Das Wort des Herrn erging an mich: Menschensohn, sprich als Prophet gegen die Hirten Israels, sprich als Prophet und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten nicht die Herde weiden? Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht und die starken misshandelt ihr. (Ez 33,1-4)
Im vorangegangenen Kapitel wurde der Prophet Jesaja von Gott dem Volk Israel zum Wächter gegeben, um dem Volk das Wort Gottes mittzuteilen und die zu warnen, die in Sünde gefallen sind. Hier nun wird gezeigt, warum diese Wächterfunktion des Propheten notwendig geworden ist. Die Führer Israels kümmern sich nicht mehr um das Volk. Sie sehen nur noch auf den eigenen Vorteil. Sie bedienen sich am Vermögen des Volkes ohne für Gerechtigkeit zu sorgen und die Schwachen zu unterstützen.
Dieser Text aus Ezechiel wurde als Lesung am Christkönigssonntag im Lesejahr A gewählt. Im Evangelium hören wir vom Jesus, der als Weltenrichter erscheint. Als solcher wird er mit einem Hirten verglichen, der die Schafe von den Böcken trennt. Die Schafe sind die Auserwählten, die Böcke die Verworfenen. Grund für ihre Verwerfung sind ihre Vergehen, die sehr ähnlich lauten wie das, was Ezechiel hier den schlechten Hirten vorwirft:
Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben;
ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen;
ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben;
ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht. (Mt 25,42-44)
Die Hirten tun ihre Pflicht nicht, sie bedienen sich an Milch, Wolle und Fleisch der Herde aber führen sie nicht auf die Weide und geben ihr so keine Nahrung. Sie kümmern sich nicht um die schwachen, kranken und verletzten Tiere und suchen nicht die verirrten. Darum fordert Gott Rechenschaft von ihnen und entzieht ihnen Gott das Hirtenamt.
So spricht Gott, der Herr: Nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe von ihnen zurück. Ich setze sie ab, sie sollen nicht mehr die Hirten meiner Herde sein. (Ez 34,10)
Gott rettet die Schafe aus der Hand der schlechten Hirten. Mehr noch, er wird sich von nun an selbst um seine Schafe kümmern.
Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe. (Ez 7,11-12)
Gott kümmert sich um sein Volk, das sagt der Prophet dem Volk Israel zu und in Jesus Christus wird diese Hirtensorge Gottes um alle Menschen konkret. Jesus selbst sagt von sich, dass er der gute Hirte ist (Joh 10), im Gleichnis vom verlorenen Schaft zeigt er, wie wichtig ihm die Sorge auch um die verirrten Schafe ist. Der gute Hirte lässt die 99 Schafe auf der Weide zurück, um das verirrte Schaft zu suchen (Mt 18,12-14). Gott kümmert sich als der gute Hirte um sein Volk, damit auf den rechten Weg finden. Er heilt die Wunden und will alle auf eine fruchtbare Weide führen, damit sie sich stärken können und glücklich sind (vgl. Ps 23). Gott will, dass keiner verloren geht.
Mein Heiland trauert über meine Sünden. Mein Heiland kann sich nicht freuen, solange ich in Verkehrtheit bleibe. (Origenes)
So ist auch die Gemeinschaft der Heiligen nicht vollendet und die Freude der Gerechten nicht vollkommen, solange nicht alle Erwählten an ihr teilhaben. Diese Sorge Gottes müssen wir stets vor Augen haben, wenn wir vom Gericht Gottes reden. Ja, auch zum Gericht wird der Herr kommen wie ein Hirte.
Alle Völker werden von ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. (Mt 25,32)
Doch dieser endgültigen Trennung von Schafen und Böcken, von Guten und Bösen, geht die unermüdliche Hirtensorge Gottes voran, der ständig die verirrten sucht und nach ihnen ruft, der sich ständig um die verletzten kümmert und ihre Wunden heilt und der alle auf fruchtbare Weide führt, dass sie stark und kraftvoll bleiben. Nur wer diese Hirtensorge Gottes zurückweist, wer sich bewusst gegen sie entscheidet, die Stimme Gottes hört, aber ihr nicht folgt, und die liebende Hand, die sich ihm entgegenstreckt schroff abweist, und wer nicht bereit ist, seinen Mitmenschen auch nur den kleinsten Liebesdienst zu erweisen, der läuft in Gefahr, dass ihm diese ewige Verdammnis trifft.
Immer wieder neu versucht der Prophet Ezechiel deutlich zu machen, wie groß Gottes Fürsorge für sein Volk ist. Kann es da noch sein, dass jemand nicht gerettet werden kann?
Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. (Ex 34,15-16)
Gott als Hirte – das ist eine Ergänzung zu dem Bild von Gott als Richter. Viele lehnen die Vorstellung eines richtenden Gottes ab. Gott als Richter, das ist doch Angstmache, das widerspricht doch dem Gott der Liebe, den uns das Neue Testament schildert. Vielleicht stellen wir uns das Gericht Gottes aber einfach nur zu menschlich vor. Wir erwarten, dass Gott wie ein Mensch richten wird. Dabei sollten wir doch wissen, dass Gott stets anders ist, als wir ihn uns vorstellen und dass er alle unsere Gedanken übersteigt. Was wissen wir Menschen schon davon, wie Gott, der ganz Liebe ist und der nichts anders kann als lieben, über eine Welt richten wird, die er aus Liebe geschaffen hat. Gott will die Rettung aller und es schmerzt ihn jeder Mensch, der sein Angebot der Liebe zurückweist.