Von Gott erwählt (1Thess)

Wir wissen, von Gott geliebte Brüder, dass ihr erwählt seid. (1Thess 1,4)

Dieser Satz ist eine Erklärung des Status der Thessalonicher. Sie sind von Gott Geliebte und Erwählte. Es ist eine Zusage, die den Glauben der Gemeinde festigen soll. Sie haben voller Begeisterung auf die Predigt des Paulus hin den Glauben an Jesus Christus angenommen. Doch Paulus musste Thessalonich überstürzt verlassen und das zarte Pflänzchen der jungen Gemeinde sich selbst überlassen. Die jungen Christen blieben allein mit ihren Fragen und vielleicht auch Zweifeln, ob man den Worten des Paulus wirklich Glauben schenken kann und ob das wirklich zuverlässig ist, was er über diesen Jesus erzählt hat. Sie blieben allein inmitten einer Umwelt, die die neue Religion und das veränderte Verhalten ihrer Mitbürger zunehmend kritisch betrachtete.

Wir wissen, dass ihr erwählt seid.

Die jungen Christen in Thessalonich haben sich Paulus angeschlossen, weil sie auf der Suche waren, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Glück, nach Erfüllung, die sie in der bestehenden Gesellschaft und ihren Religionen nicht fanden. Sie gleichen damit vielen Menschen unserer Zeit, die auch auf der Suche sind. Heute wenden sich dabei viele alternativen Strömungen oder fernöstlichen Lehren zu, die versprechen, anders zu sein als der Mainstream, die Anleitungen geben zu einem bewussten und verantwortungsvollen Leben in einer Welt, in der scheinbar niemand eine Verantwortung übernehmen will für das, was geschieht, für Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit, für Kriege und Ausbeutung.

Zur Zeit des Paulus war das Christentum in der vielgestaltigen Gesellschaft des Römischen Reiches so etwas wie eine Alternative zum Mainstream. Auch damals war die Gesellschaft gekennzeichnet von Konsumgenuss und Profitstreben, von sozialer Ungerechtigkeit und dem Wettstreit verschiedener Kulturen und Weltanschauungen. Das Christentum zeigte dabei im Glauben an Jesus Christus einen Sinn auf, der dem Leben Erfüllung versprach in dieser Welt und in einer zukünftigen das ewige Leben. Auch die gelebte Gerechtigkeit, die in der Gemeinde soziale Schranken überwand und den Armen und Schwachen Unterstützung bot, war für viele attraktiv. Wer damals Christ wurde, musste aber auch damit rechnen, von anderen angefeindet zu werden, eben weil die Christen sich vom Mainstream unterschieden haben.

Wir wissen, dass ihr erwählt seid.

Der Glaube an Jesus Christus verspricht Erlösung, die Befreiung von Sünden, ein ewiges Leben bei Gott. Gott, der die Welt erschaffen hat, hat seinen Sohn gesandt, um alle Menschen zur Gemeinschaft mit sich zu rufen. Wer an Jesus Christus glaubt und durch die Taufe der Gemeinde beitritt, hat ein neues Leben, ein Leben, das geprägt ist von der Gemeinschaft mit dem Gott, der die Welt erschaffen hat und sie in seinen Händen hält und der will, dass die Menschen voll Liebe zueinander in Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt leben. Die christliche Gemeinde soll daher eine Gemeinschaft sein, in der alle füreinander Sorge tragen und soziale Unterschiede keine Geltung mehr haben.

Diese Vision begeistert. Ich bin von Gott geliebt. Ich bin von Gott erwählt. Das kann jeder Getaufte von sich sagen. Aber wo finden wir heute diese Begeisterung? Die Kirche scheint oft alt und verstaubt zu sein, ein Relikt früherer Zeiten, ihre Gebäude ein Kulturgut, aber kein Zeugnis mehr für Lebendigkeit und Hoffnung. Und vor allem auch keine Alternative, die in der heutigen Gesellschaft attraktiv wäre. Man kann viele Gründe suchen, warum das so ist. Doch es ist müßig, früheren Generationen oder der “Amtskirche” die Schuld daran zu geben. Es kommt darauf an, was wir heute aus der Kirche machen. Jeder von uns Getauften ist ein von Gott Geliebter, von Gott Erwählter und dazu berufen, Zeugnis zu geben von Gottes Liebe und von der Erwählung, die Gott schenkt.

Wir wissen, dass ihr erwählt seid.

Eines sollte uns dabei immer bewusst bleiben: Wir brauchen nicht woanders zu suchen, nicht bei moderner Esoterik, fernöstlichen Religionen oder alternativen Lehren. Wir sind vielmehr dazu berufen, die Fülle neu zu entdecken, die im Glauben an Jesus Christus verborgen ist, die Schätze zu heben, die über die Jahrhunderte verloren gegangen sind, den Staub der Geschichte zu entfernen und neu den Kern der Botschaft Jesu Christi zum Glänzen zu bringen. Der Glaube an Jesus Christus muss in jeder Generation neu mit Leben erfüllt werden. die Ausdrucksweisen früherer Zeiten taugen nicht immer auch für die Gegenwart. Die Mitte des Glaubens, Jesus Christus und sein Wort, bleiben, seine Kirche bleibt, aber wir dürfen immer wieder neue Formen finden, wie wir Kirche leben, wie wir Jesu Worte verkünden.

Wenn wir sagen, dass wir erwählt sind und dies auch mit unserem Leben glaubhaft zeigen, so ist das Ausdruck einer tiefen Überzeugung, die nicht verwechselt werden darf mit einem blinden religiösen Fanatismus. Gelebter Glaube ist immer machtvoll, aber nie gewalttätig. Glaube erweist sich machtvoll, wenn es darum geht, für die Schwachen einzutreten und sich dem Bösen in den Weg zu stellen. Dabei stellt sich aber nicht der Einzelne in den Vordergrund, sondern er lässt Raum für Gottes Wirken. Jesus selbst hat gezeigt, wie das Bewusstsein der Erwählung ohne Überheblichkeit zu leben ist. Er hat sein Wort deutlich verkündet und hat Menschen geheilt, auch auf das Risiko hin, dafür in den Tod zu gehen.

Jesus ist kein Mann ferner Zeiten, er ist Gottes Sohn, der zu allen Zeiten seiner Kirche nahe ist. Er ist immer da, wo Menschen in seinem Namen den Glauben verkünden und für andere eintreten. er wirkt seine Wunder auch heute noch durch Menschen, die fest und unerschrocken an ihn glauben, die sich ihrer Erwählung bewusst sind und den Mut haben, von Jesus Christus Zeugnis zu geben. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er uns auch heute leitet, wenn wir bereit sind, seinen Willen zu tun.

Dankbarkeit (Phil 4)

Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! (Phil 4,6)

Paulus will, dass die Gläubigen aus einer Grundhaltung des Vertrauens leben, dass Gott sich um alles kümmert, wenn es uns zuerst um ihn und sein Reich geht, wie es auch Jesus in der Bergpredigt gesagt hat.

“Seid nicht ängstlich besorgt”, so lässt sich dieser Text besser übersetzen. Dann wird klarer, was Paulus meint. Die ängstliche Sorge, die uns davon abhält, zuversichtlich in die Zukunft zu sehen. Dies und das könnte schief gehen und die bange Frage: Schaffe ich das überhaupt … Wir kommen nicht voran, weil wir nicht den Mut haben, den ersten Schritt zu tun.

Gott braucht Menschen, die mutig sind, die sich hinaus wagen in die Welt, die sich trauen, die frohe Botschaft zu verkünden und die auch anderen zurufen. “Habt keine Angst, Gott hat euch erlöst!” Wo hören wir in unserer Kirche diesen Ruf der Zuversicht? Da werden Pläne ausgearbeitet, wie man die immer kleiner werdenden Gemeinden mit immer weniger Priestern gerade noch so “versorgen” kann. In den Gemeinden machen die einzelnen Gruppen und Kreise ihr Programm wie eh und je, aber man klagt, dass der Nachwuchs fehlt. Wie soll es weitergehen?

Allem Anschein nach stehen wir an einer Zeitenwende, an der die Gesellschaft des Abendlandes, die sich in den letzten Jahrhunderten herausgebildet hat, durch etwas Neues abgelöst wird. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, wir sind aber auch nicht hilflos diesem Schicksal ausgeliefert. Wir können die Zukunft aktiv mitgestalten. Auch wenn vieles sich verändern mag, Jesus Christus bleibt derselbe gestern, heute und morgen. An ihn können wir uns halten und er wird uns halten.

Paulus will nicht die Sorgen und Nöte der Menschen einfach weg wischen. Sie sind weiterhin da, wir dürfen Gott um Hilfe bitten in allem was uns Angst macht. Aber in diesem Bittgebet soll stets auch der Dank enthalten sein. Dieser eröffnet die Perspektive dafür, dass die jetzige Not nicht alles ist, sondern dass Gott hilft, ja dass er bereits Hilfe geschenkt hat, noch ehe ich ihn darum gebeten habe. Das Leben ist nicht nur Not und Armseligkeit. In jedem Leben – wirklich in jedem! – gibt es etwas, das auch des Dankes und der Freude würdig ist. Das gilt es zu entdecken, dafür gilt es offen zu sein.

Ich finde es immer etwas befremdlich, wenn Menschen in ihrem Bittgebet gefangen sind. Sie rufen Gott ständig um Hilfe an, fast schon zwanghaft. Gott mach dies, Gott mach das. Es scheint hier das Befreiende des Gebets zu fehlen, das gerade durch den Dank dafür zum Ausdruck kommt, dass Gott bereits geholfen hat.

Das Gebet soll also nach der Absicht des Apostels nicht bloß Bitte sein, sondern auch Danksagung für das, was wir haben. Denn wie kann man um das Zukünftige bitten, wenn man für das Frühere nicht dankbar ist? … Für alles muss man danken, selbst für das, was uns widerwärtig scheint, denn dadurch bewährt sich die wahre Dankbarkeit. Das Bitten wird ja schon durch die Natur der Dinge gefordert, das Danken aber kommt aus einer erkenntlichen und innig an Gott hängenden Seele. Solche Gebete finden bei Gott Anerkennung; von den andern will er nichts wissen. So müsst ihr beten, sollen eure Anliegen kund werden vor Gott. Denn er ordnet alles zu unserem Besten, auch wenn wir es nicht einsehen. Ja gerade der Umstand, dass wir es nicht einsehen, ist ein Beweis dafür, dass es uns sicher zum Besten gereicht. (Johannes Chrysostomus)

Philipper 2 – Jesu Beispiel

Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht. (Phil 2,5)

Paulus stellt der Gemeinde von Philippi, in der es Rangeleien um Führungspositionen und Einfluss gibt, das Beispiel Jesu vor Augen:

Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. (Phil 2,6-8)

Paulus betont hier, dass Jesus Christus Gott gleich war. Er war, wie wir glauben, vor allen Zeiten beim Vater, im Geheimnis der Dreifaltigkeit eins mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Doch er behielt dieses Gott-Sein nicht für sich, er kam als gewöhnlicher Mensch auf diese Erde.

Jesus gibt so ein Beispiel der Demut. Demut bedeutet nicht, sich hinten anzustellen, nichts zu tun, weil man nichts kann. Demut bedeutet, die eigenen Fähigkeiten einzubringen, aber dabei nicht auf das Ansehen bei den Menschen aus zu sein, nicht nach Macht zu gieren, sondern einfach das zu tun, was man kann, weil man weiß, dass es so gut ist.

Wir erleben oft, wie Menschen sich an Machtpositionen klammern. Sie mögen große Fähigkeiten haben. Aber wenn ein Mensch seine Machtposition höher stellt als seine Fähigkeiten, hat das negative Auswirkungen auf die ganze Gemeinschaft. Andere, die auch ihre Fähigkeiten einbringen wollen, werden an den Rand gedrängt, weil einer um seine Macht fürchtet. Die Vielfalt, die eine lebendige Gemeinschaft auszeichnet, nimmt ab, weil andere Meinungen von der Führungsperson zurückgedrängt werden. Manche dieser Führungspersonen legitimieren ihr Verhalten gar mit einer Verantwortung, die sie für die Gemeinschaft hätten, wobei ihre Verantwortung eher darin bestünde, von ihrem Machtanspruch abzurücken, und Raum für neue Ideen zu schaffen. Es bedürfte der Stärke, loszulassen, aber dem steht die Angst vor Machtverlust entgegen.

Jesus hielt nicht an der Macht seiner Gottheit fest. Er ließ seine Macht los, kam als einfacher Mensch. Er hat getan, was ihm als gut und richtig erschien, hat nicht anderen nach dem Mund geredet, sondern deutlich seine Meinung gesagt. Er hat seine Meinung aber nicht mit Gewalt durchgesetzt. Wer ihm glaubte und ihm folgte, gehörte zu seiner Gemeinschaft, die anderen bekämpfte er nicht, sondern versuchte sie nur durch Wort und Beispiel zu überzeugen. Er ist schließlich für seine Auffassung von der Gerechtigkeit Gottes in den Tod gegangen. Er hielt nicht fest an seinem Leben. Er wusste: die Wahrheit entfaltet ihre Kraft in der Schwachheit. Sie lässt sich nicht mit Gewalt durchsetzen, sondern nur durch Menschen, die bereit sind, jede Anhänglichkeit an die Macht loszulassen, die aber trotzdem zu ihren Überzeugungen stehen und bereit sind, dafür sogar in den Tod zu gehen.

Aus menschlicher Sicht ist dies ein Paradox, aber Gottes Macht setzt sich auf andere Weise durch, als wir Menschen es erwarten würden. Wie viel Unrecht ist geschehen, weil auch die Kirche meinte, die Gerechtigkeit Gottes mit menschlicher Gewalt durchzusetzen. Wieviel Unrecht ist geschehen, weil sich auch in der Kirche immer wieder Menschen an ihre Macht geklammert haben und nicht bereit waren, loszulassen und Raum zu schaffen für das Wirken Gottes. Gott kann die Gräben der menschlichen Machtkämpfe überwinden, aber nur, wenn wir bereit sind, auf unsere Macht zu verzichten.

Jesus hat den Tod am Kreuz angenommen, war bereit, die absolute Machtlosigkeit auf sich zu nehmen. Doch Gott hat so seine Macht und Gerechtigkeit aufgerichtet und aus der Niedrigkeit wurde Christus wieder erhöht an den Platz, der ihm seit Ewigkeit gebührt zur Rechten des Vaters und von nun an preisen ihn alle Zungen.

Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: “Jesus Christus ist der Herr” – zur Ehre Gottes, des Vaters. (Phil 2,9-11)

So endet der große Christushymnus des Philipperbriefes mit einem triumphalen Schlussakkord. Jesus Christus ist der Herr! In diesen Ruf sollen alle einstimmen. Christus ist der Herr der Welt, er ist mein Herr, der Herr meines Lebens.

Röm 12,2 – Hingabe an Gottes Willen

Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist. (Röm 12,2)

Paulus fordert die Gläubigen dazu auf, anders zu denken, nicht im Sinn dieser Welt, sondern im Sinne Gottes. Das Denken dieser Welt beschäftigt sich damit, wie es möglich ist, den Reichtum zu vermehren, mehr Profit zu machen, eine bessere Stellung als andere zu erlangen, sich selbst groß zu machen. Christliches Denken aber muss demütig sein und sich darin vertiefen, wie es möglich ist, den Willen Gottes auf Erden immer mehr Wirklichkeit werden zu lassen.

Christliches Denken muss in die Tiefe gehen, muss hinter die äußeren Dinge blicken. Es darf sich nicht treiben lassen von diesem und jedem, von den blinkenden Anzeigen der Werbung oder dem äußeren Glanz. Christliches Denken muss still werden und versuchen, zum Zentrum zu gelangen, zu Gott, der unserem Denken zwar verborgen ist, der sich uns aber offenbart hat, vor allem in der Heiligen Schrift. Somit heißt christliches Denken vor allem auch, die Heilige Schrift zu meditieren, aus ihren Worten zu leben, und sich vom Heiligen Geist inspirieren zu lassen.

Wenn wir Gott zuerst denken und nicht uns selbst, verlieren wir nichts, denn was Gott will ist auch das, was für uns am besten ist. Nur wer sich dieser Tatsache bewusst geworden ist, kann auch sich wirklich ganz Gott hingeben.

Seien wir überzeugt, dass alles zu unserem Besten geschieht. Gott führt uns den Weg, der ihm gefällt, ihm gehören wir, nicht mehr uns selbst. Er erweist uns Gnade, indem er unseren Willen lenkt, in seinem Garten zu graben und in seiner Gegenwart zu bleiben.

Liebe besteht nicht im Streben nach größerem Glück, sondern in der größeren Entschlossenheit, Gott in allem erfreuen zu wollen, und sich mit ganzer Kraft darum zu bemühen, dass wir ihn nicht betrüben. (Teresa von Avila)

Römer 12,1 – Leben aus Gottes Erbarmen

Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. (Röm 12,1)

Nach den langen theologischen Ausführungen über Gottes Gerechtmachung aus dem Glauben und über die Rettung Israels angesichts dessen Unglaubens kommt Paulus nun zum praktischen Teil des Römerbriefes. Die Gläubigen sind gerecht gemacht vor Gott, sind von der Sünde befreit und durch die Taufe zu Kindern Gottes geworden. Sie sind das neue Volk Gottes, das in der Gemeinde vor Ort erfahrbar wird.

“Angesichts des Erbarmens Gottes”, mit diesen Worten fasst Paulus alles vorher im Brief Gesagte zusammen. Gott hat sich der Menschen erbarmt und schenkt allen, die an Jesus Christus glauben und durch die Taufe in das neue Volk Gottes eintreten, Erlösung und Vergebung der Sünden. Was dieses Erbarmen bedeutet, bringt Teresa von Avila mit wenigen Worten auf den Punkt:

Der Herr muss uns keine großen Geschenke geben. Es genügt, dass er uns seinen Sohn gesandt hat, der uns den Weg weisen soll. (Teresa von Avila)

Somit wir Erlösung konkret durch ein Leben aus dem Glauben nach der Weisung des Herrn, indem sich der Gläubige “als lebendiges und heiliges Opfer darbringt, das Gott gefällt.” Er stellt sich ganz, mit Leib und Seele, mit allem Denken und Tun, Gott zur Verfügung, um seinen Willen zu tun. Lebendig und heilig soll ein solches Opfer sein, nicht tot und verdorben. Die Werke dieser Welt, Unzucht, Heuchelei, Grausamkeit, führen zum Tod. Die Werke Gottes aber führen zum Leben. Wie diese Werke konkret aussehen, wird Paulus in diesem Kapitel noch näher darlegen: Liebe ohne Heuchelei, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft, Einmütigkeit, Vergebung sind hier nur einige Schlagworte. Johannes Chrysostomus erklärt dieses Opfer folgendermaßen:

Das Auge schaue nichts Sündhaftes an, und es ist zum Opfer geworden; die Zunge rede nichts Schlimmes, und sie ist zur Opfergabe geworden; die Hand tue nichts Verbotenes, und sie ist zum Opfer geworden. Aber das genügt noch nicht, sondern es bedarf auch guter Taten. Die Hand gebe Almosen, der Mund spreche Segenswünsche gegen Widersacher aus, das Ohr sei stets zum Anhören von Reden über göttliche Dinge bereit. Denn das Opfer darf nichts Unreines an sich haben, das Opfer soll ein Erstling von allem sein. So lasst denn auch uns Gott die Erstlinge der Hände, der Füße, des Mundes und aller andern Glieder darbringen! Ein solches Opfer ist Gott wohlgefällig, … die Art, zu opfern aber ist dabei eine ganz neue, und darum ist auch die Art des Feuers eine ganz eigene. Es braucht nämlich kein Holz oder sonstigen Brennstoff, sondern unser Feuer hat seine Lebenskraft aus sich selbst. Es verzehrt auch nicht die Opfergabe, sondern gibt ihr vielmehr Leben. (Johannes Chrysostomus)

Wer das neue Leben im Glauben an Jesus Christus lebt, der unterscheidet sich grundlegend von einem Weltmenschen. Auch wenn das Leben der Weltmenschen auf den ersten Blick als gut erscheinen mag, wenn sich sogenannte Gutmenschen als die Retter der Welt fühlen mögen, so entdeckt man hinter der äußeren Fassade oft gewaltige Schwachpunkte. Viel Dünkel und Eigennutz stehen dahinter und was zunächst so selbstlos erscheint, kann sich schnell zu einer totalitären Forderung und der Ausgrenzung Andersdenkender entwickeln.

Doch auch im Christentum ist selbstlose Liebe nicht allgegenwärtig. Immer wieder treten in der Kirche Machtstreben und Selbstsucht in den Vordergrund. Paulus ruft die Gläubigen zur Heiligkeit auf. Nicht nur Gutes zu tun, sondern es auch selbstlos zu tun, nicht nur nach außen den Anschein der Güte zu wecken, sondern auch im Inneren gütig zu sein. Zu seiner eigenen Überzeugung stehen, aber auch den Andersdenkenden anerkennen und annehmen in seiner Andersheit. Christliche Liebe muss tiefer gehen und weiter blicken als das Gutmenschentum. Das heißt vor allem, sich stets dessen bewusst zu sein, dass Gott uns zuerst geliebt hat, dass er uns sein Erbarmen erwiesen hat, und daher all unser Tun in seinem Dienst steht.

Die Rettung Israels (Röm 9)

Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht und mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist: Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein Herz. Ja, ich möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein um meiner Brüder willen, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind. Sie sind Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen. (Röm 9,1-5)

In den Kapiteln 9 bis 11 des Römerbriefs befasst sich Paulus ausführlich mit dem Thema der Rettung Israels. Er selbst war Jude und suchte das Heil auf dem Weg der Gesetzesgerechtigkeit, bis Jesus ihm vor Damaskus erschien und seinem Leben eine neue Perspektive gab.

Jesus war Jude, die Apostel waren Juden, die ersten Christen waren Juden. Das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen. Es baut auf die Heilige Schrift des Alten Bundes. Jesus Christus sieht sich in seinen Predigten als die Erfüllung der Verheißungen des Alten Bundes. Der Gott Israels ist sein Vater. Von seinem Vater ist er gesandt, dem Volk Israel das Heil zu bringen und von Israel ausgehend der ganzen Welt.

Die Gelehrten des Judentums waren da aber anderer Meinung. Die Mehrheit von ihnen sah in Jesus Christus nicht die Erfüllung der Schriften des Alten Bundes, die sie sehr gut kannten, sondern einen Aufrührer und Gotteslästerer, der es sogar wagte, Gott seinen Vater zu nennen. Sie sahen in ihm eine Gefahr für den jüdischen Glauben und das gesamte jüdische Volk und daher war seine Verurteilung zum Tod für sie die einzige Möglichkeit, den Glauben der Väter zu retten.

Bis heute unterscheiden sich Juden und Christen grundlegend in der Auslegung der Heiligen Schrift. Während die Christen nahezu alle Worte und Ereignisse des Alten Testaments auf Jesus Christus hin deuten, hat für fromme Juden Jesus Christus in ihrem Glauben keinen Platz. Die Erfüllung der Verheißungen steht für sie noch aus und sie warten weiterhin sehnsüchtig auf den Messias.

Paulus muss sich vor den Juden und wahrscheinlich auch vor sich selbst rechtfertigen, warum er plötzlich an Jesus Christus glaubt. Es steht auch der Einwand im Raum: Wenn Jesus Christus wirklich gekommen ist, um Israel zu retten, warum haben dann nur wenige geglaubt? Was ist mit dem großen Rest derer, die weiterhin als Juden leben, ohne den Glauben an Jesus Christus anzunehmen?

Israel ist von Gott in ganz besonderer Weise erwählt. Gott hat einen Bund geschlossen mit Abraham, dem Stammvater Israels, und mit Mose und dem Volk am Berg Sinai. Dieser Bund bleibt bestehen. Die Erwählung Israels bleibt. Für Paulus aber mühen sich die Juden nun vergebens. Sie leben eine Verheißung, die sich bereits erfüllt hat. Das rührt Paulus in seinem Innersten, er ist voller Trauer darüber, dass nicht alle seine Brüder aus dem Judentum den Weg zu Jesus Christus gefunden haben, wie er selbst.

Paulus versucht die Juden zu überzeugen, er betet für sie, aber es ist eine Tatsache bis heute, dass viele Juden nicht an Jesus Christus glauben, sondern weiterhin nach der Tradition ihrer Väter leben, wie sie die Heilige Schrift des Alten Bundes überliefert. Paulus weiß, dass die Erwählung Israels vor Gott weiterhin Bestand hat. So liegt es auch ganz in Gottes Hand, was mit seinem erwählten Volk geschieht.

Fortan aber verbindet Juden und Christen eine wechselvolle Geschichte. Galt zunächst das Christentum als jüdische Sekte und gab es anfangs noch Versuche von jüdischer Seite, den Glauben an Jesus Christus eng mit der Tradition der Väter zu verbinden (etwa indem sie von Heidenchristen die Beschneidung und Einhaltung des jüdischen Gesetzes forderten und sie so weitgehend zu Juden machen wollten), löste sich das Christentum immer mehr vom Judentum ab.

Als das Christentum immer stärker wurde, begannen von christlicher Seite Übergriffe auf die Juden. Sie wurden als Christusmörder diffamiert. Mithilfe staatlicher Seite (die bei den Juden wegen ihrer Eigenschaft als Kreditgeber oft Schulden hatte und damit auch davon profitierte) gab es im Mittelalter immer wieder gewaltsame Ausschreitungen gegen Juden. Ihren Höhepunkt erreichte die Gewalt gegen Juden in der grausamen Vernichtung unzähliger Juden durch die Nationalsozialisten.

Christen haben sich immer wieder an Juden schuldig gemacht. Doch jede Form von Judenhass ist zutiefst unchristlich. Wir müssen den Weg Gottes mit seinem auserwählten Volk respektieren und achten. Wir dürfen wie Paulus für die Juden beten, aber es steht uns nicht zu, über Erwählung und Verwerfung zu urteilen. Gott geht den Weg mit seinem Volk, auch heute.

Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen. Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn. (Papst Johannes Paul II.)

Gewissheit der Liebe Gottes

Paulus hat im 8. Kapitel des Römerbriefes viele Bilder gebraucht, um die Zuversicht zum Ausdruck zu bringen, die ihn als Glaubenden erfüllt. Doch alle Bilder verblassen angesichts der Erfahrung, die er gemacht hat. Nur wer sich selbst auf Jesus Christus einlässt, kann erfahren, was Paulus hier meint. Und um seinen Worten Nachdruck zu geben, spricht er am Ende des Kapitels noch einmal ganz deutlich. Er ist sich gewiss. Das was er sagt, steht für ihn unumstößlich, ohne jeden Zweifel fest. Nichts kann größer sein als die Liebe Gottes und nichts kann uns trennen von diesem liebenden Gott.

Ein großes Wort! Aber wir verstehen es nicht, weil wir nicht dieselbe Liebe haben wie Paulus. Und dennoch, der Apostel will zeigen, dass alles, so groß es auch sein mag, nichts ist im Vergleich zu der Liebe, mit der Gott uns umfängt. …
Der Sinn dieser Worte ist folgender: Was ist es nötig, von zeitlichen Drangsalen zu reden, von Leiden, die das Los dieses Lebens sind? Wenn mir einer von den gewaltigen Wesen des Jenseits reden würde, von Tod und Leben, von Engeln und Erzengeln, von der ganzen jenseitigen Welt, das alles kommt mir gering vor im Vergleich zur Liebe Christi. Wenn mir auch jemand mit dem Tod im Jenseits drohen würde, der niemals stirbt, um mich von Christus zu trennen, wenn mir jemand nie endendes Leben in Aussicht stellte, ich würde auch einen solchen Antrag zurückweisen. Gar nicht zu reden von irdischen Königen und Konsuln, von diesem oder jenem Mächtigen. Ja wenn du mir auch von Engeln sprichst, von allen himmlischen Mächten, von allem, was jetzt ist und was sein wird, so erscheint mir das alles klein und unbedeutend, alles auf der Erde und im Himmel und unter der Erde und über dem Himmel, im Vergleich zu jener Liebe.
Und als ob das noch nicht genug wäre, geht er noch über das Gesagte hinaus, um die Liebe, die ihn beseelt, auszudrücken, und fügt hinzu: “Noch irgendetwas anderes Erschaffenes”. Das heißt: selbst wenn es noch eine andere Welt gäbe, so groß wie die sichtbare und so herrlich wie die Geisterwelt, auch sie könnte mich von jener Liebe nicht trennen. Das sagte er nicht, als ob die Engel oder die andern seligen Geister je einen Versuch dieser Art machen würden, nein, sondern er wollte nur das Übermaß der Liebe ausdrücken, die er zu Christus hat. Er liebte nämlich Christus nicht wegen der von ihm zu erwartenden Gaben, sondern er liebte diese wegen Christus, und nur eines schwebte ihm als etwas Entsetzliches vor Augen, nur eines fürchtete er, nämlich, dass er seine Liebe verlieren könnte. Das war für ihn entsetzlicher als die Hölle selbst, wie andererseits das Verbleiben in dieser Liebe ihm begehrenswerter vorkam als das Himmelreich selbst. (Johannes Chrysostomus)

Römer 8 – Hoffnung

Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. (Röm 8,18)

Die Worte, die Paulus hier schreibt, sind Hoffnungsworte. Wir wissen, dass wir auch als erlöste Christen nicht frei sind von den Leiden dieser Welt. Auch viele fromme Menschen werden von Schicksalsschlägen getroffen, sie leiden unter Krankheiten, den plötzlichen Verlust eines lieben Menschen, Kriegen und Verfolgungen. Oft wird hier die Frage nach dem “Warum?” gestellt. Leid ist keine Strafe für Sünde. Diese ach so leichte Erklärung konnte noch nie eine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Leid geben. Kein Mensch wird diese Frage beantworten können.

Wir können dem Leid nur mit der Hoffnung begegnen. Der Hoffnung, dass Gott auch im Leid für uns sorgt, dass er eine schwere Krankheit heilen kann, die Hoffnung, dass auch sinnlos erscheinendes Leid nicht sinnlos ist, die Hoffnung, dass es immer einen Weg durch das Leid hindurch gibt, und dass Gott diesen Weg mit uns geht. Und nicht zuletzt auch die Hoffnung, dass ein neues Leben bei Gott auf uns wartet, in dem es kein Leid mehr geben wird.

Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. (Röm 8,19-23)

Zusammen mit uns Menschen wartet die gesamte Schöpfung auf die Zeit des Heils. Überall in der Schöpfung stoßen wir auf Leid. Die Natur ist kein Ort der Harmonie, sondern es tobt auf allen Ebenen ein Kampf ums Überleben. Auch hier wissen wir keine Antwort auf die Frage nach dem “Warum?”. Gott hat alles gut, ja sehr gut geschaffen. Kommt das Leid in der Schöpfung durch das Wirken des Menschen zustande? Oder ist eine Kraft am Werk, die Gottes Schöpfung stören und zerstören will?

Paulus gibt uns keine Antwort auf diese Frage. Für ihn ist das Leid eine Tatsache, die wir annehmen müssen. Zugleich aber gibt es Hoffnung für den Menschen und die gesamte Schöpfung. Gott lässt seine Schöpfung nicht allein. Er hört das Seufzen und Stöhnen der Schöpfung und der Menschen in ihr. Gott will den Menschen und die gesamte Schöpfung befreien von der Macht der Sünde und des Todes und er will die ganze Schöpfung mit sich vereinen.

Paulus spricht hier von Wehen, unter denen die Schöpfung seufzt. Wehen gehen der Geburt voraus. Durch den Schmerz der Wehen hindurch wird neues Leben geboren. Wenn das Kind dann auf der Welt ist, sind die Schmerzen der Wehen bald vergessen und es überwiegt die Freude über die Geburt des Kindes.

So ist auch die Zeit zwischen Jesu Auferstehung und seinem Kommen in Herrlichkeit eine Zeit der Wehen. Durch die Taufe werden Menschen neu geboren zu Kindern Gottes, aber sie leben weiterhin in einem irdischen Leib, der an die irdischen Umstände gebunden ist. Ihr Offenbarwerden als Kinder Gottes steht noch bevor. Wir leben in der Spannung zwischen dem “Schon” und “Noch nicht”. Wir sind bereits erlöst, unser Leib ist neu geboren aus dem Wasser der Taufe, wir sind Kinder Gottes, aber wir leben noch nicht bei Gott, wir leben noch auf der Erde.

Aber es gib Hoffnung, Hoffnung dass Gott bereits hier seinen Kindern einen Geschmack der Ewigkeit gibt, indem er das Leid mitträgt und seine Gaben schenkt. Hoffnung, dass die ganze Schöpfung wieder zu dem Paradies werden kann, das Gott geschaffen hat. Wir sind berufen, diese Hoffnung mir Gottes Hilfe Wirklichkeit werden zu lassen. Gott braucht Menschen, die seine Hoffnung in sich tragen und sie anderen weiter schenken.

Leben im Geist

Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt. Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm. (Röm 8,8-9)

Paulus nennt hier das Grundcharakteristikum christlichen Lebens: das Leben aus dem Geist. Das jüdische Gesetzt, über dessen Bedeutung Paulus in den vorangegangenen Kapiteln nachgedacht hat, blieb der menschlich-fleischlichen Ordnung verhaftet. Es hob den Menschen nicht über sich hinaus. Erst mit Christus ist etwas Neues geschehen. Er hat den Geist gesandt, und zwar unbegrenzt.

Zwar war Gottes Geist auch schon vorher am Werk, aber sein Wirken blieb auf einige wenige Menschen begrenzt. Der Geist wurde den Propheten und einigen anderen besonderen Menschen zuteil, aber nie dem ganzen Volk. So lesen wir im Alten Testament, dass er auch auf die Ältesten herabkam, die Mose als Stammesführer bestellt hatte.

Eine Ausnahme im Alten Testament stellt wahrscheinlich die Vision des Ezechiel dar, in der der Geist Gottes die in einer Ebene verstreuten Gebeine des Gottesvolkes neu belebt. Hier meint der Prophet die verzweifelten Israeliten in der Verbannung in Babylon, die durch Gottes Geist neue Kraft und neues Leben geschenkt bekommen. Doch das ist eine Vision. Die Wirklichkeit sah auch nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft anders aus. Erst Christus hat das erfüllt, was der Prophet geschaut hat. Erst mit Christus kam der Geist auf alle herab, wie wir im Neuen Testament vor allem in der Apostelgeschichte immer wieder lesen.

Das Erfüllt-Sein mit dem Heiligen Geist ist ein Wesensmerkmal der Christen. Doch ist dem auch so? Sehen wir nicht auch unter Christen das menschlich-fleischliche Element überwiegen? Schon Paulus kritisiert seine Gemeinden scharf, weil sie trotz ihrer Berufung zur Heiligkeit noch stark im Irdischen verhaftet geblieben sind, was beispielsweise erkennbar wird durch interne Streitigkeiten, Neid, Gier nach Macht und Reichtum oder einen unsittlichen Lebenswandel. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Ist das Leben aller Getauften aus dem Geist also nicht mehr als eine fromme Wunschvorstellung? Wie können wir Realität werden lassen, wozu wir berufen sind?

Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit. (Röm 8,10)

Die Worte des Paulus sind nicht leicht zu verstehen. Aber wir können eine Ahnung davon bekommen, was sie bedeuten. In der menschlich-fleischlichen Ordnung kümmern wir uns hauptsächlich um unseren Leib. Wir schauen darauf, dass wir einen guten Beruf haben, genug verdienen, damit wir uns auch möglichst viel leisten können und so ein möglichst komfortables Leben haben. Eine schöne Wohnung, schöne Kleidung, gutes Essen. Diese Dinge sind an sich nicht schlecht, bringen uns aber im Glauben nicht weiter, ja bergen das Risiko in sich, dass wir durch sie weiter in der Sünde verhaftet bleiben. Machen wir uns nichts vor. Unser Reichtum ist nur möglich, weil es auf der anderen Seite der Welt Armut gibt, Menschen, die sehr wenig verdienen, um das, was wir uns kaufen wollen, möglichst billig zu produzieren. Unser hoher Lebensstandard geht auf Kosten anderer Menschen und der Umwelt. Andere werden für unseren Komfort zahlen, Menschen, die schon jetzt von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und vor allem die nachfolgenden Generationen, denen wir eine zerstörte Natur hinterlassen. Welches Wort wäre also treffender für unsere Lebensform als das Wort Sünde?

Wenn wir aus dem Geist leben, dann verlieren die Werte dieser Welt an Bedeutung. Wir können zwar auch so nicht ohne Geld leben, aber wir werden uns nur das kaufen, was wir wirklich brauchen. Aber das bestimmt nicht mehr unser Denken, es ist eine Nebensache, die uns nicht weiter beschäftigt, weil wir wissen, dass Gott uns alles geben wird, was wir brauchen, wenn wir das unsere dazu tun. Vielmehr werden wir danach streben, Gott in allem zu verherrlichen, und seine Liebe in der Welt Wirklichkeit werden zu lassen.
Somit ist, wie Paulus schreibt, unser Leib tot. Nicht, weil wir ihn abgetötet haben, sondern weil uns seine Bedürfnisse nicht mehr beschäftigen, sondern wir ihre Erfüllung quasi nebenbei erledigen, ohne dass uns die Sorge darum die ganze Zeit beschäftigt.

Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt. (Röm 8,11)

Wenn wir in der neuen Ordnung des Geistes leben, dann haben wir ein neues Leben, ein Leben, das zwar von außen her sich nicht von dem Leben anderer Menschen unterscheidet, im Inneren aber sind wir grundlegend neu gestaltet. Der alte Mensch, der dem Irdischen verpflichtet war, ist tot. Der neue Mensch lebt aus dem Geist ein Leben der Gotteskindschaft, ein Leben, das bestimmt wird von der Liebe.

Wie ein solches Leben aussieht, können wir beispielsweise in der Bergpredigt nachlesen. Der neue Mensch verlässt sich ganz auf Gott, verzichtet darauf, über andere zu richten und andere zu verurteilen und lebt ganz aus der Liebe, einer Liebe, die auch vor dem Feind nicht Halt macht. Auch wenn wir als schwache Menschen wohl nie vollkommen aus der Liebe leben können, muss dies doch unser Ziel sein. Jeden Tag können wir aufs Neue damit beginnen. Jeden Tag können wir dem Geist Gottes mehr Raum in uns verschaffen, bis er irgendwann uns ganz mit seiner Kraft erfüllt.

Wenn wir als Christen so aus dem Geist leben, dann verschaffen wir unserer Botschaft, unserem Glauben neue Glaubwürdigkeit. Dann wird es uns gelingen, die Menschen um uns wieder mit dem Feuer des Geistes anzustecken und dann wird Gottes Liebe wieder mächtig sein in dieser Welt. Bitten wir Gott um den Mut, uns von seinem Geist leiten zu lassen.

Entfache dein Feuer, Geist des auferstandenen Christus, Geist des Mitleids, Geist des Lobpreises, deine Liebe zu jedem Menschen wird nie vergehen.
Geist des lebendigen Gottes, wenn Zweifel und Zögern, dich einzulassen, alles zu verschlingen scheinen, dann bist du da, dann bist du zugegen.
Du entfachst das Feuer, das inwendig unter unserer Asche glimmt. Du nährst dieses Feuer mit unseren Anfechtungen, mit unseren Dornen, mit allem, was uns an uns selbst und bei anderen wehtut, so dass durch dich sogar die Steine unseres Herzens verglühen, du Licht in unserer Finsternis, du Morgenglanz unserer Dunkelheit.
(Frere Roger Schutz)

Jesus das Licht

Christliches Leben ist ein Leben im Licht. Besonders das Johannesevangelium macht dies deutlich. Christus sagt von sich selbst: “Ich bin das Licht der Welt.” (Joh 8,12), er ist das Licht, das in die Welt gekommen ist, und von der Finsternis nicht erfasst wird (vgl. Joh 1,5). Christus öffnet dem Blinden die Augen, damit er im Licht leben kann, nicht nur die körperlichen Augen für das Sonnenlicht, sondern vor allem auch die Augen des Geistes für das Licht, das er selbst ist.

Der Christ erfährt in der Taufe den Durchgang von der Finsternis zum Licht. Aus dem Dunkel der Sünde kommt er in das Licht Christi, der ihn erleuchtet und von aller Sünde befreit. Daran erinnert Paulus, wenn er der Gemeinde aufzeigt, wie ein christliches Leben sich im Alltag zeigt. Christliches Leben ist ein Leben im Licht, voller Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Paulus zitiert hier wahrscheinlich einen alten Hymnus, der den Christen von ihrer Taufe her vertraut war, damals wurden die Christen ja als Erwachsene getauft und nicht wie heute meist üblich bereits als Babys getauft.

Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein. (Eph 5,14)

Es handelt sich dabei um einen Weckruf. Solche Weckrufe sind uns aus dem profanen Bereich überliefert, etwa als Lieder, um das frischvermählte Paar nach der Hochzeitsnacht zu wecken. Solche Weckrufe wollen die “Schlafmützen” zum Aufstehen animieren. Die Sonne scheint schon hell, es ist höchste Zeit, das gemütliche Bett zu verlassen. Vielleicht wurde hier ein vertrauter Weckruf zu einem christlichen Lied umgedeutet.

Der Schläfer ist nun derjenige, der in der Finsternis und Sünde verhaftet bleibt. Das erscheint angenehm. Die Sünde bietet vielerlei Genüsse. Hier verweilt man gerne, so wie man sich morgens gerne noch einmal im bequemen Bett umdreht. Aber wer liegen bleibt, wer nicht bereit ist, aufzustehen, der verpasst etwas Wesentliches. Er sieht das Schöne nicht, das ihm der Tag bereitet. Mag die tägliche Arbeit auch oft mühsam sein, eine lästige Pflicht, so hält jeder Tag doch auch ein kleines Wunder bereit, das es zu entdecken gilt.

Hier geht es aber noch um mehr. Es geht um das Leben an sich. Wer in den Genüssen der Sünde verweilt, verpasst das wirkliche Leben. Wer nicht bereit ist, aufzustehen, der ist bereits tot, auch wenn er noch zu leben scheint. Christus ist das Licht und das Leben. Wer das Leben sucht, der muss aufstehen und zu Christus kommen. Konkret heißt das, sich taufen lassen und dann ein christliches Leben führen, wie es Paulus in den vorangehenden und folgenden Sätzen darlegt.

Steh auf, komm von den Toten zu den Lebenden, denn Jesus lebt!
Steh auf, komm von der Finsternis zum Licht, denn Christus ist das Licht!
Christus schenkt Licht und Leben.
Christus ist dein Licht, er macht dein Leben hell.
Auch du wirst leuchten in seinem Licht.