Flucht nach Ägypten

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Nur Matthäus berichtet uns von der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. König Herodes tobt, als er merkt, dass die Sterndeuter ihn getäuscht und das Land verlassen haben, ohne ihm einen Hinweis gegeben zu haben, wo er den König der Juden finden könne. Er erteilt den Befehl, alle Kinder in Betlehem, dem Ort, in dem dieser König geboren sein soll, zu töten. Doch Gott hat seinen Sohn längst schon in Sicherheit gebracht.

Wieder ist es Josef, der treu für Maria und das göttliche Kind, die ihm beide von Gott anvertraut sind, sorgt. Ein Engel hat ihn zu schnellem Aufbruch gemahnt. Wahrscheinlich haben sie Hals über Kopf Betlehem verlassen und sind nur mit wenigen Habseligkeiten losgezogen.

Viele Künstler hat diese Szene zu Bildern inspiriert, wie die Heilige Familie da ihres Weges zieht, Maria mit dem Jesuskind auf dem Esel, Josef mutig voranschreitend. Darum herum Engel, die auf die Reisegesellschaft aufpassen. Oft wird auch die Rast auf diesem Weg dargestellt, Maria ruht sich mit dem Kind aus, Josef wacht in einiger Entfernung.

So romantisch diese Szene auf den Bildern scheint, die Wirklichkeit mag eine andere gewesen sein. Der Weg nach Ägypten ist beschwerlich, führt durch unwegsames Gelände, hinter jedem Felsen kann ein Räuber lauern. Der Weg nach Ägypten ist weit und wenn man die Überlieferungen der koptischen Christen betrachtet, hat der Weg in Ägypten auch nicht gleich im ersten Dorf hinter der Grenze geendet. Vielmehr ist die Heilige Familie durch das Nildelta gezogen, dann durch das Wadi Natrun, das später die Heimat so vieler Mönche werden sollte. Teilweise auf einem Boot den Nil befahrend ging es hinauf bis nach Oberägypten. Viele koptische Wallfahrtsstätten markieren bis heute diesen Weg.

Doch dem nicht genug. Ähnlich wie die Heiligen Drei Könige hat man auch die Heilige Familie in der Literatur einen weiten Umweg machen lassen, hat das Geschehen schlichterhand nach Mitteleuropa verlegt. Von Otfried Preußler stammt das amüsant geschriebene Buch „Die Flucht nach Ägypten – Königlich Böhmischer Teil“, das ich vor einigen Jahren mit Freude gelesen habe.

Als dann Herodes der Wüterich gestorben war, zog die Heilige Familie wieder nach Israel zurück. Natürlich war es auch hier ein Engel, der Josef zum Aufbruch mahnte. Wie hätte er in Ägypten vom Tod des Herodes erfahren sollen, in einer Zeit, die weder Zeitungen noch Fernsehen kannte. Und der Ägypter interessierte sich damals sicher nicht für das politische Geschehen in dem aus seiner Sicht unbedeutenden kleinen Land Israel.

Nun mag aber der bibelkundige Leser stutzen, ist vielleicht schon ins Stutzen geraten, als ich oben davon geschrieben habe, dass Josef in Betlehem seine Habseligkeiten zusammen packen musste. Moment mal, war er nicht eh schon auf der Reise, von Nazaret nach Betlehem? War denn die Flucht nach Ägypten nicht einfach die Fortsetzung dieser Reise?

Hier gibt es einige Unstimmigkeiten zwischen Lukas und Matthäus. Lukas geht davon aus, dass die Heilige Familie in Nazaret ansässig war. Der Zensus des Kaisers Augustus hat sie nach Betlehem verschlagen. Als dann Jesus geboren war, sind sie über Jerusalem nach Nazaret zurückgekehrt. Wir kennen ja die Szene von der Darstellung des Herrn im Tempel, die dem Gesetz gemäß am 40. Tag nach der Geburt stattgefunden hat. Wo die Heilige Familie diese vierzig Tage verbracht hat, davon berichtet uns Lukas nichts.

Matthäus geht davon aus, dass die Heilige Familie in Betlehem ansässig war. Die Sterndeuter besuchten das Jesuskind somit auch nicht im Stall von Betlehem, sondern in einem Haus, das sicher das Wohnhaus der Heiligen Familie gewesen ist. Da es aber wohl eine eindeutige Überlieferung gab, dass Jesus in Nazaret aufgewachsen ist, lässt Matthäus nun auch – wiederum auf den Wink eines Engels hin – die Heilige Familie auf der Rückkehr aus Ägypten an Betlehem vorbei direkt nach Nazaret marschieren.

Es ist müßig, darüber zu streiten, welcher der beiden Evangelisten Recht hat und welcher Bericht nun historisch ist. Genauso unangebracht ist es, aus historischer Sicht beide Evangelienberichte als fromme Legende abzutun und nichts davon als wahr anzusehen. Doch beide haben sie ihre Berechtigung, ihre Wahrheit, die sie vermitteln. Jeder der beiden Evangelisten schildert die historische Wahrheit der Geburt des Herrn aus seiner Sicht und wer diese tiefere Wahrheit erkannt hat, wird nicht mehr nach einer blassen historischen Erklärung suchen, die keinen Hund vom Ofen hervorlockt. Nie ist Geschichte die Aufeinanderfolge wissenschaftlich eindeutiger Fakten. Das ist eine Mär, die unsere vermeintlich so aufgeklärte Welt den Menschen weis machen will. Geschichte wird immer geprägt von der Subjektivität derer, die Geschichte erzählen und schreiben. Und Geschichte versteht nur, wer auch nach dem sucht, was hinter den überlieferten Quellen steht.

Die theologische Absicht des Matthäus, die hinter seiner Erzählung von der Flucht nach Ägypten steht, findet sich in Mt 2,15:

Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.

Jesus geht den Weg seines Volkes nach. Das Volk Israel musste einst das gelobte Land verlassen und ist nach einer schweren Zeit in Ägypten unter der Führung Gottes durch Mose den langen Weg durch die Wüste zurück in das Land Israel gegangen. Diese Rettungstat Gottes ist das zentrale Erlebnis in der Geschichte Israels. Immer wieder erscheint Ägypten als Land der Knechtschaft, immer wieder sprechen die Propheten davon, dass Gott sein Volk in der Not retten wird wie damals aus Ägypten. Jesus nimmt die ganze Geschichte seines Volkes hinein in sein Leben. Gott geht den Weg, den das Volk damals gegangen ist, noch einmal.

Doch nicht nur nach Ägypten geht Gottes Sohn. Er geht durch die Höhen und Tiefen jedes menschlichen Lebens. Er durchlebt Leiden und Freuden, die Menschen jemals erfahren. Er ist nahe in jeder Dunkelheit, um sein Licht auch an den finstersten Ort zu bringen. Daher ist es nicht so abwegig, wenn Schriftsteller den Weg der Heiligen Familie mit ihren Ideen ausschmücken. Jeder von uns ist Ägypten, zu jedem Menschen nimmt die Heilige Familie ihren Weg, um ihn hineinzunehmen in die Freude des Himmels, die in Jesus Christus der Welt offenbar geworden ist. So dürfen auch wir heute Ausschau halten nach der Heiligen Familie. Seinen wir uns gewiss, dass sie auf ihrem Weg durch die Welt auch durch unser Leben ziehen wird.