Der Christushymnus im Kolosserbrief soll der Gemeinde deutlich machen, dass Christus der Mittelpunkt des Glaubens ist, dass er alles beherrscht und neben ihm nichts sein kann, das nicht von ihm abhängig oder auf ihn hin geordnet wäre. Er beginnt mit einem Aufruf zum Lobpreis. Der Dank gilt dem Vater. Er ist der Ursprung von allem. Erst im nächsten Vers wird der Blick auf Christus gerichtet. Vater und Sohn sind untrennbar miteinander verbunden. Der Vater hat uns schon vor allem Anfang in seine Gemeinschaft berufen. Diese aber wird möglich durch den Sohn, der als Schöpfungsmittler und Erlöser alles in sich umschließt und zum Vater führt. Die Schöpfung ist von allem Anfang an auf Gott hin geordnet und in seinem Licht zu sein ist der Anteil, zu dem Gott die Menschen fähig gemacht hat.
Dankt dem Vater mit Freude!
Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. (Kol 1,12-13)
Wörtlich übersetzt heißt es:
Er hat uns versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe.
Das Wort versetzt kennen wie z.B. von der Versetzung in eine andere Klasse oder auf eine andere Arbeitsstelle. Die Versetzung ist zum einen etwas, an dem derjenige, der versetzt wird, nicht aktiv beteiligt ist, das er aber doch beeinflussen kann. Die Versetzung in die nächste Klasse erfolgt weitgehend automatisch, wenn nicht schlechte Leistungen des Schülers dagegen sprechen. Die Versetzung auf einen anderen Posten in der Firma kann von den Erfordernissen des Betriebes abhängig sein, aber auch von der Leistung des einzelnen. So sieht auch Johannes Chrysostomus im Versetzt-werden die Bedeutung, “dass es nicht lediglich Gottes Werk, sondern auch Sache unserer Mitwirkung ist.”
Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. (Kol 1,14)
Paulus zeigt, wodurch diese Versetzung in das Reich des Sohnes möglich wurde, nämlich durch die Vergebung der Sünden. Die Sünde ist es, die den Menschen an die Macht der Finsternis gefesselt hat. Der Mensch kann sich nicht selbst die Sünden vergeben. Er benötigt jemanden, der diese Vergebung wirkt. Gott selbst ist es, der die Vergebung schenkt, indem er seinen geliebten Sohn in die Welt gesandt hat. Der Sohn aber kann die Vergebung der Sünden wirken, weil alle Schöpfung in ihm und durch ihn und auf ihn hin geschaffen ist. Der geliebte Sohn ist der Schöpfungsmittler und kann daher auch zum Erlöser der Schöpfung werden. Was dies bedeutet, führen die folgenden Verse des Hymnus aus.
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles erschaffen
im Himmel und auf Erden,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten;
alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
Er ist vor aller Schöpfung,
in ihm hat alles Bestand. (Kol 1,15-17)
Die Rolle Christi als Erlöser kommt ihm nicht deshalb zu, weil er auf Erden etwas Großartiges vollbracht hätte, sondern sie ist in ihm bereits vor Erschaffung der Welt angelegt und grundgelegt. Der Sohn ist vor aller Zeit aus dem Vater geboren. Es gibt also keine Zeit, in der nur der Vater ohne den Sohn existiert hätte. Vater und Sohn gehören untrennbar zusammen, ebenso wie auch der Heilige Geist untrennbar zu Vater und Sohn gehört. Dar Vater ist der Schöpfer, die Schöpfung aber geschieht durch das Wort, den Sohn. Er geht aller Schöpfung voraus. In ihm wurde alles erschaffen und zwar restlos alles. Der Hymnus versucht hier, alle denkbaren Bereiche abzudecken, Himmel und Erde, Sichtbares und Unsichtbares, Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten.
Es gibt keinen Raum zwischen Himmel und Erde, der nicht in Christus geschaffen wäre, sowohl das Sichtbare, als auch das Unsichtbare ist durch ihn. Auch alle Welten der Engel und Geister, gerade auch jene, die die Irrlehrer den Kolossern vorstellen, unterstehen Christus. Es gibt keine Macht, und sei sie noch so sehr in der Finsternis, die unabhängig von Gott existieren würde.
Gott hat alles geschaffen. Welch ein Trost ist das für uns. Nichts kann uns trennen von Gottes Liebe. Aber doch stellt sich zugleich die Frage, warum es dann so viel Leid und Unheil gibt in der Welt. Diese Frage stellt Paulus hier nicht. Wir werden auch keine befriedigende Antwort auf diese Frage finden. Es bleibt uns allein, alle Zweifel durch das Vertrauen auf Gott zu überwinden, in der Hoffnung, dass er in aller Not und allem Leid einen Weg des Heils öffnet.
Nicht die Zweifel sollen uns regieren, sondern die Hoffnung. In unserem Herzen soll das unerschütterliche Vertrauen in Gottes Liebe herrschen. Dies ist der Glaube, von dem Jesus sagt, dass er Berge versetzt. Der Kleinmütige aber versinkt wie Petrus, als er noch unreif und übermütig zu Jesus über das Wasser laufen will. Gott verurteilt unseren Kleinglauben nicht. Gott weiß, dass wir Zeit und Erfahrung brauchen, um zu einem wirklich festen Glauben zu gelangen. Wir können einen solchen Glauben auch nicht machen, er wird uns geschenkt, aber das Geschenk können wir nur entdecken, wenn wir dafür bereit sind. Das ist die Versetzung, von der Paulus am Anfang des Hymnus spricht. Lassen wir uns von Gott versetzen in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in dem alles erschaffen wurde, durch den und auf den hin alles ist und alles Bestand hat.
Er ist das Haupt des Leibes,
der Leib aber ist die Kirche.
Er ist der Ursprung,
der Erstgeborene der Toten;
so hat er in allem den Vorrang.
Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
um durch ihn alles zu versöhnen.
Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen,
der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut. (Kol 1,18-20)
Im zweiten Teil besingt der Hymnus das Geheimnis der Erlösung. Erlösung geschieht in der Kirche. Die Kirche ist Christi Leib, Christus aber ist das Haupt der Kirche. Viele Exegeten gehen davon aus, dass dieser Vers nachträglich vom Verfasser des Briefes in den übernommenen urchristlichen Hymnus eingefügt wurde. Er betont die Stellung der Kirche im Erlösungswerk Christi. Die Kirche ist das neue Volk Gottes, das Christus durch seine Auferstehung geründet hat.
Wie die Schöpfung durch Christus ist, so ist auch die Neuschöpfung in ihm. Die Auferstehung Christi ist der Anfang dieser Neuschöpfung. Auch hier wieder der universelle Gedanke. Alles will Gott durch Christus versöhnen. In Christus wohnt das Pleroma, die ganze Fülle. Es gibt keine andere Macht, durch die Erlösung werden kann. Allein das Kreuzesblut Christi wirkt unsere Erlösung, an der wir in der Taufe Anteil erhalten.
Beten wir, dass auch wir fest in der Hoffnung stehen, und dass Christus, der Ursprung unseres Lebens, auch dessen Mitte und Ziel ist. Das folgende Gebet kann uns helfen, das Gesagte zu vertiefen:
Christus, göttlicher Herr,
Dich liebt, wer nur Kraft hat zu lieben:
unbewusst, wer Dich nicht kennt,
sehnsuchtsvoll, wer um Dich weiß.
Christus, Du bist meine Hoffnung,
mein Friede, mein Glück, all mein Leben:
Christus, Dir neigt sich mein Geist;
Christus, Dich bete ich an.
Christus, an Dir halt ich fest
mit der ganzen Kraft meiner Seele:
Dich, Herr, liebe ich –
Suche Dich, folge Dir nach.
Amen.