Monat: Dezember 2012
Der Stylit
Völker schlugen über ihm zusammen,
die er küren durfte und verdammen;
und erratend, dass er sich verlor,
klomm er aus dem Volksgeruch mit klammen
Händen einen Säulenschaft empor,
der noch immer stieg und nichts mehr hob,
und begann, allein auf seiner Fläche,
ganz von vorne seine eigne Schwäche
zu vergleichen mit des Herren Lob;
und da war kein Ende: er verglich;
und der Andre wurde immer größer.
Und die Hirten, Ackerbauer, Flößer
sahn ihn klein und außer sich
immer mit dem ganzen Himmel reden,
eingeregnet manchmal, manchmal licht;
und sein Heulen stürzte sich auf jeden,
so als heulte er ihm ins Gesicht.
Doch er sah seit Jahren nicht,
wie der Menge Drängen und Verlauf
unten unaufhörlich sich ergänzte,
und das Blanke an den Fürsten glänzte
lange nicht so hoch hinauf.
Aber wenn er oben, fast verdammt
und von ihrem Widerstand zerschunden,
einsam mit verzweifeltem Geschreie
schüttelte die täglichen Dämonen:
fielen langsam auf die erste Reihe
schwer und ungeschickt aus seinen Wunden
große Würmer in die offnen Kronen
und vermehrten sich im Samt.
Rainer Maria Rilke
Erratend, dass er sich verlor, der Heilige will sich nicht verzehren im Getriebe der Welt, nicht alles gewinnen, sich selbst aber verlieren. Er will ganz sein vor Gott, will sich selbst durch und durch erkennen will sich von Gott durch und durch erkennen lassen. Deshalb steigt er auf die Säule, um unter Gottes Himmel ganz mit Gott allein zu sein.
Er vergleicht seine eigne Schwäche … mit der Herren Lob. So schutzlos Gott ausgeliefert, erkennt der Mensch vor allem seine eigene Schwäche. Was ist der Mensch, dass er Gott loben kann, den erhabenen, vor dem die Chöre der Engel stehen. Was ist dagegen das Loblied einer Menschenstimme? Muss der Mensch verstummen klein werden, ja vergehen vor dem Höchsten?
Mit dem ganzen Himmel reden, bis einem von Gott nichts mehr trennt, bis alle Schutzmauern, die wir uns errichten, eingerissen sind. Frei jeder äußeren Mauer fällt auch irgendwann die innere Mauer. Schmerzhaft, so dass es den Menschen fast vernichtet. Doch danach ist das Leben anders, ganz neu, in einer vorher ungeahnten Nähe zu Gott, wenn die Dämonen, die beständig diesen Sieg des Menschen über die eigene Schwäche verhindern wollen, besiegt sind. Dann erkennt der Mensch die Größe, die Gott ihm geschenkt hat Bild Gottes sein zu dürfen.
Doch dann bleibt mehr als Geschwüre und Würmer, wie Rilke schreibt. Dann kann ein solcher Mensch zum Segen werden für andere, durch die Gnaden, die Gott ihm verleiht. Doch nicht für die schaulustige Menge, die wohl nur die Würmer sieht, sondern für die Gottsuchenden, denen er Rat und Weisung gibt und Heilung für die kranke Seele.
Licht der Völker
Gottes Weg
Immaculata
Ambrosius von Mailand
Hl. Nikolaus
Gott wirken lassen
Es gibt Orte, wo du absolut ohnmächtig bist. Du möchtest dich selbst heilen, gegen deine Versuchungen und Schwächen ankämpfen und dich unter Kontrolle haben: doch du schaffst es nicht selbst. Je mehr du es versuchst, desto mutloser wirst du. Deshalb musst du deine Ohnmacht anerkennen, musst zu deiner Ohnmacht vorbehaltlos ja sagen, um Gott dich heilen zu lassen.
Dies ist keine Frage der Reihenfolge, keine Frage eines zuerst und danach. Indem du bereit bist, deine Ohnmacht zu erfahren, beginnst du schon, dich Gottes Handeln in dir zu überlassen. Wenn du nichts von Gottes heilender Gegenwart ahnst, ist es sehr erschreckend, die eigene Ohnmacht zuzugeben. Es ist, als müsstest du von einem Hochseil ohne Fangnetz in die Tiefe springen.
Dass du bereit bist, dein Bedürfnis aufzugeben, dein Leben bestimmen und kontrollieren zu wollen, lässt bereits ein gewisses Vertrauen erkennen. Je mehr du dein Verlangen, Macht zu besitzen, aufgibst, desto mehr wirst du mit dem in Berührung kommen, der die Macht hat, dich zu heilen und zu führen. Je mehr du mit dieser göttlichen Macht in Berührung kommst, desto leichter wird es dir fallen, dir selbst und anderen deine grundlegende Ohnmacht einzugestehen.
Eine Art und Weise, dich immer wieder auf eine eingebildete Macht zu stützen, besteht darin, von äußeren Anerkennungen oder künftigen Ereignissen etwas zu erwarten. Solange du von dort ausgehst, wo du bist, und dich beunruhigst, kannst du nicht vollständig geheilt werden. Eine Saat kann nur aufgehen und wachsen, wenn sie in dem Erdboden bleibt, in den sie gesät wurde. Gräbst du die Saat aus, um zu sehen, ob sie wächst, wird sie niemals zur Reife kommen und Frucht bringen.
Betrachte dich als ein kleines Samenkorn, das in fruchtbaren Boden gesät wurde. Alles, was du tun musst, ist, in der Erde bleiben und darauf vertrauen, dass der Boden alles enthält, was du zum Wachsen brauchst. Das Wachstum geschieht von selbst, auch wenn du es nicht spürst. Sei ruhig, erkenne deine Ohnmacht und glaub daran, dass du eines Tages wissen wirst, wieviel du erhalten hast.
Henri Nouwen