War im ersten Teil des Buches Sacharia euphorisch von der Rettung Judas und Jerusalems unter der Führung der beiden Heilsgestalten, dem Hohenpriester Jeschua und dem Davidspross Serubbabel, die Rede, die treu den Willen Gottes erfüllen, so ist nun eine andere Zeit angebrochen. Es sind Herrscher aufgetreten, die sich nicht um das Wohl des Volkes kümmern, sondern wie schlechte Hirten sich nur am Fleisch der Herde sattessen wollen.
Zugleich aber verheißt Sacharja in Sach 9,9 das Kommen eines Friedenskönigs. Doch erst einmal herrscht Krieg. Wir erkennen die Ursache dieses Krieges in der Verwerfung Gottes durch die treulosen Hirten. Jerusalem aber wird siegreich aus diesem Kampf hervorgehen. Im Volk werden Helden erstehen, die siegreich kämpfen. Dann spricht der Prophet mitten in dieses Bild des Gemetzels die Worte:
An jenem Tag werde ich danach trachten, alle Völker zu vernichten, die gegen Jerusalem anrücken. Doch über das Haus David und über die Einwohner Jerusalems werde ich den Geist des Mitleids und des Gebets ausgießen. Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben. Sie werden um ihn klagen, wie man um den einzigen Sohn klagt; sie werden bitter um ihn weinen, wie man um den Erstgeborenen weint. (Sach 12,9-10)
Es ist, als würde plötzlich der Kriegslärm schweigen und Stille das geschundene Land überziehen. Gottes Geist, der einst über den Wassern der Urflut schwebte, kommt über das Land. Den Menschen wird ihr Trug und ihre Eitelkeit bewusst und sie blicken auf das Zeichen des Durchbohrten, das mitten unter ihnen steht.
Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.
Im Johannesevangelium (Joh 19,37) und in der Offenbarung des Johannes (Offb 1,7) wird dieses Wort eindeutig auf Jesus Christus bezogen, der am Kreuz gestorben ist. Das Volk Gottes hat in seiner Verblendung seinen Gott gekreuzigt, der gekommen ist, ihm das Heil zu bringen. Sie aber wollten mit ihren eigenen Waffen kämpfen und siegreich sein. Ihr falscher Eifer für das Gesetz, ihr falscher Stolz auf ihren Glauben hat sie blind gemacht. Nun aber weht Gottes Geist über das Todesfeld der Geschlagenen und öffnet ihnen die Augen.
Sie klagen und weinen und Gott vergibt ihnen die Schuld. Sie kehren um, schaffen alles Unreine und alle Lüge weg aus ihrer Mitte. Doch es gilt auch jedes Wort des Propheten:
„Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ – mit diesen Worten beschließt der Evangelist Johannes seine Darstellung der Passion des Herrn; mit diesen Worten eröffnet er die Christusvision im letzten Buch des Neuen Testamens, das wir „Geheime Offenbarung“ zu benennen pflegen. Zwischen der zweimaligen Anführung dieses prophetischen Wortes aus dem Alten Bund liegt die ganze Geschichte ausgespannt: zwischen Kreuzigung und Wiederkunft des Herrn; in diesem Wort ist ebenso die Rede von der Erniedrigung dessen, der wie ein Verbrecher am Galgen starb, wie von der Macht dessen, der kommen wird, die Welt zu richten – auch unser Richter.
„Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ – das ganze Johannesevangelium ist im Grunde nichts anderes als der Vollzug dieses Wortes, nichts anderes als das Bemühen, unsere Augen und unser Herz zu sammeln in den Blick auf ihn hin. Und die ganze Liturgie der Kirche ist nichts anderes als das Schauen auf den Durchbohrten, dessen verhülltes Antlitz der Priester auf dem Höhepunkt des Kirchenjahres, in der gottesdienstlichen Feier des Karfreitags, den Augen der Kirche und der Welt enthüllt: „Seht, das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen!“
„Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ – Herr, gibt uns, in dieser Stunde auf dich zu schauen, in der Stunde deiner Verborgenheit und Erniedrigung durch eine Welt, die das Kreuz als ärgerlichen Unfall übergehen will, die sich deinem Blick entzieht, ihn als unnütze Zeitvergeudung ansieht und nicht weiß, dass sie eben darin deiner Stunde entgegengeht, in der sich niemand deinem Blick wird entziehen können. (Benedikt XVI.)
An jenem Tag wird für das Haus David und für die Einwohner Jerusalems eine Quelle fließen zur Reinigung von Sünde und Unreinheit. (Sach 13,1)
Trauer und Schmerzen – das Herz ist verwundet, zerrissen. Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe, doch wie oft wird diese Sehnsucht enttäuscht, zerbricht der kostbare Schatz in unseren Händen oder wird gar achtlos beiseite geworfen.
Die Sehnsucht nach Liebe durchzieht die Generationen des Menschengeschlechtes. Der Schrei nach Liebe hallt wider auf allen Plätzen dieser Erde und Schmerzensblut tropft auf unsere Straßen.
Woher kommt Rettung, woher Heilung für die gebrochenen Herzen, die so oft enttäuscht worden sind, und von einer Bitternis durch eine kurze Freude in die nächste Bitternis fallen? Ist es das Los des Menschengeschlechts, dass der Ruf nach Liebe ungehört verhallt?
Es gibt eine Quelle des Trostes, es gibt Heilung für die wunden Herzen. Kein einfaches Pflaster, keine schnellwirkende Medizin, keine billigen Pillen, aber etwas, das doch bei kontinuierlicher Anwendung heilsam wirkt.
Wir können unsere Herzen heilen im Licht der Liebe Gottes. Jesus Christus hat selbst den Schmerz in seinem Herzen empfunden. Aus Liebe hat er sein Herz durchbohren lassen. Aus seinem geöffneten Herzen fließt der Strom der göttlichen Liebe in diese Welt.
Blicken wir auf das aus Liebe durchbohrte Herz des Herrn. Lassen wir uns füllen von Gottes grenzenloser Liebe. Sie ist reichlich für alle da. Treten wir hinzu zum Quell der Liebe und tanken wir diese Liebe in unseren Herzen, damit unsere Wunden heilen und wir mit einem Herzen voller Liebe durch diese Welt gehen.
Indem wir auf Christus schauen, wissen wir uns zugleich von ihm selbst angeschaut. Er, den wir mit unserer Schuld durchbohrt haben, wird nicht müde, über uns den unerschöpflichen Strom seiner barmherzigen Liebe auszugießen. Möge die Menschheit erfassen, dass nur von dieser Quelle aus es möglich ist, die notwendige spirituelle Energie zu erlangen, um jenen Frieden und jenes Glück zu bauen, die Ziel der Sehnsucht aller Menschen sind. (Benedikt XVI.)