Die Seligpreisungen (4)

Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. (Mt 5,8)

Die sechste Seligpreisung beinhaltet die größte aller Verheißungen, Gott zu schauen. Kein Mensch kann Gott anschauen, so war die Überzeugung der Menschen des Alten Testaments. Selbst ein großer Prophet wie Elija verbarg sein Gesicht, als Gott an ihm vorüberzog. Gott zu schauen, das überlebt nur ein Mensch, der keine Sünde hat, und selbst der Frömmste weiß, dass er nicht ohne Sünde ist.

Wenn Jesus denen, die reinen Herzens sind, verheißt, Gott zu schauen, dann bedeutet dies, dass der Graben zwischen Gott und Mensch, den die Sünde des Menschen aufgerissen hat, überbrückt ist. Die Brücke zu Gott sieht Jesus aber nicht in asketischen Höchstleistungen und akribischer Erfüllung religiöser Vorschriften, sondern allein darin, dass jemand ein reines Herz hat. An anderer Stelle wird Jesus sagen, dass nicht das den Menschen verunreinigt, was in ihn hineingeht (also aus Sicht der Juden unreine Speisen oder Berührungen), sondern was aus dem Menschen herauskommt.

Das Herz ist Sitz der Seele des Menschen. Aus einem verdorbenen Herzen kommen Schlechtigkeit und Bosheit, Neid und alle anderen Übel, die Menschen einander antun. Wenn das Herz aber rein ist, dann entströmt ihm Liebe und nichts als Liebe. Wir wissen, wie schwer das ist. Wie leicht lassen wir uns dazu hinreißen, über andere schlecht zu denken, ein böser Blick, ein unfreundliches Wort, all das kommt so leicht aus uns hervor.

Somit ist die Erlangung der höchsten Verheißung auch mit der höchsten Anstrengung verbunden. Es bedarf ständiger Wachsamkeit und lebenslanger Übung, das Herz rein zu halten. Für die Wüstenväter, die in Einsamkeit und Schweigen wohnten, war es die größte Herausforderung. Antonius der Große sagt:

Wer in der Wüste sitzt und die Herzensruhe pflegt, wird drei Kämpfen entrissen: dem Hören, dem Reden, dem Sehen. Er hat nur noch einen Kampf zu führen: den mit dem Herzen. (Apophthegmata Patrum)

Der Mensch muss erst einmal lernen, es mit sich selber auszuhalten. Wir entdecken unser Herz, wenn wir einmal alle Zerstreuungen und jedes Unterhaltungsprogramm abschalten. Wir müssen aber auch dazu bereit sein, das anzuschauen, was wir verdrängt haben. Ehrlich zu mir selbst sein, das ist der erste Schritt zu einem reinen Herzen. Es werden viele Wunden und Verletzungen zum Vorschein kommen. Diese können wir in das Licht der göttlichen Gnade halten und um Heilung bitten. Manchmal bedarf es dazu auch der professionellen Hilfe dazu befähigter Menschen.

Wenn wir so den Blick auf uns selbst gewagt haben, müssen wir ehrlich darauf schauen, wie wir anderen begegnen. Wo hege ich Zorn und Groll gegen andere, wo kann ich nicht verzeihen? Wo habe ich anderen wehgetan und muss selbst um Verzeihung bitten? Wenn wir achtsam sind, werden wir entdecken, wie weit wir noch von einem reinen Herzen entfernt sind. Aber das soll uns nicht entmutigen. Wir können jeden Augenblick neu anfangen. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen gibt uns die neue Chance, unser Herz zu üben.

Ein reines Herz haben, das bedeutet, nicht auf Äußerlichkeiten zu achten und nur nach außen hin gut scheinen zu wollen. Das wäre Heuchelei, die Jesus scharf kritisiert. Ein reines Herz haben, das bedeutet, wirklich aus ganzem Herzen gut sein. Gott allein sieht das Herz. Menschen können wir täuschen, Gott nicht. Darum ist nicht jeder, der vor den Menschen groß erscheint, auch vor Gott groß. Gott allein aber ist der Maßstab dafür, ob unser Herz rein ist, und würdig ihn zu schauen.

Der Mensch ist das, was er vor Gott ist, das und nicht mehr. (Franz von Assisi)

Die Seligpreisungen (3)

Selig die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. (Mt 5,6)

Gerechtigkeit haben wir nötig wie das tägliche Brot. Wer täglich unter Ungerechtigkeiten leiden muss, der verkümmert wie einer, der nichts zu Essen und zu Trinken hat. Hunger und Durst sind aber auch konkrete Folgen von Ungerechtigkeit. Jeder Reichtum eines Menschen stürzt viele andere in Armut. Es gibt keine Rechtfertigung für den Reichtum. Wer aber wegen der Ungerechtigkeit dieser Welt Hunger und Durst leiden muss, der ist glücklich zu preisen.

Doch, so fragen wir, was hat der Hungernde und Dürstende von dieser Seligpreisung? Ist sie nicht ein Hohn? Nun können doch die Reichen erst recht voller Spott sagen: Dann ist es doch gut, dass wir unseren Reichtum genießen, wenn der Hungernde und Dürstende dafür das Glück bei Gott bekommt. Auch 2000 Jahre nach der Bergpredigt ist es doch immer noch so, dass es den Reichen gut geht und die Armen unglücklich sind.

Und doch liegt in den Worten Jesu eine Kraft, die den Hungernden und Dürstenden zusagt, dass ihre Situation nicht unumkehrbar ist. Aber was heißt satt werden konkret? So zu werden wie die Reichen? Das wünschen sich ja die viele. Gerade darum ist diese Seligpreisung Jesu eine Herausforderung sowohl für dir Satten als auch für die Hungernden.

Jeder Mensch hat die gleiche Würde, aber jeder Mensch hat unterschiedliche Fähigkeiten. Gerechtigkeit entsteht nicht, indem alles gleich gemacht wird und alle gleich behandelt werden. Gerechtigkeit entsteht, wo ein Mensch den anderen achtet und sich nicht über andere erhebt. Gerechtigkeit gibt dem andern, was recht ist und zwar dauerhaft und unverlierbar. Wer viele Fähigkeiten hat, soll den nicht verachten, der es nicht so weit gebracht hat wie er. Wenn die Menschen verschiedener Schichten und Klassen sich nicht gegeneinander abgrenzen, sondern miteinander leben und teilen, was sie haben, dann können alle satt und glücklich werden und die Gerechtigkeit blüht auf.

Wie konkret der Hunger nach Gerechtigkeit sein kann, zeigt uns ein Gebet aus Lateinamerika:

Gott, wir danken dir für Brot.
Wir bitten dich um Brot für die,
die hungern müssen.
Wir bitten dich um Hunger nach Gerechtigkeit
für die, die Brot haben.
Gott, wir danken Dir für Brot. Amen.