Und Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. (Mt 13,24-26)
Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen folgt auf das Gleichnis vom Sämann. In beiden geht es um das Wort, das ausgesät wird. Das Gleichnis vom Sämann endet damit, dass das Wort Frucht bringt, wenn es auf guten Boden fällt. Ein solches fruchtbares Feld kommt nun in diesem Gleichnis in den Blick. Der Samen ist aufgegangen und bringt reichlich Frucht. Damit könnte ja alles gut sein, aber so einfach ist es nicht. Der Feind, der schon einen Teil des Samens am Wachstum gehindert hat, sät nun auch noch Unkraut unter den guten Weizen.
Matthäus ist der einzige Evangelist, der ein solches Wort Jesu über die Saat des Bösen überliefert. Wahrscheinlich bringt er damit die Erfahrung der Gemeinden in seinem Umfeld zum Ausdruck, dass leider auch die Kirche keine ideale Gemeinschaft ist, sondern dass es auch in ihr Streitigkeiten gibt und Menschen, die den Frieden stören. Auch die Erfahrung des Leids gehört weiterhin zur Wirklichkeit der Christen. Diese Spannung zwischen einem perfekten Ideal und einer als unvollkommen erfahrenen Gegenwart gilt es auszuhalten.
Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? (Mt 13,27)
Die Saat des Bösen geht auf und wird für alle sichtbar. Auf dem reichlich Frucht tragenden Acker des Wortes Gottes sprießt auf einmal auch Unkraut unter dem Weizen. Woher kommt das Unkraut? So fragen die Knechte und wer von uns hat diese Frage nicht auch schon an Gott gestellt. Du hast doch eine gute Schöpfung gemacht, warum gibt es dann darin so viel Böses? Ja selbst im neuen Volk Gottes, der Kirche, gibt es viele, die trotzdem weiter Böses tun. Und wenn ich auf mich selbst blicke: trotz aller Bemühungen und aller guten Vorsätze falle ich doch immer wieder in Schuld und Sünde.
Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune. (Mt 13,28-30)
Am liebsten würden die Knechte das Unkraut ausreißen. Doch der Herr mahnt zur Vorsicht. Allzu leicht könnten sie dabei auch das gute Getreide erwischen und zusammen mit dem Unkraut vernichten. Sicher werden beim Gang durch das Feld auch so manche Halme zertreten. Der Schaden würde also auf jeden Fall größer werden, als er ohnehin schon ist. Es ist eine zwar unschöne, aber dennoch unumgängliche Tatsache, dass unter jedem guten Samen auch Unkraut wächst. Es gibt nicht die perfekte Gesellschaft, in der alle nur gut sind. Es wird immer Menschen geben, die Fehler machen, aus Schwäche oder aber auch aus Bosheit. Dies muss jede Gemeinschaft ertragen können. Menschliches Reinheitsstreben schießt oft über das Ziel hinaus. Die Geschichte liefert uns genug Beispiele dafür, dass sogenannte Säuberungsaktionen oft in brutaler Gewalt geendet haben und Gemeinschaften der “Reinen” sich durch ihren Wahn selbst aufgefressen haben.
Jesus mahnt zur Geduld. Gott wird zur gegebenen Zeit das Unkraut vom Weizen trennen. Aber es fällt uns oft schwer, Raum für Gottes Wirken zu lassen. Wir wollen lieber selbst alles in die Hand nehmen und die großen Macher sein. Es braucht ohne Frage Menschen, die Verantwortung übernehmen. Wir sollen nicht über jedes Fehlverhalten einfach hinwegsehen. Brüderliche Ermahnung gehört von Anfang an zu einem Charakteristikum christlicher Gemeinschaften. Aber wir können nicht verhindern, dass die Saat des Bösen immer wieder aufgeht und wir müssen es auch nicht verhindern. Es gibt sicher einen gerechtfertigten heiligen Eifer, der die Kinder Gottes gegen das Böse verteidigen will, aber er darf nicht zu der Utopie werden, dass wir mit unserer eigenen Kraft Gottes Gerechtigkeit in dieser Welt durchsetzen könnten.
Fanatischer Eifer reißt mit den Bösen auch viele gute Menschen aus, weil unser Urteilsvermögen einfach begrenzt ist. Gott allein kommt es zu, zu richten, er allein besitzt unumschränkte Macht. Gerade aber weil Gott über allem steht und er allein Gott ist, muss er seine Macht nicht immer wieder neu beweisen, denn es gibt niemand, der sie ihm ernsthaft streitig machen könnte. Gott hat es nicht nötig, wie ein Tyrann, der immer um seine Herrschaft fürchten muss, alle sofort zu vernichten, die nur den Anschein erwecken, etwas gegen ihn zu haben. Er kann es sich erlauben, Nachsicht zu üben, weil ihm letztlich keiner schaden kann.