Am vergangenen Sonntag haben wir im Evangelium von der Witwe von Nain gehört. Sie trug ihren einzigen Sohn zu Grabe – und Jesus hat den Jungen zum Leben erweckt und damit zugleich auch seiner Mutter die Lebensfreude wiedergeschenkt. Heute hören wir von einer anderen Frau, die sicher ebenso verzweifelt war wie die Witwe von Nain, wenn auch aus einem anderen Grund. Sie ist eine Sünderin, eine, mit der man nichts zu tun haben will, ein Schandfleck in der Stadt. Mit ihrem Tun hat sie sich an den Rand der Gesellschaft gebracht und nun findet sie keinen Weg zurück. Jesus wird auch ihr das Leben neu schenken.
Den Rahmen für die Geschichte bildet ein Gastmahl, zu dem Jesus eingeladen ist. Es findet im Haus eines Pharisäers statt, Simon heißt er, und der ist ein vornehmer und durchaus auch frommer Mann. Simon war sicher auf der Suche nach dem rechten Weg zu Gott. Treu hält er die Gebote, die das Gesetz vorschreibt. Jesus erkennt diesen Weg zu Gott an, doch er wird zeigen, dass ihm etwas Entscheidendes fehlt: die Liebe.
Plötzlich ist da eine Frau, die die familiäre Atmosphäre des Gastmahls durchbricht. Ungebeten hat sie sich eingeschlichen, von hinten tritt sie an Jesus heran, und dann kniet sie plötzlich zu seinen Füßen und mit liebender Hingabe wäscht sie die Füße des Herrn mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihrem Haar und salbt sie mit wohlriechendem Öl.
Die Reaktion des Pharisäers gleicht zu allen Zeiten hindurch der Reaktion aller gesetzestreuen Menschen: So etwas gehört sich nicht! Wie kann ein Mann Gottes sich so auf eine Sünderin einlassen und sich sogar von ihr berühren lassen? – Wenn Jesus nicht dagewesen wäre, hätte er die Frau wohl sofort hinauswerfen lassen, aber er war doch gespannt darauf, was Jesus zu seinem Verhalten zu sagen hat. Jesus rückt die Angelegenheit in das rechte Licht und wird dem Pharisäer deutlich machen, dass er mit all seiner Frömmigkeit nicht viel besser dasteht als diese Frau.
Jesus erzählt ein Gleichnis. Zwei Männer haben Schulden, einer sagen wir mal etwa fünftausend Euro, der andere fünfzigtausend. Beiden wird die Schuld erlassen. Der Pharisäer versteht. Wir sind alle schuldig vor Gott, kein Mensch kann sagen, dass er vor Gott vollkommen gerecht ist. Das wussten auch die Pharisäer. Bei all ihrer Gesetzestreue war ihnen doch bewusst, dass sie es nie schaffen werden, alle Gebote vollkommen zu erfüllen.
Mir fällt hier eine ähnliche Situation aus dem Johannesevangelium ein. Als eine Ehebrecherin gesteinigt werden soll, bringt Jesus die Menge mit dem Satz zum Nachdenken: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als erster seinen Stein.“ – Und einer nach dem anderen ging fort, zuerst die Ältesten (vgl. Joh 8,7-9).
Auch wenn nun also der Pharisäer Simon von seiner Gerechtigkeit überzeugt ist, so weiß er doch auch um seine eigenen Sünden und Fehler. Auch er steht bei Gott in der Schuld und hofft darauf, dass Gott ihm diese erlassen wird. Aber er hat dabei eine andere Methode als die Frau. Simon wird sich denken, wenn ich vor Gott trete, dann kann ich zumindest all das aufzählen, was ich Gutes getan habe, dann wird Gott vielleicht über die kleinen Fehler hinwegsehen.
Jesus aber zeigt, wie Gott will, dass wir vor ihn hintreten: mit einem demütigen und liebenden Herzen. Nicht das Hervorheben unserer eigenen Gerechtigkeit lässt Gott unsere Sünden vergeben, sondern das Tun der Liebe. Unsere ganze Gerechtigkeit kann die Schwere unserer Schuld nicht aufwiegen, nur die Liebe hat Gewicht.
Simon ist Jesus als vornehmer Hausherr gegenübergetreten, der seinen Gast zwar freundlich, aber doch distanziert empfangen hat. Die Frau aber erweist Jesus große Liebe. Sie ist sich nicht zu schade, vor Jesus niederzuknien, sie ist sich nicht zu schade, den Schmutz von seinen Füßen mit ihrem Haar abzuwischen.
Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat.
Was heißt das für uns heute konkret? Wir kennen die Beispiele großer Heiliger, die sich mit ihrer Liebe den Menschen zugewandt haben, die die Wunden der Aussätzigen berührt haben, vor denen sich die anderen voll Ekel abgewandt haben, die zu denen gegangen sind, die von allen anderen gemieden wurden. Es muss nicht immer so spektakulär ablaufen, es können auch auf den ersten Blick ganz unscheinbare Begegnungen sein, die doch große Wirkung haben können. Wenn wir aufmerksam durchs Leben gehen, werden sicher auch wir Menschen sehen, die unsere liebende Zuwendung brauchen.