Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. (Jes 61,1a)
SEIN, meines Herrn, Geist ist auf mir.
So übersetzt Martin Buber Jesaja 61,1a. Wer ist es, der hier spricht? Das Kapitel 61 des Jesajabuches gehört zu Tritojesaja. Hier wurden prophetische Worte aus nachexilischer Zeit unter dem Namen des berühmten Propheten Jesaja gesammelt, um zu zeigen, dass die Worte des Propheten nicht nur für eine ferne Vergangenheit Gültigkeit hatten, sondern sich im Hier und Heute erfüllen. So sehen ja auch die Evangelisten in Jesus Christus die Erfüllung der Verheißungen der Propheten des Alten Bundes.
Es ist von einem Gesalbten die Rede. Die rituelle Salbung ist im Alten Testament ein besonderer Akt der Legitimation. Durch sie wird einem herausgehobenen Menschen Kraft, Stärke, Macht und Einfluss übereignet. Der so Gesalbte bekommt Anteil an Gottes Macht und Stärke und an seinem Geist. So werden Könige, Propheten und Priester gesalbt.
Der hier spricht ist also ein Mensch, der einen besonderen Auftrag von Gott hat. Es kann ein Prophet sein, aber auch ein fiktiver Herrscher, den sich das Volk ersehnt, weil er die Gerechtigkeit neu aufrichtet und das Volk auf den Weg mit seinem Gott führt. In der nachexilischen Zeit, als Israel wieder in seinem Land lebte, stand es immer in Gefahr, seine Eigenständigkeit durch den Einfluss fremder Kulturen, vor allem des Hellenismus, zu verlieren, und seine Regenten ließen sich allzu leicht von der Macht blenden, vergaßen den Gott Israels und beuteten das Volk aus. Dagegen gab es immer wieder religiöse Bewegungen, die sich für die Aufrechterhaltung des überlieferten Glaubens einsetzten.
Das Volk Gottes bedarf der beständigen Erneuerung, der Rückbesinnung auf seine Wurzeln. Dafür braucht es Menschen, die sich in besonderer Weise von Gott gesandt wissen, die mit Gott, ihrem und aller Herrn in einer besonderen Beziehung stehen, die sich von seinem Geist leiten lassen, die nicht ihren, sondern seinen Willen tun. Auch das Christentum kennt die Salbung. In der Firmung empfängt der Gläubige das Siegel des Heiligen Geistes. Somit kommt jedem einzelnen Gläubigen die Aufgabe zu, nach den ihm gegebenen Möglichkeiten zur Vertiefung und Ausbreitung des Glaubens und zur Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes beizutragen. Was das konkret bedeutet, zeigen die nächsten Verse:
Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, damit ich alle Trauernden tröste, die Trauernden Zions erfreue, ihnen Schmuck bringe anstelle von Schmutz, Freudenöl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung. (Jes 61,1b-3a)
Aufgabe des von Gott Gesandten ist es, Freudenbote zu sein. Eine frohe Botschaft für die Armen soll er verkünden. Wir denken hier an die Bergpredigt, in der Jesus die Armen seligpreist. Wer sind diese Armen? Das können Menschen sein, die alles verloren haben, die nicht weiter wissen im Leben, für die unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Zu allen Zeiten werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Reichtum konzentriert sich in den Händen weniger und je mehr Reichtum sich die Reichen anhäufen, desto größer wird die Armut der Vielen. Obwohl genug für alle da ist, sind die Schätze der Erde ungerecht verteilt.
Eine frohe Botschaft für die Armen. Das heißt, Teilen konkret werden lassen. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten dem Armen beistehen. Nicht nur ein kleines Almosen geben, sondern den Armen wirklich ernst nehmen, annehmen, ihm eine Heimat geben. In unserer Gesellschaft entsteht Armut oft auch durch schwierige Verhältnisse, Kinder wachsen in zerrütteten Familien auf, bekommen zu wenig Zuwendung und schaffen daher keinen guten Schulabschluss. Armut gebiert oft neue Armut.
Die Wunden heilen in den Herzen der Menschen. Zuwendung schenken, Liebe und Geborgenheit. Menschen neue Hoffnung geben und sie befreien aus den Fesseln der Unfreiheit und der Schuld. Menschen die Möglichkeit geben, sich zu verändern, sich zu bessern, ein neues Leben beginnen. Neue Perspektiven schenken.
Schmuck, Freudenöl, Jubel, die Gemeinde des Herrn ist keine Gruppe von Trübseligen, die missmutig mit schwarzen Gewändern und ausdruckslosem Gesicht brav in den Kirchenbänken sitzt. Mit Gott sind wir immer auf der Siegerseite, wir dürfen jubeln und uns freuen. Glauben heißt, Hoffnung haben, gerade auch dort wo es keine Hoffnung zu geben scheint. Gott ist mit uns, er hat uns befreit, er schenkt uns Kraft, er zeigt uns den Weg. Erheben wir uns und gehen wir den Weg mit unserem Gott, den Weg aus der Finsternis des Todes in das Licht des Lebens.