Heilige passen in kein Schema und sind keine blassen Kopien eines Ideals, das man in frommen Büchern findet. Jeder Heilige hat seine ganz persönliche Geschichte, seinen je eigenen Weg der Berufung, einen Weg, den nur Gott ganz erfassen kann. Zunächst mögen die Zeitgenossen mit dem Kopf schütteln, weil sein Leben so anders ist. Doch dann bricht das Geheimnis der Heiligkeit hervor, das echt ist, weil es keine aufgesetzte Tugend ist, sondern den Menschen ganz durchdringt. Jeder Heilige ist ein Original, das die Spuren des göttlichen Bildners trägt. Thomas Merton sagt:
„Eines der wichtigsten Kennzeichen eines Heiligen ist die Tatsache, dass andere Menschen nichts mit ihm anzufangen wissen. Sie sind sich nicht sicher, ob er verrückt ist oder nicht oder einfach nur stolz. Aber es muss schließlich wahrer Stolz sein, einem persönlichen Ideal nachzujagen, das kein anderer als Gott allein ganz erfassen kann. Und der Heilige hat unvermeidliche Schwierigkeiten zu überwinden, um die Vollkommenheit seines Lebens zu erreichen. Und sein Leben passt nicht zu dem, was in Büchern geschrieben steht.
Manchmal ist sein Zustand so schwierig, dass kein Kloster ihn behalten möchte. Er muss abgewiesen werden und in die Welt zurückgeschickt werden, wie Benedikt Labre, der Trappist und Kartäuser werden wollte, aber dabei keinen Erfolg hatte. Er endete schließlich als Landstreicher und starb in einer der Straßen Roms. Und doch ist seit dem Mittelalter der einzige von der Kirche verehrte und kanonisierte Heilige, der sowohl als Trappist als auch als Kartäuser gelebt hat, einzig und allein Benedikt Labre.“
Benedikt Labre hätte an Gott und der Kirche verzweifeln können, wie so viele. Bereits in jungen Jahren hatte der 1748 in Amettes in Frankreich geborene Sohn reicher Eltern den Wunsch, Priester zu werden und ein strenges Klosterleben zu führen. Doch so oft er es auch versuchte und an so manche Klosterpforte klopfte, wies man ihn ab, wegen seiner schwachen Gesundheit, wegen seines schwierigen Geisteszustandes. Die Menschen wussten nichts mit ihm anzufangen. Doch Gott brauchte diesen Menschen als Heiligen.
Es muss um das Jahr 1770 gewesen sein, als Benedikt erkannte, dass sein Leben mit Gott nicht in den gewohnten Bahnen verlaufen sollte. Als Vagabund, wie er sich selbst nannte, einzig ausgerüstet mit dem Neuen Testament und dem Brevier, sollte er fortan durch Europa ziehen und die wichtigsten Stätten des Christentums besuchen. Dem Aussehen nach unterschied er sich nicht von den anderen Landstreichern, mit zerrissenen Kleidern und einen unangenehmen Geruch verbreitend zog er von Ort zu Ort, bis er sich schließlich in Rom niederließ – in einem Loch in den Ruinen des Kolosseums.
Den ganzen Tag zog er von Kirche zu Kirche, um dort in Stille zu beten. Die harte Askese zehrte an seinem Leib, dem er kaum Nahrung gönnte. Doch bald erkannten die Menschen in dem ausgemergelten Bettler den Heiligen und als Benedikt völlig entkräftet mit nur 35 Jahren am 16. April 1783 starb, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Gassen Roms: „Der Heilige ist gestorben!“ Tausende kamen zu seinem Begräbnis. Viele Wunder geschahen durch Anrufung des Heiligen. Schließlich bestätigte die Kirche die Verehrung des Volkes durch seine Heiligsprechung im Jahr 1881.