Der Prophet Jeremia

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Das Buch des Propheten Jeremia hat eine komplizierte Überlieferungsgeschichte. Neben Sprüchen des Propheten sind auch viele Berichte über sein Leben überliefert. Einen solchen Geschichtsblock stellen die Kapitel 36-45 dar. Sie zeigen wichtige Ereignisse im Auftreten des Propheten unmittelbar vor der Eroberung Jerusalems im Jahr 586 v.Chr. Um diese Ereignisse besser zu verstehen, ist eine kurze historische Einordnung nötig.
Unter der langen Regierungszeit des Königs Joschija (640 bis 609 v.Chr.) erlebte das Reich Juda eine Phase des Aufschwungs. Grund dafür war die Schwäche des assyrischen Reiches. Dieses hatte im Jahr 722 v.Chr. das Nordreich Israel erobert und stellte seither auch eine Bedrohung Judas dar. Nun waren die Assyrer durch die aufkommende Macht des neubabylonischen Reiches selbst unter Druck geraten, doch das durch die Schwäche des assyrischen Reiches entstandene Machtvakuum währte nicht lange. Zunächst war es Ägypten, das seinen Einfluss nun wieder weiter in den Norden ausdehnen wollte. Ab etwa 612 v.Chr. kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Juda und Ägypten, in deren Folge König Joschija im Jahre 609 auf dem Schlachtfeld umkam. Der Pharao setzte Eljakim, den Halbbruder des Joahas, zum neuen König ein. Eljakim nannte sich von nun an Jojakim und regierte in den Jahren 609 bis 598 v. Chr.

Hatten die Ägypter kurzzeitig die Kontrolle über Juda gewinnen können, so wurden sie bald von dem nun immer stärker werden neubabylonischen Reich zurückgedrängt. Nach ihrem Sieg über die Ägypter in der Schlacht von Karkemisch im Jahr 605 v.Chr. konnten die Neubabylonier unter Nebukadnezzar endgültig ihre Machtposition festigen und machten Juda zu einem Vasallenstaat. Mit dieser Situation wollte sich König Jojakim aber nicht abfinden und lehnte sich im Vertrauen auf ägyptische Hilfe gegen Nebukadnezzar auf. Im Jahr 598 v.Chr. erschien Nebukadnezzar vor Jerusalem und belagerte die Stadt. Jojakim starb während dieser Belagerung, sein Sohn Jojachin öffnete Nebukadnezzar die Tore der geschwächten Stadt. Daraufhin kam es zur ersten Deportation der Juden in die babylonische Gefangenschaft, von der vor allem König Jojachin und die Oberschicht Jerusalems betroffen waren.

Nebukadnezzar setzte in Jerusalem Zidkija, einen Sohn Joschijas, als Vasallenkönig ein (597-587 v.Chr.). Er ist der letzte König des Reiches Juda und es wird von vielen Zusammentreffen zwischen ihm und dem Propheten Jeremia berichtet. Die Warnung des Propheten missachtend lehnte er sich im Vertrauen auf ägyptische Hilfe gegen Nebukadnezzar auf. Dies führte zur erneuten Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezzar und zum Ende des Reiches Juda im Jahr 587 v.Chr. Zidkija war ein schwacher König, der nicht viel vermochte gegen seine mächtigen Beamten. Es ist aber immer leicht, aus der Ferne zu urteilen. Hätte man doch damals so und so gehandelt. Warum hat man so lange auf Ägypten gesetzt, warum gerade auf Ägypten, das doch selbst Israel und Juda so geknechtet hat. Große geschichtliche Linien kann man immer erst im Abstand der Jahrhunderte ziehen. Wenn man selbst mitten in die komplexen Ereignisse der Geschichte verwoben ist, sieht die Lage ganz anders aus. Und wer weiß, was spätere Generationen über unsere Zeit sagen werden. Warum haben sie damals nicht erkannt, dass …

Es gibt manchmal Ereignisse in der Geschichte, die unabwendbar eintreten. Es gibt eine Zeit der Entscheidung, in der noch alles offen ist. Doch dann fallen gewisse Entscheidungen, Fronten verhärten sich und dann nimmt die Geschichte ihren Lauf. Warum musste ein so starkes Reich wie das Römische Reich untergehen? Warum fand das große christliche byzantinische Reich ein so trauriges Ende? Warum kamen die Türken bis an die Tore Wiens? Warum kam es zur Hölle der beiden Weltkriege? Wir könnten diese Liste unendlich fortsetzen.

Wir fühlen uns heute auf der Seite der Sieger. Europa und allen europäischen Ländern voran Deutschland zählt zu den reichsten Gegenden der Welt. Wir leben in einer Umgebung von Freiheit und Wohlstand, wie es sie in diesem Ausmaß wohl noch nie gegeben hat. Doch immer stärker werden die Bedrohungen dieses Zustandes erfahrbar. Im Innern bröckelt die Solidarität unter den Menschen. Wenige Menschen werden immer reicher, während viele immer ärmer werden. Viele Menschen wissen nicht mit ihrer Freiheit umzugehen und öffnen so die Tür für neue Formen der Unfreiheit. Von außen drängen die Menschen heran, auf deren Kosten wir uns so lange bereichert haben. Unsere Verschwendung und Gier zerstören die Erde. Wo führt uns diese Entwicklung hin?

Zu allen Zeiten treten Mahner auf, deren Blick über den eigenen Tellerrand hinausgeht. Sie warnen vor Fehlentwicklungen, solange diese noch revidiert werden können. Doch ihnen wird nur selten Gehör geschenkt. Der Blick der Menschen geht oft nur in eine Richtung und ist blind für Alternativen. Die politischen Führer bleiben ihrer Linie treu, solange es irgendwie geht. Erst eine Katastrophe kann diese Linie stoppen.

Eine solche Katastrophe war auch das Ende Jerusalems. Doch wir wissen heute, dass es nicht das Ende war. Jede Katastrophe birgt in sich auch die Möglichkeit zu einem Neuanfang. Nach dem Untergang traten Propheten auf, die dem Volk neuen Mut machten. Auch wenn es damals keiner geglaubt hätte, aber nach einigen Jahren werden die Juden freudig aus dem Exil in Babylon zurückkehren und die Trümmer Jerusalems wieder aufbauen. Aber zunächst kam eine schwere Zeit über Juda und seine Bewohner. Viele verloren alles, was sie hatten, viele mussten sterben.