In früheren Zeiten steckten die Meere noch voller Abenteuer. Die Leute glaubten, dass darin Ungeheuer lebten, riesige Fische und anderes Getier. Man vermutete geheimnisvolle Inseln, auf denen es fremde Pflanzen und Lebewesen gab. Wer das Festland verließ und weiter als in Küstennähe auf das Meer hinaus fuhr, auf den wartete ein ungewisses Schicksal, das konnten märchenhafte Entdeckungen sein, aber auch der Tod.
Der hl. Brendan hat eine solche Entdeckungsfahrt gemacht. Von dieser Seefahrt gibt es verschiedene Berichte. Wenn auch seine Geschichte erst vierhundert Jahre nach seinem Tod aufgeschrieben wurde und daher ungewiss ist, was Brendan wirklich erlebt hat und was menschliche Phantasie hinzugedichtet hat, begegnen wir hier doch einem ganz besonderen Menschen.
Brendan wurde um das Jahr 484 im Südwesten Irlands geboren, im heutigen Fenit, einem kleinen Hafen an der Tralee Bay, mit Blick auf die Dingle-Halbinsel mit dem nach ihm benannten Mount Brandon. Er soll vom hl. Ardfert “Erth of Cornwall” (auch Erc genannt), einem Gefährten des hl. Patrick, getauft worden sein. Dieser hat ihn später auch zum Priester geweiht. Brendan wurde selbst Missionar, gründete Klöster und reiste nach Schottland, Wales und in die Bretagne.
Missionare gab es damals viele in Irland. Sie haben aus dem einst heidnischen Land eine christliche Keimzelle gemacht. Iro-schottische Mönche haben nach den Wirren der Völkerwanderung den christlichen Glauben auf dem Kontinent, vor allem auch in den Gebieten des heutigen Deutschland, wieder neu gefestigt. Doch von Brendan erzählt man sich eine Geschichte, die noch wundersamer erscheint als die weiten Wanderungen seiner Glaubensbrüder.
Die “Navigatio Sancti Brendani Abbatis”, die “Reisen des heiligen Abtes Brendan”, waren im Mittelalter ein beliebtes Buch, von dem heute noch über einhundert Handschriften erhalten sind und das in viele Sprachen übersetzt wurde. Es gibt unterschiedliche Versionen der Reisen. Eine Fassung beginnt damit, dass Brendan ein Buch findet, in dem wundersame Dinge stehen, von drei Himmeln, zwei Paradiesen, neun Fegefeuern und einem Land unter der Erde, bei dem Tag ist, während hier Nacht herrscht. Er kann das alles nicht glauben und verbrennt das Buch. Daraufhin gebietet ihm ein Engel, selbst auf Reisen zu gehen, um zu erfahren, dass die Dinge, die er nicht glauben wollte, der Wahrheit entsprechen. Nach einer anderen Fassung hört Brendan von einem Mönch über die Insel der Seligen, die er daraufhin selbst besuchen möchte. Zusammen mit mehreren Mönchen als Gefährten macht er sich auf eine siebenjährige Seereise.
Das Motiv für die Reise Brendans finde ich faszinierend. Wie schnell tun wir Dinge, die wir nicht kennen, als falsch ab. Wir machen uns unsere eigene Welt zurecht und was da nicht hinein passt, das klammern wir aus. Obwohl das Wissen der Menschheit immer umfangreicher wird, leben viele Menschen doch gerne weiter in ihrer kleinen Welt. Psychologische Untersuchungen zeigen, dass wir sehr gut darin sind, Fakten auszublenden, die uns nicht vertraut sind. Jeder Mensch nimmt seine Umgebung anders wahr, je nachdem, mit welchem Blick er darauf sieht. Schon Karl Valentin hat gesagt: “Es ist eigenartig, dass jeden Tag gerade so viel passiert, wie in eine Zeitung passt.” Und wenn wir uns heute in die Hände der modernen sozialen Medien begeben, dann werden die Informationen, die wir von diesen erhalten, bereits nach unseren Vorlieben gefiltert. Einfach gesagt heißt das, ich bekomme nur die Informationen, von denen ein geschickt programmierter Algorithmus glaubt, dass sie mir gefallen könnten.
Brendan hatte den Mut, aufzubrechen, und selbst zu erkunden, wie es um die Welt steht. Er wollte die Wahrheit wissen über Paradies, Fegefeuer und vor allem die Insel der Seligen. Er und seine Gefährten sind vermutlich um das Jahr 535 zu ihrer Reise aufgebrochen. Sie benutzen dazu einen Curragh, wie er damals in Irland üblich war, ein Holzboot, das mit Leder verkleidet war. Sie erlebten viele Abenteuer, begegneten riesigen Meerungeheuern und seltsamen Wesen und kamen er zu verschiedenen Inseln mit herrlichen Pflanzen und teilweise seltsamen Bewohnern. So wird von einer Insel der Schafe, dem Paradies der Vögel, der Insel der Schmiede und dem Land der Kristallsäulen berichtet.
An erster Stelle aber steht bei diesen Seefahrern der Glaube. Gott ist es, der ihr Schiff lenkt und ihnen stets die passenden Winde schickt. Er rettet sie aus allen Gefahren. Wenn sie eine neue Insel betreten, sprechen sie erst ein Gebet. Brendan und seine Gefährten sind Mönche, und sie vernachlässigen auch auf ihrer Reise nicht das klösterliche Stundengebet und die Feier der großen Festtage.
Sicher müsste man selbst den Dingen auf den Grund gehen, um zu sehen, was wirklich wahr ist in diesem Reisebericht. Die Insel der Seligen ist ein Sehnsuchtsort, der oft in der Literatur auftaucht. Gibt es diese Insel? Noch Jahrhunderte später haben Seefahrer nach diesem legendären Brendon-Island gesucht. Immer wieder gab es Versuche, die genannten Inseln zu lokalisieren. So identifizierte man die Stationen der Reise als die Hebriden, die Färöer, Island, Grönland und Neufundland bzw. Amerika. Ja, es gibt wirklich Leute, die vermuten, dass Brendan mit seinen Gefährten Amerika erreicht haben könnte. Dass eine solche Reise mit einem Boot, wie es Brendan benutzt hatte, möglich war, hat in den 1970er Jahren ein Abenteurer bewiesen, der diese Route mit einem solchen Boot zurückgelegt hat.
Vielleicht geht es aber gar nicht darum, wirklich eine geheimnisvolle Insel zu entdecken. Vielleicht geht es einfach darum, aufzubrechen, auf Entdeckungsreise zu gehen, damit wir andere Dinge sehen, als sie uns der vertraute Alltag bietet. Dabei können wir faszinierenden Menschen begegnen und Erfahrungen machen, die unser Leben verändern und bereichern. Das sind die Wunder einer Reise, die wir auch heute erleben können und diese können spektakulärer sein, als eine unbekannte Insel zu entdecken. Vielleicht genügt es einfach schon, einmal die Augen aufzumachen und unsere nähere Umgebung mit einem anderen Blick wahrzunehmen.
Nach seiner Rückkehr unternahm Brendan noch viele weitere Reisen, nicht nur Seefahrten. Er gründete Klöster in Schottland, Wales und der Bretagne. In Irland gründete er um das Jahr 563 das Kloster Clonfert und mehrere andere Klöster. Im Alter von mehr als 90 Jahren zog er zu seiner Schwester, wo er auch starb. Sie ließ ihn auf seinen ausdrücklichen Wunsch in Clonfert begraben, nicht weit vom größten Strom Irlands, dem Shannon.