Darauf wandte sich Jesus an das Volk und an seine Jünger. (Mt 23,1)
Die große Gerichtsrede, die die Kapitel 23 bis 25 des Matthäusevangeliums umfasst, ist die letzte der fünf Reden Jesu, die Matthäus in seinem Evangelium aus verschiedenen Jesusworten zusammengestellt hat. Sie bildet das Gegenstück zur ersten Rede, der Bergpredigt, und umfasst sicher nicht zufällig wie diese auch genau drei Kapitel. Im ersten Teil der Rede geht es vor allem um die Leitung der Gemeinde. Jesus stellt dem Negativbild der jüdischen Pharisäer das Ideal christlicher Brüderlichkeit und Demut gegenüber.
Er sagte: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen. Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen. Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi (Meister) nennen. (Mt 23,2-7)
Jesus kritisiert nicht die Lehre der Pharisäer. Sich suchen nach der Gerechtigkeit Gottes und wissen, was diese bedeutet. Sie kennen den Willen Gottes, aber sie bringen ihn nur mit ihren Worten, nicht durch ihr Tun zum Ausdruck. Schön reden können viele und damit auch leicht andere blenden. Die innere Haltung entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen. Gerade das macht religiöse Lehrer so gefährlich. Die Leute lassen sich blenden von ihrem frommen Schein und bringen ihnen Ehre und gehorsam entgegen, stöhnen aber auf der anderen Seite unter den Lasten, die ihnen von den religiösen Führern auferlegt werden.
Wer ein wahrhafter Diener Gottes ist, wird lieber selbst um der anderen willen vieles auf sich nehmen, als andere für sich Lasten tragen zu lassen. Er leidet für seine Gemeinde. Seine innige Beziehung zu Gott trägt er nicht nach außen, sondern betet in der Nacht in der Verborgenheit seiner Kammer. Er stellt sich nicht in den Mittelpunkt und hält nicht Ausschau danach, wo er das beste Essen bekommt, sondern hält sich bescheiden zurück. Es geht nicht darum, dass man sich nicht grüßen lassen dürfte oder nicht einladen lassen darf, es geht vielmehr darum, dass es nicht angebracht ist, wegen seines Amtes den Anspruch zu erheben, eine Stellung vor allen anderen einzunehmen.
Der Herr verbietet nicht, dass diejenigen, denen solche Behandlung von Amt und Standes wegen gebührt, auf dem Markt gegrüßt werden oder den ersten Platz bei Tisch einnehmen. Er sagt vielmehr, dass die Gläubigen diejenigen, welche solches allzu sehr lieben – ob sie es nun bereits haben oder nicht – meiden sollen; es ist kein gutes Zeichen für ihren Charakter. (Hrabanus)
Letztlich geht es darum, dass innerhalb der Gemeinde erkennbar werden muss, wer der Herr, wer der Lehrer und wer der Meister ist. Dies ist allein Jesus Christus. Alle anderen sind Diener, jeder auf dem Platz und Rang, der ihm zugemessen ist.
Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Mt 23,8-12)
Gott wird für die rechte Ordnung in der Gemeinde Sorge tragen. Niemand soll sich selbst in den Vordergrund drängen. Machtkämpfe soll es in der Gemeinde nicht geben. Wer sie führt, richtet sich nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Gott.
Das ist die Ursache aller Übel: den Thronsitz eines Meisters zu begehren. (Johannes Chrysostomus)
Die Väter haben immer wieder auf die Bedeutung der Demut hingewiesen. Demut bedeutet Mut zum Dienen. Sie ist also kein ängstliches Duckmäusertum, wie heute viele glauben. Demut beruht vielmehr auf einer inneren Größe, die es nicht nötig hat, die eigene Person immer in den Vordergrund zu stellen und vor den Menschen zu glänzen, sondern den Mut hat, sich auch einmal hinten anzustellen und gerade im Dienst an den Menschen Größe zu zeigen. Die Demut weiß darum, dass es eine größere Ehre gibt als die, einen Augenblick der Weltgeschichte lang von den Menschen geachtet und gelobt zu werden.
Die Worte Jesu bleiben bis heute eine Anfrage an jeden von uns, ob unsere Frömmigkeit auch wirklich aus unserem Herzen kommt und unser Leben bestimmt, oder nur frommer Schein ist.