Zion sagt: Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht – Spruch des Herrn. (Jes 49,14-15)
Die Worte des Propheten Jesaja sind ein Trost für ein Volk, das an seinem Gott zweifelt. Israel musste in die Verbannung. Der Prophet verheißt die baldige Heimkehr. Doch kann man seinen Worten vertrauen? Zu tief sitzt die Erfahrung der Vertreibung, zu sehr quält die Not, in der Fremde leben zu müssen.
Wenige Verse davor hat der Prophet davon gesprochen, dass es Nahrung geben wird auf kahlen Bergen und sprudelnde Quellen in einem Land, das von Hitze ausgedörrt ist. Gott schenkt neues Leben in einer lebensfeindlichen Welt. Gerade heute, wo wir so viel Zerstörung in unserer Welt durch den Eingriff des Menschen sehen, gewinnen diese Worte eine ganz neue Aktualität.
Wir sehen so viel Hunger und Durst in der Welt. Bei uns gibt es alles in Hülle und Fülle, aber andernorts fehlt es am Nötigsten für das Leben. Das Trinkwasser wird immer knapper, Dürren und Naturkatastrophen bedrohen die Ernten. Vieles davon ist menschengemacht, weil vielerorts ohne Rücksicht auf die Natur gewirtschaftet wird. Manches ist bedingt durch Veränderungen, die es in der Erdgeschichte immer wieder gegeben hat.
Manche Wissenschaftler glauben, dass es Aufgabe der Menschheit ist, durch immer mehr Fortschritt neue Nahrungs- und Energiequellen zu finden, um unabhängiger von den Einflüssen der Natur zu werden. Andere meinen, dass die Menschheit nur überleben kann, wenn sie wieder lernt, mehr im Einklang mit der Natur zu leben. Wer schaut hier noch auf Gott? Dürfen wir überhaupt Gott in die Verantwortung nehmen für das, was Menschen angerichtet haben?
Gott sorgt für die Welt, die er erschaffen hat, aber er hat seine Schöpfung zugleich dem Menschen anvertraut. Wie müssen wir Christen uns verhalten angesichts der Herausforderungen unserer Zeit? Die Thematik ist komplex. Ich denke, zunächst müssen wir uns über Hintergründe informieren und versuchen, die Dynamik zu verstehen, die hinter dem System der Weltwirtschaft steht, aber auch lernen, die Natur zu verstehen. Es gibt kein Patentrezept. Jeder ist aufgefordert, sich hier selbst ein Bild zu machen und sich mit seinem Engagement einzubringen.
Vor allem aber ist es die Aufgabe von uns Christen, die Rede auf Gott zu bringen und das nicht mit einer weltfremden Frömmigkeit, sondern auf dem Hintergrund fundierten Wissens um die Zusammenhänge unserer Gesellschaft. So können wir Menschen, die von der gegenwärtigen Entwicklung verunsichert sind, Trost und Halt geben, aber auch für viele Suchende eine neue Perspektive eröffnen.
Gottes Sorge um die Welt ist keine billige Ausrede, mit der wir uns vor einem Engagement in den Herausforderungen unserer Zeit drücken könnten. Der Glaube an eine Welt, die Schöpfung Gottes ist, drängt uns vielmehr dazu, uns für diese Schöpfung einzusetzen und das Feld nicht denen zu überlassen, die die Welt allein in der Hand des Menschen sehen.
Gott sagt uns seine Nähe zu. Er wird mit uns sein, wenn wir für seine Schöpfung eintreten. Er gibt uns Halt und Trost, wenn wir an der Welt, wie wir sie erleben, verzweifeln. Er wird uns neue Perspektiven eröffnen, wenn wir angesichts der Herausforderungen nicht mehr weiter wissen. Vertrauen wir auf die Zusage Gottes, dass er uns nie vergisst. Selbst wenn das Unerhörte unter Menschen geschehen kann, dass eine Mutter ihr Kind im Stich lässt, Gott wird so etwas nie tun.