Die Bücher der Chronik geben einen Überblick über die Geschichte Israels von Adam bis zum Ende des babylonischen Exils. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Regentschaft der Könige David und Salomo, die für die Juden bis heute den Höhepunkt der Geschichte Israels markieren. Den Juden der nachexilischen Zeit soll somit ein Beispiel vor Augen geführt werden, das sie stets anstreben sollen. Eine zentrale Stellung nimmt dabei auch der Tempel in Jerusalem ein, dessen Standort bereits von David gewählt wurde, der dann von Salomo glänzend errichtet wurde und der nach der Zerstörung durch die Babylonier nach dem Exil wiederaufgebaut wurde und das Zentrum der Verehrung des Gottes Israels bildet.
Die beiden Bücher der Chronik waren ursprünglich ein einziges Buch, das in der hebräischen Bibel den Titel “Ereignisse der Tage” trägt, was Hieronymus in der Vulgata mit “Verba dierum” wiedergegeben hat. Die Septuaginta nennt das Buch “Paralipomena”, was mit “Übergangenes” übersetzt werden kann und darauf hinweist, dass trotz der inhaltlichen Nähe zu den Büchern Samuel und Könige hier auch Ereignisse genannt werden, die in diesen Büchern nicht vorkommen.
Die Geschichte Israels ist eine Geschichte mit dem Gott Israels. Das Geschick Israels ist aufs Engste damit verwoben, wie sich Israel seinem Gott gegenüber verhält. Gott hat dem Volk das Land gegeben, er ist im Tempel mitten unter dem Volk anwesend. Wenn das Volk und seine Könige und Anführer Gott die Ehre geben, wird das Land blühen und wachsen, wie es zur Zeit der Könige David und Salomo der Fall gewesen ist. Wenn aber das Volk und seine Könige und Anführer von Gottes Geboten abweichen, wird das Land von Feinden heimgesucht und im schlimmsten Fall vernichtet, wie bei der Eroberung durch die Babylonier.
Doch ist Geschichte wirklich so einfach? Moderne archäologische Untersuchungen haben festgestellt, dass David und Salomo wohl nicht so bedeutend waren, wie rückblickend in der Bibel geschildert und dass die von den biblischen Geschichtsbüchern verachteten Könige des Nordreichs vermutlich eine größere Blütezeit herbeigeführt haben, als man durch das Lesen der Bibel vermuten würde. Somit wird deutlich, dass die Geschichtsbücher der Bibel neben der Vermittlung historischer Informationen vor allem eine religiöse Komponente haben, die dem historischen Interesse übergeordnet ist. Sie wollen nicht Geschichte um der Geschichte willen vermitteln, sondern sie sehen die Geschichte stets als Spiegel der Beziehung des Volkes mit seinem Gott.
Die letzten Sätze des Buches wollen dem Leser Mut machen:
So spricht Kyrus, der König von Persien: Der Herr, der Gott des Himmels, hat mir alle Reiche der Erde verliehen. Er selbst hat mir aufgetragen, ihm in Jerusalem in Juda ein Haus zu bauen. Jeder unter euch, der zu seinem Volk gehört – der Herr, sein Gott, sei mit ihm -, der soll hinaufziehen. (2Chr 36,23)
Nach dem totalen Versagen der Könige Israels, nach der Katastrophe des Untergangs und der Zerstörung des Tempels, gibt Gott die Chance zu einem Neuanfang. Gott ruft durch den Perserkönig Kyros das Volk wieder heim in sein Land. Sie haben die Chance, es besser zu machen als ihre Väter, sie haben die Chance, an die glorreichen Zeiten der Könige David und Salomo wieder anzuknüpfen.
Die kirchliche Leseordnung präsentiert uns diesen Text am 4. Fastensonntag, dem Sonntag Laetare, an dem mitten in der Österlichen Bußzeit schon ein Schimmer des Osterlichtes durchscheint. Die Österliche Bußzeit ist ja auch so eine Zeit des Neuanfangs, in der wir uns besinnen, über die Zeit hinweg eingeschleifte Fehler entdecken und diese nun vermeiden wollen. Hier ist es auch hilfreich, sich gute Beispiele vor Augen zu führen aus dem Leben der Heiligen, die Worte Jesu zu überdenken, einen Schritt nach vorne zu tun hin zu einem tieferen Glauben und einem Leben nach der Weisung des Herrn.
Wir tun heute religiöse Geschichtsbetrachtungen oft als wertlos ab. Wir wollen die reine Geschichtswissenschaft, ohne Interpretation. Aber gibt es diese? Jeder Historiker lässt seine Weltsicht in sein Werk mit einfließen. Es gibt keine reine Objektivität. Und anders gesehen, wäre eine vollkommen objektive Geschichtswissenschaft nicht eine tote Wissenschaft? Geschichte ist Leben, das Leben von Menschen mit ihren Wünschen und Sehnsüchten, ihren Freuden und Schmerzen und vor allem auch von Menschen mit ihrem Glauben. Menschen brauchen Orientierung, brauchen Vorbilder. Diese liefert uns die Geschichte. Wir müssen sie entdecken, von ihrem Staub befreien und so neu den Menschen unserer Zeit vor Augen stellen.
Geschichte lebt von diesen Vorbildern, sie lebt von Originalen, von Menschen, über die man auch nach ihrem Tod noch Geschichten erzählt. Durch solche Menschen kommt Leben in die Geschichte. Wo aber alles gleich gemacht wird, wo Menschen dem Profit untergeordnet werden, wo jeder nur noch eine Nummer ist, da geht Geschichte zugrunde, da werden wir zu einem Volk ohne Geschichte, das vor sich hindümpelt im Dämmerlicht der Abgaswolken, die auch die trostlosen Reklametafeln der großen Handelsketten nicht zu erhellen vermögen.