1 Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. 2 Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.
An den Sonntagen der Osterzeit hören wir im Lesejahr C mehrere Abschnitte aus der Offenbarung des Johannes. Das zwölfte Kapitel dieses Buches ist der Lesungstext an vielen Marienfesten. Ich möchte daher in diesem Jahr den Marienmonat Mai mit einer Betrachtung über diese Frau in der Offenbarung des Johannes beginnen.
Das zwölfte Kapitel bildet das Zentrum der Offenbarung des Johannes. Bisher hat Johannes in seinen Visionen geschaut, wie das Lamm im Himmel – Symbol für Jesus Christus – die sieben Siegel des Buches der Welt geöffnet und somit den tieferen Sinn des Weltgeschehens offenbar gemacht hat. Die sieben Posaunen sind erschallt und haben das Unheil gezeigt, das über die Bewohner der Erde hereinbricht. Mit dem Ertönen der siebten Posaune öffnet sich der Blick auf das messianische Geschehen der Endzeit.
Das Kind, mit dem die Frau schwanger ist, zeigt uns den Messias, Jesus Christus, Gottes Sohn. Die Frau ist Bild für das Volk Gottes. Die zwölf Sterne sind Symbol für die zwölf Stämme Israels, des auserwählten Gottesvolkes. Durch dieses Volk will Gott der Welt sein Heil vermitteln und aus diesem Volk geht der Messias hervor. Durch die Einsetzung der zwölf Apostel hat Jesus Christus das neue Gottesvolk errichtet, das aus dem Gottesvolk des Alten Bundes hervorgeht, nun aber die ganze Welt umgreift.
Die Frau ist zum einen Symbol für das Volk Gottes, sie ist aber auch ein ganz konkreter Mensch, Maria. In ihr verdichtet sich die Geschichte des Volkes Gottes. Aus ihr geht der Messias hervor und so wird sie zur Schnittstelle zwischen Altem und Neuem Bund.
Maria hat nicht nur als Person und Gestalt Bedeutung, sondern auch als Zeichen und Symbol. Dies aber nicht in einem äußerlichen, konventionellen Sinne verstanden, so wie man gewisse Dinge mit symbolischer Bedeutung ausstattet. Maria ist vielmehr als wirklichkeitserfüllendes personales Symbol zu erkennen, in welchem Zeichen und Wirklichkeit, Bedeutung und Tat, Sinn und Gestalt zusammengehören.
Diese Worte von Leo Kardinal Scheffczyk zeigen uns, wie wir die Stelle aus der Offenbarung deuten können. Die Frau ist konkret Maria und sie ist zugleich Symbol für das alte Gottesvolk, aus dem der Verheißung nach der Messias hervorgeht. Durch die Geburt des Messias wird Maria zur Mutter des neuen Gottesvolkes, das ihr Sohn auf Erden gegründet hat.
Gottes Geschichte mit den Menschen ist immer konkret. Sie geschieht durch bestimmte Personen, die Gottes Willen tun. Sie entsteht nicht durch Debatten und Verlautbarungen, sondern durch Taten. Durch ihr Ja zu Gott ist Maria zum Urbild aller Menschen zu allen Zeiten geworden, die ihr Ja sagen zum Willen Gottes. Dies rechtfertigt die Stellung, die ihr die Kirche zuweist, indem sie uns Maria als Mutter und Fürsprecherin zeigt.
Gott selbst zeigt uns Maria als Urbild des glaubenden Menschen. Johannes sieht Maria als Zeichen der neuen Heilszeit des Messias. Die zwölf Sterne zeigen die Universalität Mariens als Repräsentantin des Alten und Neuen Bundes. Sonne und Mond sind die Zeichen dieser Erdenzeit, die Sonne als Zeitmesser des Tages, der Mond als Nachtgestirn und Maß für Monate und Festzeiten. So wird deutlich, dass das folgende Geschehen, das Johannes als Vision im Himmel sieht, eine konkrete Entsprechung auf Erden hat. So wie Maria einerseits symbolisch für das Volk Gottes steht, andererseits aber ganz konkret auf Erden gelebt hat, so bleibt auch alles andere, das Johannes sieht, kein abstraktes Bild, sondern wird konkret geschehen.
3 Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. 4 Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war.
Ein weiteres Zeichen sieht Johannes im Himmel, einen Drachen von unvorstellbarer Größe. Die sieben Köpfe zeigen seine universelle Macht über Himmel und Erde. Drei Köpfe haben je zwei Hörner und vier Köpfe je ein Horn, so gelangt man zur Zehnerzahl und sieht zugleich die Drei und die Vier, die für Himmel und Erde stehen, und die in der Sieben zur Universalität werden. Es ist eine Bedrohung, die selbst Gott gefährlich wird. So sieht die Tradition in Satan seit jeher Luzifer als des höchsten unter den Engeln, der sich gegen Gott erhoben hat.
Ein Drittel der Sterne fegt der Drache mit seinem Schwanz vom Himmel zur Erde. Man kann darin die Engel sehen, die Satan auf seine Seite gezogen hat. So kommt das Böse auf die Erde. Wir erfahren hier, dass die Kämpfe auf der Erde letztlich die Folge dieses einen Kampfes im Himmel sind. Wir erkennen den Ursprung des widergöttlichen Wirkens, das Gottes gute Schöpfung zerstören und den Menschen von Gott trennen will.
Doch auch Gott verlagert sozusagen seinen Kampfplatz auf die Erde. Er überlässt seine Schöpfung nicht den teuflischen Mächten. Die Frau und ihr Kind sind die Hoffnungsträger im Kampf gegen das Böse auf Erden. Eine Frau, schwach und doch mächtig durch ihren Glauben. Dies zeigt uns Maria als neue Eva. Eva ist den Verführungen Satans erlegen. Maria aber nimmt den Kampf wieder auf, der den Nachkommen Evas prophezeit wurde:
Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse. (Gen 3,15)
Der Drache weiß um die Macht des Kindes. Er weiß, dass seine Zeit zu Ende gehen wird, wenn es Gottes Sohn gelingt, sein Werk auf Erden zu vollbringen. Gott kommt als hilfloses Kind auf die Welt, geboren von einer einfachen Frau. Doch es gelingt dem Drachen nicht, die Frau und ihr Kind zu vernichten. Das ist ein Zeichen der Hoffnung. Was schwach scheint auf Erden, wird stark durch den Glauben.
5 Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. 6 Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.
In einem Satz wird hier die ganze Heilsgeschichte zusammengefasst. Die Leser der Offenbarung wissen, was hier gemeint ist. Es steht im Evangelium. Gottes Sohn kam in die Welt und hat den Neuen Bund gestiftet mit seinem Blut. Der Drache konnte ihn nicht verschlingen, sondern Gottes Sohn ging aus dem Tod als Sieger hervor über den Tod und thront zur Rechten des Vaters.
Maria aber wird zur Mutter des neuen Gottesvolkes. Mit ihren Kindern, den Glaubenden, steht sie im Kampf gegen den Satan. Sie ist die Zuflucht der Glaubenden und sie breitet den Mantel aus über ihre Kinder, um sie vor aller Not zu schützen. Rufen wir Maria um ihre Hilfe an:
Jungfrau, Mutter Gottes mein
lass mich ganz Dein eigen sein
Dein im Leben, Dein im Tod
Dein in Unglück, Angst und Not
Dein in Kreuz und bittrem Leid
Dein für Zeit und Ewigkeit
Jungfrau, Mutter Gottes mein
lass mich ganz Dein eigen sein
Mutter auf Dich hoff und baue ich
Mutter zu Dir ruf und seufze ich
Mutter Du gütigste, steh mir bei
Mutter Du mächtigste, Schutz mir leih
O Mutter, so komm, hilf beten mir
O Mutter so komm, hilf streiten mir
O Mutter so komm hilf leiden mir
O Mutter so komm und bleib bei mir
Du kannst mir ja helfen, o Mächtigste
Du willst mir ja helfen o Gütigste
Du musst mir nun helfen o Treueste
Du wirst mir auch helfen Barmherzigste
O Mutter der Gnade, der Christen Hort
Du Zuflucht der Sünder, des Heiles Port
Du Hoffnung der Erde, des Himmels Zier
Du Trost der Betrübten, ihr Schutzpanier
Wer hat je umsonst Deine Hilf angefleht
Wann hast Du vergessen ein kindlich Gebet
Drum ruf ich beharrlich, in Kreuz und in Leid
Maria hilft immer, sie hilft jederzeit
Ich ruf voll Vertrauen im Leiden und Tod
Maria hilft immer, in jeglicher Not
So glaub’ ich und lebe und sterbe darauf
Maria hilft mir in den Himmel hinauf
Amen.