Als sich die Tage seiner Hinwegnahme erfüllten, da richtete Jesus sein Antlitz fest darauf, nach Jerusalem zu wandern. (Lk 9,51)
In dieser wörtlichen Übersetzung (nach Peter Köster) wird die Bedeutung des Satzes klarer. Er bildet die Überschrift über die nun folgenden Kapitel. In dem nur wenige Verse vorher geschilderten Bericht von der Verklärung Jesu wurde den Jüngern ein Blick auf Jesu Göttlichkeit gewährt. Dann hat Jesus den Jüngern deutlich gemacht, dass er vor seiner Verherrlichung leiden und sterben müsse. Der Leser, der dem Lauf des Lukasevangeliums folgt, wurde also schon hinreichend auf das vorbereitet, was die hier genannte Hinwegnahme bedeutet. Jesu Leiden, Tod und Auferstehung, die sich in Jerusalem erfüllen, sind das Ziel des Weges Jesu.
Die nun folgenden Kapitel bis Lukas 19,27 bilden eine Einheit und zeigen Jesu Weg nach Jerusalem. In Worten und Taten führt Jesus die Jünger immer tiefer in sein Geheimnis ein. Am Ende dieses Weges steht dann der Einzug Jesu in Jerusalem, auf den seine Gefangennahme folgt. Jesus weiß, was ihn in Jerusalem erwartet, und ist fest entschlossen, diesen Weg zu gehen. Auch wenn er noch mehrere Wochen unterwegs sein wird und dabei vielen Menschen begegnet, so ist doch die Richtung klar.
Gleich am Anfang dieses Weges stellt sich Jesus ein Hindernis in den Weg, das einen kleinen Umweg erforderlich macht. Zugleich macht Jesus seinen Jüngern deutlich, was es heißt, mit ihm auf diesem Weg zu gehen. Es ist eine Entscheidung, die radikales Vertrauen auf Gott zur Grundlage haben muss.
Und er sandte Boten vor sich her. Und sie gingen hin und kamen in ein Dorf der Samariter, um ihm Herberge zu bereiten. Und sie nahmen ihn nicht auf, weil sein Antlitz gerichtet war, nach Jerusalem zu wandern. (Lk 9,52-53)
Jesus schickt Jünger voraus, die eine Unterkunft vorbereiten sollen. Der Weg führt durch samaritisches Gebiet. Wir kennen aus verschiedenen biblischen Erzählungen die Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Nach dem Untergang des Nordreiches im Jahr 732 v.Chr. wurden im Gebiet um Samaria fremde Volksstämme angesiedelt, viele Israeliten sind nach Juda geflohen, einige aber blieben in ihrer Heimat zurück. Auf jüdischer Seite war man bestrebt, den JHWH-Kult auf den Tempel in Jerusalem als dem einzig legitimen Heiligtum zu beschränken. Schon in den Königsbüchern des Alten Testaments wird deutlich, dass jeder Kult außerhalb des Tempels von Jerusalem Götzendienst und Abfall vom Gott Israels ist.
Im alten Israel aber kannte man verschiedene Heiligtümer. Die samaritanische Bevölkerung hielt an ihrer Verehrung Gottes auf dem Berg Garizim fest. Da beide Seiten aus ihrer Sicht den Gott Israels anbeteten, kann man von so etwas wie zwei jüdischen Konfessionen sprechen. Wir wissen aus unserer eigenen christlichen Vergangenheit, dass der Hass zwischen den Konfessionen, die den gleichen Gott verehren, größer sein kann, als die Ablehnung der Heiden, die andere Götter verehren.
Der Hass zwischen Juden und Samaritern beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wollte nichts miteinander zu tun haben, mied jedwedes Zusammentreffen und erzählte sich die übelsten Geschichten von der Bosheit der jeweils anderen Gruppe. Jesus durchbricht diese Spirale des Hasses. Er macht keinen großen Bogen um samaritisches Gebiet, wie es fromme Juden zu tun pflegten. Und er erzählt auch keine Schauermärchen über die Samariter. Im Gegenteil. Im Johannesevangelium hören wir von der Begegnung Jesu mit der Samariterin und das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, das Lukas uns im nächsten Kapitel überliefert, gehört bis heute zu den bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments.
Und doch wollen die Samariter Jesus nicht durch ihr Gebiet lassen, sie nehmen Jesu Angebot der Versöhnung nicht an. Jesus aber urteilt nicht über sie, er verurteilt sie nicht. Er sagt nicht: Da sieht man ja, wie schlecht diese Samariter sind. Er weiß, wie schwer es ist, tief verwurzelte Feindschaften zu heilen. Er will den Graben des Hasses nicht noch tiefer graben. Er lässt den Hass der Gegenseite nicht in sein Herz, und somit kann ein Schimmer des Friedens aufleuchten inmitten der Dunkelheit. Seine Jünger aber, die einen Blitz der Vernichtung fordern, weist er scharf zurecht:
Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf. (Lk 9,54-56)
Jesus ist nicht gekommen, um zu vernichten, sondern um zu retten. Niemand darf mit Gewalt zum Glauben an ihn gezwungen werden oder für die Ablehnung Jesu mit Gewalt bestraft werden. Was Jesus hier den beiden eifernden Donnersöhnen, wie Jakobus und Johannes an anderer Stelle genannt werden, deutlich macht, haben spätere Glaubensverkündiger leider immer wieder vergessen.
Jesus will uns zeigen, dass die vollkommene Tugend nicht rachsüchtig ist, dass dort, wo volle Liebe herrscht, der Zorn keinen Platz hat und Schwäche nicht auszuschließen, sondern zu unterstützen ist. Fern sei den Frommen die Verbitterung und fern den Großmütigen die Rachsucht! (Ambrosius)
Beten wir darum, dass wir wie Jesus die Kraft haben, dass wir auf Ablehnung nicht mit Ablehnung reagieren und die Flamme der Liebe in unserem Herzen nicht vom Hass ersticken lassen.