Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung. (Gal 3,26-29)
Auf immer wieder neue Weise will Paulus den Galatern deutlich machen, was es heißt, an Jesus Christus zu glauben. Wer glaubt und sich taufen lässt, ist zu einem neuen Menschen geworden. In Gal 2,20, der Lesung am vergangenen Sonntag, hat Paulus das so erklärt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Er wollte damit zeigen, dass der Glaube den Menschen in seinem Innersten so verändert, dass er in seinem Denken, Fühlen und Wollen Christus immer ähnlicher wird. Nun zeigt er, dass Glaube und Taufe den Menschen auch äußerlich verändern:
Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt.
Christus als Gewand anlegen, was meint Paulus damit? Wer “Gewand Christi” bei Google eingibt, der stößt dabei schnell auf den heiligen Rock in Trier. Hier haben wir ein Gewand, das Christus selbst getragen haben könnte. Zu den großen Wallfahrten können wir dieses Gewand Christi ansehen und verehren. Doch Paulus meint mit seinen Worten etwas anderes, als dass wir dieses Gewand Christi selbst anziehen sollten.
Wenn wir über das Thema Kleidung nachdenken, so fällt uns auf, dass wir bei uns in großen Menschenmassen selten zwei Menschen sehen, die gleiche Kleidung tragen. So vielfältig ist das Angebot an Kleidungsstücken, so groß ist unser Drang nach Individualität, dass wir uns von anderen unterscheiden wollen. Andererseits schafft das bewusste Tragen der gleichen Kleidung Gemeinsamkeit. Das sehen wir spielerisch, wenn zwei Menschen im “Partnerlook” gehen. Autoritäre Staaten möchten gerne ihre Bürger in Einheitskleidung stecken. Ähnliche Kleidung macht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe deutlich. Offizielle Anlässe verlangen nach einer angemessenen Kleidung, die Uniform der Soldaten macht die Vielen zu einer Truppe. Im kirchlichen Bereich kennen wir das Ordensgewand, das die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft zum Ausdruck bringt, oder das Kollar, das einen Priester kenntlich macht.
All dies hilft uns, das Wort des Apostels Paulus besser zu verstehen. Wir sollen als Christen unsere Ähnlichkeit mit Jesus Christus äußerlich zum Ausdruck bringen. Nicht durch uniforme Kleidung, die reine Äußerlichkeit bliebe, sondern durch eine Gemeinschaft über alle nationalen und gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Der gemeinsame Glaube und die gemeinsame Ausrichtung auf Jesus Christus überbrückt alle Unterschiede aufgrund der ethnischen oder sozialen Herkunft. Ob einer reich oder arm, Mann oder Frau, Europäer oder Afrikaner ist, jeder Mensch kann Abbild Jesu Christi sein und ist gleichwertig in der Gemeinschaft der Glaubenden.
In dem speziellen Zusammenhang des Galaterbriefes geht es Paulus vor allem darum, den Galatern zu zeigen, dass sie auch ohne Übernahme der jüdischen Tradition der Beschneidung vollwertige Mitglieder in der Gemeinschaft der Kirche sind. Damals sind bei den Galatern judenchristliche Missionare aufgetreten, die in fälschlicher Berufung auf die Apostel in Jerusalem von den Heidenchristen die Beschneidung gefordert haben. Nur durch die Beschneidung, so meinten sie, könnten auch die Heiden Erben der Verheißung werden, die Gott an Abraham gerichtet hat. Gott hat ihrer Meinung nach das Heil an das Zeichen der Beschneidung gebunden. Paulus widerspricht dem. Im neunen Bund, den Christus gestiftet hat, ist nicht mehr die Beschneidung das verbindende Bundeszeichen, sondern allein die Taufe.
Paulus betont, dass sowohl die Juden, die das Bundeszeichen der Beschneidung tragen, als auch die Heiden, die dieses Zeichen nicht tragen, durch die Taufe das Heil Gottes erlangen und Kinder Gottes sind. Er geht noch darüber hinaus und argumentiert, dass es nach der Taufe gar keine Unterschiede aufgrund menschlicher Herkunft mehr geben kann.
Für uns heute mag diese Auseinandersetzung weit weg, die Abgrenzung zwischen Juden und Christen ist bald nach Paulus deutlich, vielleicht allzu deutlich, vollzogen worden. Wir können uns aber dennoch fragen, wo wir heute trotz Christentum und allgemeiner Erklärung der Menschenrechte, nach der alle Menschen die gleiche Würde haben unabhängig von „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“, immer noch Unterschiede in der Würde des Menschen gelten lassen und andere diskriminieren.
Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt.
Paulus gebraucht diesen Ausdruck, weil er so gewaltig ist. Denn wenn Christus Sohn Gottes ist, du aber ihn angezogen hast, so bist du, weil du den Sohn in dir hast und ihm ähnlich gestaltet wurdest, in eine Verwandtschaft und Form mit ihm gebracht worden. … Er begnügt sich aber auch mit dieser Redensart nicht, sondern erklärt dieselbe, dringt tiefer ein in die Art dieser Verbindung und schreibt: „Ihr alle seid einer in Christus Jesus“, das bedeutet, ihr alle habt eine Gestalt, eine Form, die Form Jesu Christi. Gibt es etwas, was gewaltiger ist als dieses Wort? Ein Mensch, der zuvor Heide oder Jude oder Sklave war, wandelt nun einher in der Gestalt nicht eines Engels, nicht eines Erzengels, nein, in der Gestalt des Alleinherrschers selber und vergegenwärtigt Christus in seiner Person. (Johannes Chrysostomus)
Ähnlich wie Johannes Chrysostomus ruft uns auch Papst Leo der Große in einer Predigt dazu auf, das Unglaubliche, das Gott an uns gewirkt hat, stets vor Augen zu haben und uns dessen würdig zu erweisen:
Christ, erkenne deine Würde! Du bist der göttlichen Natur teilhaftig geworden, kehre nicht zu der alten Erbärmlichkeit zurück und lebe nicht unter deiner Würde. Denk an das Haupt und den Leib, dem du als Glied angehörst! Bedenke, dass du der Macht der Finsternis entrissen und in das Licht und das Reich Gottes aufgenommen bist.
Wir haben Christus als Gewand angelegt. Wir gehören zu Jesus Christus und sind dazu berufen, unser Leben seinem Leben ähnlich zu machen. Leben wir gemäß unserer Berufung. Tragen wir unseren Glauben in die Welt hinaus. Leben wir so, dass durch unser Tun den Menschen das Heil erfahrbar wird, das Gott der Welt geschenkt hat. Das bedeutet nicht, dass wir alle im Gleichschritt marschieren müssen, Nachfolge ist individuell und vielfältig, jeder hat seine je eigene Berufung. Aber doch gibt es einen gemeinsamen Ursprung, einen gemeinsamen Mittelpunkt, ein gemeinsames Ziel: Jesus Christus geht den Vielen voran, die er in seine Nachfolge ruft, auf ihn gilt es zu schauen.
Paul Claudel hat es einmal so formuliert:
Heilige sind Menschen, die in die Fußstapfen Jesu getreten sind, doch jeder mit seiner eigenen Schuhgröße.
Wir alle sind als Heilige berufen und dazu auserwählt, in dem Gewand des neuen Lebens zu wandeln, das Gott für jeden von uns in seiner Größe passend bereit gelegt hat.