An den Sonntagen der Osterzeit hören wir im Lesejahr C verschiedene Stellen aus der Offenbarung des Johannes, ein guter Anlass dafür, dieses Buch und die betreffenden Stellen näher zu betrachten.
Der Titel Apokalypse oder Geheime Offenbarung geht auf das erste Wort des Buches zurück, das auf Griechisch Apokalypsis, zu Deutsch Offenbarung, heißt. Apokalyptische Visionen gab es bereits im Alten Testament und bis heute gibt es eine Flut apokalyptischer Literatur. Meist verbindet man mit dem Wort Apokalypse etwas Zerstörerisches, Visionen vom Weltuntergang. In seiner Grundbedeutung, in der es auch als Überschrift über diesem Buch steht, meint es einfach nur Offenbarung. Das Buch gibt Zeugnis von einer verborgenen Wirklichkeit, gibt Kunde von den Geheimnissen der Schöpfung.
Als Name des Autors wird Johannes angegeben. Ihm zeigt ein Engel die Offenbarung, die Christus von Gott empfangen hat. Es ist einer der sieben Engel, die vor dem Angesicht Gottes stehen. Der Engel ist der Mittler der Visionen an Johannes und ist auch der, der sie deutet. Im Bild, das ich zum ersten Vers der Offenbarung gewählt habe, wird dem Seher Johannes symbolisch das, was er erst in Visionen schauen wird, aus dem Himmel herab in einem Buch übergeben. Dies weist hin auf die Vision in Kapitel 10, in der Johannes vom Himmel ein Buch erhält, das zu essen er aufgefordert wird. Der Prophet verinnerlicht somit ganz das, was ihm offenbart wird.
Über die Person des Johannes gibt es verschiedene Auffassungen. Die griechische Sprache der Apokalypse und die vielen Anklänge an das Alte Testament weisen auf einen judenchristlichen Verfasser hin. Die frühkirchliche Tradition, darunter Justin der Märtyrer und Irenäus von Lyon, hat den Autor der Apokalypse mit dem Apostel und Evangelisten Johannes gleichgesetzt. Johannes soll ja ein sehr hohes Alter erreicht haben und noch unter dem zur Jahrhundertwende regierenden Kaiser Trajan der Gemeinde von Ephesus vorgestanden haben. Schon immer aber gibt es auch Zweifel an dieser Gleichsetzung.
Entstanden ist die Apokalypse der Tradition nach, wie es Vers 9 sagt, auf der Insel Patmos in Kleinasien, wohl um das Jahr 95, unter der Herrschaft des Kaisers Domitian (81-96). Dieser intensivierte den Kaiserkult und ließ sich seit dem Jahr 85 “dominus et deus noster” (unser Herr und Gott) nennen, was unter den Gläubigen heftige Irritationen ausgelöst hat. Die aus christlicher Sicht unumgängliche Ablehnung eines derartigen Kaiserkultes führte zu Ausgrenzung und Verfolgung der Christen.
Jedoch dürfen wir die Offenbarung nicht nur als eine in diese Zeit hinein gesprochene Trostschrift verstehen, sondern sie ist zu allen Zeiten aktuell. Wie Lukas sein Evangelium mit der Apostelgeschichte bis in die Zeit der jungen Kirche erweitert hat, so können wir auch die Offenbarung des Johannes als Gegenwärtigsetzung seines Evangeliums in die Zeit der Kirche betrachten.
Wie schon im Evangelium, geht Johannes auch hier eigene Wege. Nicht chronologisch und historisch wie Lukas geht er vor, sondern mit einer Fülle von Bildern sprengt er die logische Folge von Zeit und Geschichte. Das verwirrt uns aufgeklärte Menschen, die wir alles mit der Logik des Verstandes durchdringen möchten. Doch das Geheimnis Gottes übersteigt menschliche Logik und genau zu diesem Punkt möchte uns Johannes führen, damit wir so Gottes Größe erkennen.
Die Bilder der Apokalypse wollen nicht in eine zeitliche Reihenfolge gepresst und historisch ausgedeutet werden. Sie zeigen das, was immer geschieht, auf verschiedene Weise, und gehen ineinander über und auseinander hervor. Die einzelnen Siebener-Reihen beispielsweise sind nicht in sich abgeschlossen, sondern untrennbar miteinander verwoben.
Der Kampf zwischen dem Reich des Tieres und den Getreuen des Lammes, von dem die Offenbarung berichtet, tobt zu allen Zeiten. Er ist kennzeichnend für den Zustand dieser Welt und wird erst enden, wenn Gottes neue Schöpfung Wirklichkeit geworden ist. Zwar ist Gottes neue Schöpfung schon verborgen in der Welt gegenwärtig, aber erst dann, wenn sie in ihrer Fülle offenbar werden wird, gibt es keinen Raum mehr für die Mächte des Bösen.
In alle Zeiten ergeht daher der mahnende Ruf des Sehers an die Gemeinden, treu in der Liebe zum Herrn zu stehen. Lassen auch Sie sich von seinen Bildern leiten und schmälern Sie nicht deren Kraft durch scheinbar logische und historische Deutungen. Versuchen Sie nicht zu verstehen, sondern tauchen Sie ein in die Vielfalt der Bilder, die in immer anderen Aspekten das deuten, was Sie im Hier und Jetzt erleben. Lassen Sie sich rufen vom Ruf zur Umkehr. Diese ist sicher nicht leicht, aber wird belohnt mit unvorstellbarem Glück.
Hans Urs von Balthasar gibt in „Das Buch des Lammes“ folgende Zusammenfassung des Inhalts der Offenbarung:
Die Offenbarung hat den Sinn der Weltgeschichte und damit der Schöpfung im Ganzen zum Inhalt, so wie dieser aus der Perspektive des einzig zuständigen Lammes aufgeht, ein Sinn aber, der nicht einfach abgelesen werden kann, sondern durch das Sich-Ereignen des Ganzen hindurch sich erschließt: durch das Handeln des Lammes zuerst, da es geschlachtet wurde und nun lebend dasteht, durch das Handeln der Menschen, die den Sinn dieses Handelns selber handelnd entweder für treu und zuverlässig halten oder sich ihm gegenüber ablehnend verhalten. Und da jedem die Freiheit zum Glauben und zum Nichtglauben bleibt, wird dieser Sinn nicht in einer platten Geschichtserzählung dessen, was kommen wird, dargelegt, sondern in Visionsbildern, die das Weltgeschehen, das sich zwischen Himmel und Erde vollzieht, in zugleich offenbarenden und Geheimnis bleibenden Gestalten vorzeigen.