Dies sagte Jesus. Und er erhob seine Augen zum Himmel und sprach: (Joh 17,1a)
Zwischen die langen Abschiedsreden Jesu nach dem letzten Abendmahl und seiner Verhaftung, die den Beginn der Passion darstellt, setzt Johannes das Abschiedsgebet Jesu, auch hohepriesterliches Gebet genannt. Am Beginn des Kapitels steht eine klare Zäsur. Jesus hat zu seinen Jüngern geredet, hat sie gelehrt. Nun erhebt er die Augen zum Himmel und redet zu seinem Vater. Er redet nicht mehr zu den Menschen, sondern zu Gott. Ein solches Reden mit Gott nennen wir Gebet.
Auch die anderen Evangelien berichten uns von einem Gebet Jesu vor der Passion, am Ölberg, kurz vor seiner Verhaftung. Lukas spricht gar davon, dass dieses Gebet so inständig war, dass Jesu schweiß wie Blut zu Boden tropfte. Doch kein anderer Evangelist gibt uns so tiefen Einblick in das Beten Jesu wie Johannes.
Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. (Joh 17,1b-3)
Jesus weiß, dass seine Stunde gekommen ist. Es ist die Stunde, von der schon oft im Evangelium die Rede war, die Stunde des Leidens. Die anderen Evangelisten sprechen vom Kelch, dem Kelch des Leidens, vor dem Jesus zurückschreckt, den er aber bereit ist, dem Willen des Vaters gehorsam, anzunehmen.
Jesus blickt zurück auf sein Wirken. Er hat alles getan, was der Vater ihm aufgetragen hat. Nun ist es Zeit, dass er sein Werk vollendet. Diese Vollendung geschieht in der Passion, im Leiden Jesu und seiner Auferstehung. Der Vater wird den Sohn glorreich durch diese Leiden führen und ihn verherrlichen und indem der Sohn den Willen des Vaters an sich geschehen lässt, wird der Sohn den Vater verherrlichen.
Was nun geschehen wird, dient der Verherrlichung Gottes, aber zugleich dem heil der Menschen. In seiner Macht schenkt Gott den Menschen neues, ewiges Leben. Gott wird verherrlicht durch die Rettung der Menschen. Die größte Verherrlichung Gottes geschieht dort, wo das Heil der Menschen entsteht. Es ist unbeschreiblich, wie wichtig für Gott der Mensch ist.
Jesus ist gekommen, um durch die Vollendung des Werkes des Vaters den Menschen ewiges Leben zu schenken. Aber dieses ewige Leben kann nur dort entstehen, wo Menschen bereit sind, sich auf Gottes machtvolles Wirken einzulassen. Das ewige Leben besteht darin, den einzigen wahren Gott zu erkennen und den Sohn, den er gesandt hat.
Das ewige Leben besteht also in der Gottes- und Christuserkenntnis. Im biblischen Sinn bedeutet Erkenntnis nicht nur das Wissen um Gott und Jesus, sondern vor allem das Vertrauen, die personale Beziehung und die Gemeinschaft mit Gott und Jesus. Das ewige Leben verwirklicht sich in Beziehung zu Gott und Jesus Christus. Wer in diese Beziehung eintritt, hat Teil am Leben Gottes.
Guter Gott, ich glaube und weiß, dass alle Dinge in dir leben. Was immer es an Sein gibt, an Leben, an Herrlichkeit, an Freude, an Glück in der ganzen Schöpfung, ist seinem Wesen nach einfachhin und absolut von dir. Was immer wir Gutes tun, geschieht nicht nur durch deine Hilfe, sondern ist eine Nachahmung jener Heiligkeit, die in ihrer Fülle in dir ist.
Oh mein Gott, werde ich dich eines Tages sehen? Werde ich die Quelle jener Gnade sehen, die mich erleuchtet, mich stärkt und mich tröstet? So wie ich von dir kam, so wie ich von dir gemacht wurde, so wie ich in dir lebe, so möge ich am Ende zu dir zurückkehren und bei dir sein für immer und ewig. Amen.
(Kardinal Newman)