Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger.
Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.
Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate. (Jes 50,4-7)
Die vier Gottesknechtslieder schildern in poetischen Worten das Schicksal des Propheten Deuterojesaja unter den verschleppten Israeliten im babylonischen Exil. Sie wurden aber zugleich zum Bild für das leidende Gottesvolk und zum Vorausbild für Christus. Gerade die Leiden des Propheten im Dienst Gottes für das Volk erfüllte Christus auf einzigartige Weise durch seinen Kreuzestod zum Heil der Menschen. Daher haben das dritte und vierte Gottesknechtslied einen festen Platz in der Liturgie der Passionszeit, das dritte Gottesknechtslied wird am Palmsonntag, das vierte am Karfreitag gelesen.
Knecht Gottes meint den von Gott in besonderer Weise in Dienst Gerufenen. Durch das Hören auf Gottes Botschaft gleicht dieser einem Schüler oder Jünger, der die Worte des Meisters hört, diese betrachtend verinnerlicht und in der Tat erfüllt. Wenn auch Christus in seiner göttlichen Natur weit mehr war als ein Schüler Gottes, so hat er doch als Mensch immer wieder die betende Zwiesprache mit seinem Vater im Himmel gesucht. Wenn wir Christus nachfolgen, bekommen die Worte des Propheten auch für uns eine drängende Aktualität.
Gottes Wort ist Zuspruch für die Menschen. Es dient nicht der inneren Erbauung des Jüngers, sondern er soll es verkünden zur Stärkung des Volkes. Der Knecht Gottes, auch wenn er selbst geschlagen wird, übt keinerlei Unterdrückung aus, sondern stärkt und baut seine Mitmenschen auf. Woher nimmt er aber die Kraft? Allein aus seiner Verbindung zu Gott.
Der Diener Gottes muss immer wieder in lebendige Zwiesprache mit Gott treten. Das ist das unerschütterliche Fundament seines Lebens. Am Beginn jedes Tages, vor jedem Tun und auch am Ende des Tages versetzt er sich in die Gegenwart Gottes. Was will Gott heute von mir? Was will er jetzt in dieser konkreten Situation von mir? Er verliert sich nicht in falschem Aktionismus und richtungslosen Irrwegen. Die Konzentration auf Gott gibt ihm Richtung und Entschiedenheit.
Gott ist es, der ihm das Ohr geöffnet hat. Gott hat ihn gerufen. Ein interessantes Bild. Wenn Gott ruft, dann öffnet er die Verbindung zwischen sich und uns. Gott ergreift die Initiative, der Mensch aber entscheidet, ob er Gottes Ruf zu sich dringen lässt oder ignoriert. Gott ruft, aber er zwingt nicht. Er wartet, ob wir bereit sind, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Wer aber als von Gott Gerufener das verkündet, was Gott zu ihm gesprochen hat, tritt mit einer unüberbietbaren Autorität auf.
Immer aber sind es nur wenige, die auf den Knecht Gottes hören. Etliche mögen gleichgültig sein, manche aber treten in Opposition zum ihm. Gerade die Mächtigen sind oft nicht bereit, sich der Autorität seines Auftretens unterzuordnen. So ergeht es den Boten Gottes zu allen Zeiten. Auch Christus führte sein Auftreten in göttlicher Vollmacht zur Anklage wegen Gotteslästerung und Hochverrat.
Christus ist das perfekte Abbild des leidenden Gottesknechts. Die Evangelien schildern die Verspottung und Folter, die Jesus angetan wurden. Er wurde verhöhnt, bespuckt und gegeißelt. Dabei blieb er stumm, wie ein Lamm angesichts des Scheerers, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Er wehrte sich nicht vor den Schlägen, gab keine Beleidigung zurück. Wer selbst einmal zu Unrecht beschuldigt und verhöhnt wurde, der weiß, dass es viel mehr Kraft erfordert, hier ruhig zu bleiben, als sich zu wehren. Das Schweigen Jesu ist also nicht Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Größe.
Und doch wahrt er sein Gesicht. Wir sehen es auch bei den Märtyrern. Erhobenen Hauptes gehen sie stolz in den Tod. Der Gerechte lässt sich nicht unterkriegen. Er weiß, dass er für die Gerechtigkeit einsteht und dass diese letztlich siegen wird, auch wenn er für sie in den Tod geht. Gott wird für seine Sache eintreten. Wenn es hart auf hart kommt, können wir die Gerechtigkeit nicht mehr mit Worten verteidigen, sondern nur noch durch Standhaftigkeit bis in den Tod. Doch die Gerechtigkeit wird nicht untergehen, sondern Gott wird immer neu seine Knechte rufen.