Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,43-45)
Das Gebot der Nächstenliebe gab es schon vor Jesus, aber Jesus hat ihm eine vorher nicht gekannte Universalität gegeben. Vor Jesus war der Nächste nur ein Mensch aus der gleichen Sippe, ein Angehöriger des eigenen Stammes. Für Jesus aber ist der Nächste jeder Mensch, auch derjenige, der nicht zum eigenen Volk gehört, auch ein Mensch, der einen anderen Glauben hat, ja mehr noch, sogar unseren Feinden sollen wir die gleiche Liebe entgegenbringen wie Menschen, die uns nahe stehen.
Jesus Christus war wahrscheinlich der erste, der das Gebot der Feindesliebe formuliert hat. Wir haben an den vorangehenden Beispielen schon gesehen, wie Jesus die Gewaltfreiheit propagiert. Ein erfinderischer gewaltfreier Widerstand steht über dummer roher Gewalt. So steht auch die Liebe über dem Hass. Wer sich nicht vom Hass gefangen nehmen lässt, sondern dem Hass die Liebe entgegensetzt, der ist stärker und wird als Sieger hervorgehen, was auch geschieht.
Doch geht das Gebot der Feindesliebe nicht über die Kraft des Menschen hinaus?
Viele schätzen die Gebote Gottes nach ihrer eigenen Schwachheit ein, nicht nach den Kräften der Heiligen, und deshalb glauben sie, dass diese Vorschriften unerfüllbar seien. Und sie sagen, dass es für die Tugend ausreiche, seine Feinde nicht zu hassen; sie darüber hinaus auch noch zu lieben, dies sei für die menschliche Natur eine zu schwere Vorschrift. Man muss aber wissen, dass Christus nicht etwas Unmögliches vorschreibt, sondern Vollkommenes. (Hieronymus)
Wie die Liebe zu den Feinden gelingen kann, dazu gibt Papst Franziskus einige Hinweise.
Jesus sagt uns zuerst: Blickt auf den Vater! Unser Vater ist Gott: er lässt die Sonne aufgehen über Bösen und Guten; es lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Unser Vater sagt morgens nicht zur Sonne: Heute leuchte über diesen und jenen; über die anderen nicht, lass sie im Schatten! Er sagt: Leuchte über allen! Seine Liebe gilt allen, seine Liebe ist ein Geschenk für alle, für Gute und Böse. …
Weiter sagt Jesus uns: Betet, betet für eure Feinde! … Bete ich für meine Feinde? Bete ich für die, die mir übel gesinnt sind? Wenn wir ja sagen, dann sage ich euch: Weiter so, bete noch mehr, denn das ist ein guter Weg. Wenn die Antwort nein ist, dann sagt der Herr: Du Armer! Auch du bist ein Feind der anderen! Und deshalb muss man beten, damit der Herr ihre Herzen verwandelt.
Die Bergpredigt leben heißt, sich als geliebtes Kind des Vaters im Himmel zu erfahren, der seinen Kindern immer das gibt, was sie zum Leben brauchen. Nur wer sich so bei Gott geborgen weiß, findet den Mut zu einer Liebe, deren Größe sich auch im scheinbaren Scheitern zeigen kann. Jesus erwartet von uns, dass wir bereitwillig schenken, ohne nach dem zu fragen, was zurückkommt. Das ist ein Mehr an Hilfsbereitschaft, als es rein menschliches Denken kennt, das ist die größere Liebe, die nur im Blick auf Gott gelingen kann.
Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. (Mt 5,48)
Gott liebt den Menschen. Gott liebt die Welt. Nicht einen idealen Menschen, sondern den Menschen wie er ist, nicht eine Idealwelt, sondern die wirkliche Welt. (Dietrich Bonhoeffer)
Die unendliche Güte und Liebe Gottes sind das Vorbild des Christen. Zwar wird kein Mensch diese Vollkommenheit erreichen, aber sie ist ein sinnvoller Maßstab, an dem sich menschliches Tun orientieren kann. Bei all deinem Tun soll dir stets bewusst sein:
Du stehst vor dem Angesicht Gottes, Gottes Gnade waltet über dir, du stehst aber zum Andern in der Welt, musst handeln und wirken, so sei bei deinem Handeln eingedenk, dass du unter Gottes Augen handelst, dass er seinen Willen hat, den er getan haben will. (Dietrich Bonhoeffer)