von Budweis (Ceske Budejovice), geboren. Sein Vater war von Beruf Strumpfwirker und erst 1802 aus dem unterfränkischen Obernburg am Main ausgewandert.

Nach dem Besuch der Elementarschule ging er nach Budweis auf das Gymnasium und begann nach dem Abitur das Studium der Theologie in Prag. Sein Ziel war es, Priester zu werden. Damals gab es jedoch in seiner Heimatdiözese genügend Priester, so dass er nicht zur Weihe zugelassen wurde. Über die Leopoldinen-Stiftung in Wien erfuhr er aber, dass in Nordamerika dringend Priester für die vielen deutschen Auswanderer gesucht wurden.

Am 11. Februar 1836 nahm Johann Nepomuk Neumann Abschied von seiner Heimat, reiste zu Fuß nach Frankreich, und bestieg am 20. April in Le Havre ein Schiff nach New York, wo er am 2. Juni ankam. Nur wenige Tage nach seiner Ankunft, am 24. Juni, wurde er zum Diakon und einen Tag später zum Priester geweiht. Seinen Dienst in der Fremde legte er ganz in Gottes Hand:

O mein Gott, der Gang meiner Unternehmungen behält noch immer den Charakter des Unerwarteten, des Misslingens aller meiner Versuche, der getäuschten Hoffnungen. Ich stehe an der Grenze eines weiten gefahrvollen Landes ohne einen anderen Führer als dich, mein Gott. Es kommt mir vor als wäre eine unbekannte Hand im Spiel. Aber mir wird nichts widerfahren, denn ich bin dein … und du bist allmächtig.

Über seine Briefe wissen wir viel von seiner ersten priesterlichen Tätigkeit in dem damals noch weitgehend unerschlossenen Gebiet bei Buffalo am Eriesee. Er erkannte jedoch, dass die umfangreiche Tätigkeit dort ohne den Rückhalt einer Gemeinschaft für einen einzelnen Priester zu viel war. Im November 1840 trat er bei den Redemptoristen ein, ebenso wie sein Bruder Wenzel, der ihm im Jahr 1839 nach Nordamerika gefolgt war. Es ist eine Zeit des Aufbruchs und noch ungefestigter Strukturen. Die Chronik des Noviziates vermerkt:

Dieser erste Novize unserer amerikanischen Provinz genoss nicht den regelmäßigen Unterricht und die sorgfältige Leitung eines geordneten Noviziates, dennoch ward er sogleich mit den Arbeiten reifer Ordensmänner betraut, und zeichnete sich aus durch treue Beobachtung der Ordensregeln, durch Liebe zur Kongregation und durch große Tugenden.

Seine erste Pfarrstelle nach dem Ablegen der Gelübde war die Seelsorge an der Alfonsus-Kirche in Baltimore, wo es damals 4000 deutsche Katholiken gab. Bald wurde er Stellvertreter des Provinzials und betreute auch die Armen Schulschwestern Unserer Lieben Frau, die von München nach Nordamerika gekommen waren und die ihn heute “als unseren Gründer in Amerika verehren”. 1844 wurde er Leiter des Klosters in Pittsburgh, 1847 Visitator aller amerikanischen Niederlassungen des Ordens, 1848 Vizeprovinzial. Er ließ Kirchen bauen und Schulen gründen, er predigte und hörte Beichte in sieben Sprachen, er gab zwei Katechismen heraus und veröffentliche Artikel. Vor allem die Erziehung der Jugend lag ihm am Herzen und er legte mit seinem Wirken den Grundstein für das kirchliche Pfarrschul-System in den heutigen USA.

Diese kurze Aufzählung lässt erahnen, wie umfangreich seine unermüdliche Tätigkeit war. Im Jahr 1852 wurde er schließlich zum Bischof von Philadelphia ernannt. Dabei lebte er in aller Bescheidenheit, kehrte sein Zimmer selbst und putzte sich selbst die Schuhe. Er nahm sich vor allem der einfachen und armen Leute an. Ihnen fühlte er sich verwandt, mit ihnen aß er Kartoffelsuppe, spülte selbst in der Küche. Ein Beispiel für seine Bescheidenheit und zugleich seinen Humor gibt die folgende Anekdote:

Jemand sagte zu ihm: “Herr Bischof, wechseln Sie doch ihre Schuhe, sie sind ja ganz durchgeweicht.” – “Die Schuhe wechseln? Da müsste ich ja den linken Schuh über den rechten Fuß anziehen …” – Er hatte nur ein Paar Schuhe.

Als Wahlspruch für sein Bischofswappen wählte er aus dem Gebet “Anima Christi” den Satz:

Leiden Christi, stärke mich!

Sein rastloser Einsatz zehrte an seiner Gesundheit. Im Alter von 49 Jahren brach er zusammen und starb am 5. Januar 1860. Sein Begräbnis war die größte Feier, die Philadelphia bis dahin erlebt hatte. Bereits wenige Jahre nach seinem Tod wurde der Seligsprechungsprozess eingeleitet. 1963 erfolgte die Selig- und 1977 die Heiligsprechung.

Der Freudenbote

Die Kapitel 51 und 52 des Jesajabuches sind Worte des Trostes für ein Volk, das viel Leid erfahren musste. Jerusalem wurde erobert und zerstört, seine Bewohner in die Verbannung verschleppt. Was damals geschehen ist, musste geschehen. Aber Gott hat sein Volk nicht vergessen. Er macht einen Neuanfang. Er hat seine heilige Stadt nicht verlassen. Gott kehrt nach Zion zurück und mit ihm die Verbannten aus dem Exil in Babylon.

Es ist ein Tag des Jubels und des Sieges, als sich die Botschaft verbreitet, dass die Zeit des Exils zu Ende ist. Wie damals in der Wüste beim Auszug aus Ägypten geht Gott wieder seinem Volk voran und beschließt auch den Zug. Geordnet soll das Volk aufbrechen, wie in einer langen Prozession soll es von Babylon nach Jerusalem ziehen.

Gott ist da und Gott schafft Rettung. Wie befreiend muss diese Botschaft für die Menschen damals gewesen sein. Sie sind nicht verlassen und vergessen an den Strömen von Babel, sondern Gott denkt an sie und holt sie heim in das Land ihrer Väter, in das Land, das Gott selbst für sie erwählt hat.

Wir hören diese Worte des Propheten Jesaja in der Lesung am Weihnachtstag. Das Fest der Geburt Jesu Christi ist auch ein solches Hoffnungszeichen der Gegenwart Gottes. Gott will mitten unter uns Menschen sein, nicht mehr nur in seinem Volk Israel und in Jerusalem, sondern in allen Ländern der Welt und bei allen Menschen, die ihn aufnehmen.

Der Herr hat seinem Volk Erlösung geschaffen, an seinen Bund denkt er auf ewig.

So heißt es in einer Antiphon an Weihnachten. Gott denkt an uns, er hat uns nicht vergessen. Auch wenn wir täglich das Elend und Leid sehen, das Menschen einander zufügen, Kriege, Streit, Flucht und Vertreibung. Gott ist da. Er ist mitten unter den Menschen in den Ländern des Krieges, mitten unter den Flüchtlingen, mitten unter den Menschen, die in Armut und Elend leben.

Auf die Frage, warum Gott all das Leid zulässt, werden wir keine Antwort finden. Aber wir können die Botschaft der Hoffnung verbreiten, dass Gott mitten im Leid der Menschen gegenwärtig ist und wenn die Zeit dafür gekommen ist, einen Ausweg schafft. Wir können diese Hoffnung erfahrbar werden lassen, indem wir, soweit es uns möglich ist, selbst zu den Menschen gehen, die Hilfe brauchen, und für sie beten. Wir müssen uns die Strukturen der Ungerechtigkeit und Gewalt bewusst machen, die unsere Welt durchdringen, aus ihnen ausbrechen und gegen sie angehen, wo es uns möglich ist.

Mit jedem Produkt, das ich kaufe, mit jeder Mahlzeit, die ich esse, ja fast mit jedem Schritt, den ich auf der Straße gehe, kann ich eine Entscheidung für oder gegen die Gerechtigkeit, für oder gegen die Liebe tun. Ungerechtigkeit ist nicht etwas, das in fernen Ländern geschieht, sondern sie hat ihre Wurzel hier mitten unter uns. Ich kann die Ungerechtigkeit als solche nicht bezwingen, aber ich kann versuchen, so zu leben, dass ich sie nicht vergrößere. Ich kann Zeichen der Liebe setzen, je nachdem, wie ich mich anderen gegenüber verhalte.

Wenn immer mehr Menschen so leben, immer mehr Menschen den Weg der Gerechtigkeit und der Liebe gehen, dann durchzieht eine Kette der Hoffnung unsere Welt. Gott geht voran und am Ende des Zuges. Gottes Heil wird in der Welt lebendig und heilt die offenen Wunden und tröstet die trauerden Herzen. Dann strahlt das Licht von der Krippe auf und wärmt, was kalt ist und starr. Und dann kann Frieden sein.

1.1. Hochfest der Gottesmutter (2)

Paulus, der seine Briefe weit vor den Evangelien schreibt, interessiert sich noch nicht für die genauen Ereignisse bei der Geburt Jesu Christi. Er weiß nichts von einem Stall in Betlehem, nennt nicht einmal den Namen der Mutter Jesu. Aber doch formuliert er das zentrale Geheimnis des Weihnachtsfestes. Gott selbst wird Mensch. Jesus Christus ist nicht ein besonders von Gott erwählter Mensch, wie es sie zu allen Zeiten gibt, ein großer Prophet oder Heiliger. Nein. Jesus Christus ist Gott und Gott kam in die Welt wie jeder Mensch, geboren von einer Frau.

Vielleicht können diese schlichten Worte des Paulus uns helfen, das, was an Weihnachten geschehen ist, tiefer zu erfassen. Jesus Christus, Gott, Sohn Gottes, geboren von einer Frau. Gott selbst wird Mensch. Gottes Sohn wird Mensch, damit wir zu Söhnen und Töchtern Gottes werden. Gottes Sohn wird Mensch, um uns zu sagen, dass wir mündig sind, das Erbe Abrahams anzutreten. Wir sind Söhne und Töchter Gottes und als solche keine unmündigen Kinder mehr, die unter einer Vormundschaft stehen, sondern erwachsene Söhne und Töchter Gottes, die mündig geworden sind, das Erbe anzutreten.

Erbe zu sein, das bedeutet auch Verantwortung. Es geht nicht darum, das Ererbte nun mit vollen Händen auszugeben und sich ein schönes Leben zu machen. Unser Erbe ist es, erwachsene Söhne und Töchter Gottes zu sein und als solche in der Welt zu leben. Ein Anteil am Erbe ist Gottes Geist, der in uns die Verbindung zum Vater aufrecht hält und der uns zeigt, was der Vater von uns als Erben erwartet.

Leben wir als erwachsene Söhne und Töchter Gottes in der Welt, im Herzen stets mit unserem Vater verbunden, als Zeugen dafür, dass Gott das Heil der Menschen will. Stellen sie sich einmal vor, ihr Vater wäre ein reicher Mann, mit einem großen Vermögen, einer Fabrik, Häusern, viel Land und was sonst noch alles. Und noch dazu wäre ihr Vater ein liebender Vater, kein Tyrann, sondern ein Vater, der sich trotz seines großen Besitzes auch liebevoll um seine Familie kümmert. Ich denke, als Sohn oder Tochter eines solchen Vaters würden sie stolz sein und ein gesundes Selbstbewusstsein haben. Irgendwann wird ihr Vater ihnen das Erbe übertragen und dann liegt die Verantwortung an ihnen, das Werk des Vaters in seinem Sinne weiterzuführen.

Hören wir auf den Geist, der in unserem Herzen ruft: Abba, Vater. Hören wir auf den Geist, der uns sagt: du bist nicht mehr Sklave, du bist kein unmündiges Kind, sondern du bist ein erwachsener Sohn, eine erwachsene Tochter Gottes, du bist mündig und würdig, das Erbe anzutreten. Du gehörst Gott und Gott ist allezeit bei dir.