Wenn wir uns der Auslegung des heutigen Evangeliums (Lk 12,13-21) zuwenden, so müssen wir auch den folgenden Abschnitt (Lk 12,22-32) betrachten, denn dort zeigt Jesus das Gegenprogramm zu dem auf, was im ersten Abschnitt geschildert wird.
Jesus erzählt aus konkretem Anlass ein Gleichnis. Da ist einer aus der Menge, der Jesus zum Schiedsrichter machen will über Geldstreitigkeiten. „Wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft auf“, lautet ein altbekannter Spruch und wie viele Familien haben sich im Streit um Geldangelegenheiten heillos zerstritten. Jesus bietet dem Fragenden keine konkrete Lösung an. Er erzählt vielmehr ein Gleichnis, das ihn zum Nachdenken bringen soll und somit eine eigenständige Entscheidung ermöglicht.
Da ist ein Reicher und dieser Reiche hat wirklich Glück möchte man meinen, denn sein Reichtum wird immer größer. Er bringt eine so große Ernte ein, dass seine ohnehin schon großen Speicher nicht mehr ausreichen. Er lässt neue Speicher bauen, um alles unterbringen zu können. Eine Entscheidung, die auch heute viele so treffen würden.
Jetzt habe ich so viel, dass ich mich endlich zurücklegen und das Leben in vollen Zügen genießen kann. Doch das Leben macht dem Reichen einen Strich durch die Rechnung. Sein plötzlicher Tod macht all seine Pläne zunichte. Nutzlos stehen nun die großen Speicher herum. Wem wird all das gehören?
„Wenn du stirbst, nimmst du nichts von dem mit, was du gehortet hast, aber alles, was du gegeben hast.“ (Mamerto Menapace)
Jesus will mit seinen Worten sicher nicht sagen, dass wir uns um nichts kümmern sollen, dass wir aufhören sollten, die Felder zu bestellen, zu arbeiten … Er will uns vielmehr zum Nachdenken darüber bringen, welchen Stellenwert wir den materiellen Dingen in unserem Leben beimessen und wie wir mit ihnen umgehen.
Es ist nicht der Sinn des Lebens, dass wir uns abrackern und anhäufen, um irgendwann einmal genießen zu können. Leben, das beginnt nicht irgendwann einmal, sondern Leben, das ist jetzt und heute und jeden Tag. Wir sollen jeden Tag unseres Lebens bewusst leben und genießen, ob es ein Arbeitstag oder ein freier Tag ist.
Sicher, das mag vielen utopisch erscheinen. Nicht jeder hat das Glück, eine Arbeit zu haben, die er gerne tut und in der er voll aufgeht. Viele müssen jeden Tag für einen Hungerlohn hart schuften, damit ihre Familie überleben kann. Doch gerade dadurch wird die Schieflage unserer Gesellschaft deutlich. Denn wer erntet den Gewinn derer, die um ihr Überleben kämpfen müssen? Sind des nicht diejenigen, die immer mehr Reichtum anhäufen?
Der Mensch hat es in sich, wie der Reiche im Evangelium zu handeln. Wer hat, der will mehr. Daher sind auch Gesellschaftssysteme, die einen Ausgleich zwischen den Menschen befehlen wollen, gescheitert. Nur wenn einzelne bereit sind, ihren Reichtum zu teilen, kann eine menschliche Gesellschaft wachsen. So befiehlt auch Jesus keine Gütergemeinschaft, aber er zeigt den Weg des Teilens als Ideal auf, für das es sich zu entscheiden lohnt, denn letztlich macht es alle zu Gewinnern, den der gibt und den, der empfängt.
Doch wie komme ich zu einer solchen Einstellung? Hierzu ist der zweite Abschnitt wichtig, denn er zeigt auf, dass jeder Mensch selbst immer schon ein Beschenkter ist. Die eigene Leistung kann nur zu Gewinn führen, weil schon etwas da ist, das die Grundlage für diesen Gewinn bildet. Der Reiche hätte keine große Ernte einfahren können, wenn nicht das Wetter mitgespielt hätte, denn wie leicht kann ein Unwetter eine ganze Ernte vernichten.
Nur wer sich selbst als ein Beschenkter erfährt, wird dazu bereit sein, mit anderen zu teilen. Wenn ich gerade Glück im Leben habe und einen unerwarteten Gewinn mache, warum will ich dann alles für mich haben? Warum bin ich nicht dazu bereit, etwas von dem Überfluss, der mir geschenkt wurde, mit anderen zu teilen, die gerade nicht so viel Glück haben wie ich?
Jesus gebraucht sehr schöne Bilder aus der Natur, um seinen Zuhörern eine solche Lebenseinstellung plausibel zu machen. Vögel haben keine Scheunen, und doch finden sie Nahrung. Die Blumen erfreuen uns mit ihrer Blütenpracht. Ihre Schönheit ist zweckfrei. Sie wachsen, damit wir uns an ihnen freuen können, nicht für Geld.
Vielleicht ist dieses Bild der Lilie auf dem Feld der Schlüssel dafür, um das zu verstehen, was Jesus uns sagen will. Können nicht auch wir solche Blumen sein, die in der Welt wachsen, damit andere sich an ihnen freuen? Erde, Wasser uns Sonne, das was die Blume zum Leben braucht, stellt die Natur zur Verfügung. Die Blume verwandelt dies in die leuchtenden Farben ihrer Blüte. Die Blume will ihre Schönheit verschenken, damit andere sich an ihr erfreuen, und doch verliert sie nichts, wenn andere sie ansehen. Nur wenn jemand die Blume für sich haben will, wenn er sie pflückt, dann wird sie bald verdorren.
Der heilige Ambrosius sagt:
Wir gehen der gemeinsamen Gaben damit verlustig, dass wir uns besondere zu eigen machen. Vom Eigentum kann aber doch überhaupt nicht die Rede sein, wo nichts von Dauer ist, noch von sicherem Wohlstand, wo der Ausgang unsicher ist. Warum willst du denn Wert legen auf ‘deinen’ Reichtum, nachdem doch auch du den Lebensunterhalt nach Gottes Wollen mit den übrigen lebenden Wesen teilen sollst?
Es ist eine der größten Fehlentwicklungen in der Menschheitsgeschichte gewesen, dass sich in den Köpfen der Gedanke eingepflanzt hat, dass nur das etwas zählt, was ich für mich erreicht und zusammengerafft habe. Die Erde wird kahl, weil jeder an sich reißt, was er bekommen kann, und es in seine Speicher steckt, auch wenn es dort verdorrt und seine Schönheit verliert. Alles wird zu Geld gemacht, alles Leben einem leblosen Objekt untertan gemacht.
Wann werden wir wieder entdecken, dass Schönheit darin besteht, etwas einfach wachsen zu lassen und sich an seinem Anblick zu erfreuen und diesen Anblick bereitwillig mit anderen zu teilen?