Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. (Joh 10,1)
Die Rede Jesu vom guten Hirten beginnt nicht mit einem melancholischen Bild verklärter Hirtenromantik. Sie zeigt vielmehr zunächst die Gefahr durch falsche Hirten auf. Diebe und Räuber brechen in den Schafstall ein, falsche Hirten suchen nur den schnellen eigenen Gewinn, indem sie die Herde schlachten und verschachern. Die Herde ist ständig in Gefahr, und der Schaden, der von innen, von falschen Hirten droht, scheint größer als die Gefahr von außen.
Johannes hat hier sicher die Situation der Gemeinden seiner Zeit vor Augen. Spaltungen und schlechte Vorsteher bedrohten ihren Bestand. Auch in den Johannesbriefen hören wir von diesen Gefahren. Der gute Hirte aber ist mit seinen Schafen vertraut. Er braucht nicht heimlich in den Schafstall einzudringen, sondern kann offen durch die Türe gehen. Diese Tür zu den Schafen ist Jesus Christus. Ihm gehört die Herde und jeder Hirte muss sie in seinem Namen führen.
Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. (Joh 10,2)
Der Blick auf die Gefahren, die durch falsche Hirten entstehen, die negativen Erfahrungen mit Hirten, lassen bei vielen die Frage aufkommen, ob es denn überhaupt einen Hirten für die Herde braucht. Die Vollmacht des Hirten ist mit Macht verbunden. Macht aber hat für viele einen negativen Beigeschmack, weil sie auf der anderen Seite den Gehorsam fordert. Zudem erscheint eine Herde als eine gleichförmige Masse, die blind ihrem Hirten folgt. Die Herde, das sind doch die, die selber nicht nachdenken und einfach hinterher laufen. Das widerspricht dem Verlangen vieler Menschen nach Unabhängigkeit und Freiheit. Doch ist es wirklich das, was Jesus meint, wenn er vom guten Hirten spricht?
Uns Menschen heute ist ein Hirt mit seiner Herde bei weitem nicht mehr so vertraut, wie den Menschen zur Zeit Jesu. Würde man einen guten Hirten – und von solch einem spricht Jesus ja – fragen, was er von seinen Tieren hält, so wird er sie sicher nicht als eine dumme, blökende Masse bezeichnen. Der gute Hirt kennt jedes einzelne Tier aus seiner Herde. Er weiß, wieviel er jedem einzelnen zumuten kann. Er darf die Herde nie schneller und weiter führen, als es das schwächste Tier verkraftet. Er merkt sofort, wenn einem Tier etwas fehlt, er sucht das Verirrte.
Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. (Joh 10,4)
Der gute Hirte ist vertraut mit jedem einzelnen Tier seiner Herde. Er weiß, dass jedes Tier anders ist und schon allein deshalb ist die Herde für ihn mehr als eine gleichförmige Masse. Auch die Schafe folgen nicht blind jedem Hirten. Sie sind vielmehr ebenso mit ihrem Hirten vertraut. Sie kennen genau seine Stimme. Sie mussten sich erst an ihn gewöhnen. Nun, da sie ihn kennen, folgen sie ihm, weil sie wissen, dass er sie stets den richtigen Weg zu grünen Weiden und frischem Wasser führt.
Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. (Joh 10,10)
Nicht alle Hirten sind gut, manchmal erkennt man das erst auf den zweiten Blick. Es gibt Diebe, die durch die Hintertür in den Stall kommen, nicht durch die Tür, die Jesus Christus ist. Sie wollen die Schafe nur in ihrem eigenen Namen führen, auf einem Weg, der den Tod bedeutet, sei es durch materielle oder seelische Ausbeutung. Wir erleben es ja leider viel zu oft, dass Menschen sich von falschen Hirten verführen lassen, und dann verzweifelt zurück bleiben.
Jesus will, dass die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Leben in Fülle, das beginnt dort, wo Menschen erkennen, dass Leben mehr ist als materieller Reichtum und gesundheitliches Wohlergehen, es beginnt dort, wo ein Mensch Gott entdeckt und dadurch zu sich selbst findet, wo er beginnt, seinen Weg in der Freude des Herzens zu gehen, in der Freude darüber, ein Kind Gottes zu sein. Leben in Fülle beginnt dort, wo Menschen sich für andere einsetzen, die in Not sind.
Herr Jesus, du hast uns Leben in Fülle verheißen.
Dieses Leben kommt nicht, wenn wir warten und die Hände in den Schoß legen.
Rüttle du uns auf, dass wir aufstehen, und dem Leben entgegen gehen, dass du uns verheißen hast. Gib dass wir uns führen lassen von dir, dem guten Hirten, denn du kennst den Weg zum Leben, du weißt wo die Orte der Freude sind.
Schenke uns Menschen, die uns zu dir führen und lass auch uns Menschen sein, die andere führen, durch die Tür, die du selbst bist.