Correctio Fraterna (Mt 18,15)

Es gibt auch immer wieder Situationen, in denen Menschen nicht mehr weiter wissen und Rat suchen. Manche Entscheidungen zu treffen, fällt schwer. Da ist es gut, Freunde zu haben, mit denen man sich besprechen kann, doch auch dann kommt es vor, dass ein Mensch den falschen Weg einschlägt. Es ist anders gekommen als erwartet, er hat hoch gespielt und alles verloren, hatte mehr den eigenen Vorteil im Auge als die Gerechtigkeit … Menschen machen Fehler und Menschen fallen in Sünde. Jede Sünde aber betrifft stets die ganze Gemeinschaft. Was also sollen wir tun, wenn wir sehen, dass ein Mensch dabei ist, den falschen Weg einzuschlagen?

Wie leicht ist es da doch, über andere zu reden. Schau mal, der da, was der wieder ausgefressen hat. So entstehen Gerüchte und Getuschel und schnell wird der andere ins soziale Abseits manövriert. Ist ihm damit geholfen? Sicher nicht.
Und ich selbst und die Menschen, die mit mir so sicher über den anderen geurteilt haben, sind wir wirklich so gut und machen alles richtig? In den Augen Jesu werden wir sicher als Heuchler dastehen. Was also tun?

Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. (Mt 18,15)

Es kostet Mut, direkt auf einen Menschen zuzugehen und ihm unter vier Augen zu sagen, wie ich über sein Verhalten denke. Genau das erwartet Jesus von mir, ein offenes und ehrliches Gespräch mit dem anderen, in dem ich nicht als besserwisserischer Ratgeber erscheine. Vielleicht hat der andere gar nicht gemerkt, wie sein Verhalten auf andere wirkt und ist nun selbst erschüttert darüber und will sich ändern. Vielleicht hatte er bisher nicht den Mut, es anders zu machen und bekommt so den Anstoß, sich zu ändern. Vielleicht kommt er ohne fremde Hilfe nicht aus einer Situation heraus und wir können zusammen nach einem Weg für ihn suchen. Wie es im Einzelfall auch sein mag, sicher ist ein offenes und ehrliches Gespräch in vielen Fällen hilfreich.

Wer mehr, als gut ist, schweigt, soll bedenken, dass er, wenn er den Nächsten liebt wie sich selbst, durchaus nicht schweigen soll gegenüber einem Unrecht, das er an einem anderen zurecht missbilligt. Das gesprochene Wort wird zum Medikament und leistet einen heilsamen Dienst. Diejenigen aber, die das heilende Wort zurückhalten und schweigen, verhalten sich gerade so wie Leute, die Krankheiten erkennen, aber sich heimlich dem Gebrauch der Heilmittel entziehen und so schließlich den Tod dadurch verursachen, weil sie die Heilmittel verweigern, die Heilung bringen konnten. (Gregor der Große)

Gleichnis vom Fischnetz

Weiter ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen. (Mt 13,47)

Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem Netz, das ins Meer geworfen wird, um damit Fische aller Art zu fangen. Es wird nicht nur im See Gennesaret ausgeworfen, an dem Jesus seine ersten Jünger berufen hat und sie von Fischern vom See zu Menschenfischern gemacht hat. Die Fanggründe der Fischer des Himmelreiches sind nicht mehr in einem kleinen See im abgelegenen und unbedeutenden Galiläa, sondern im großen Meer dieser Welt.

Die heilige Kirche wird mit einem Netzt verglichen, da sie Fischern anvertraut ist und durch sie ein jeder aus dem Gewoge der gegenwärtigen Welt ins ewige Reich gezogen wird, um nicht in der Tiefe des ewigen Todes zu versinken. (Gregor der Große)

Doch das Netzt der Kirche wird nur noch selten ausgeworfen. Es hat Risse bekommen, und fängt nur noch wenige Fische, wenn es einmal wieder benutzt wird. Nahezu tatenlos sehen wir dabei zu, wie immer mehr Menschen die Kirche verlassen und wie ein Großteil der Menschen “in der Tiefe des ewigen Todes zu versinken” droht. Die linksgerichtete Philosophie, dass jeder Mensch selbst seinen Heilsweg bestimmen kann und daher jede Form der Mission verpönt ist, ist bis in das Herz der Kirche gedrungen.

Die Lehre vom ewigen Gericht wird als eine heute überwundene Denkform früherer Zeiten abgetan. Kein Mensch benötigt Erlösung und nach dem Tod wird entweder nichts mehr sein oder es wird allen gleich ergehen. Wichtig ist es, im hier und jetzt zu leben. Wozu sich also noch mit den Geboten der Kirche herumschlagen, die so viele Generationen geknechtet haben, wozu noch Mission und Bekehrungen?

Wir müssen lernen, das Evangelium mit neuen Worten zu  verkünden, die auch den Menschen unserer Tage die Notwendigkeit der Umkehr vor Augen führen. Freilich sollen wir nicht zu den Worten einer Drohbotschaft zurückkehren, die Bekehrungen nur angesichts der Vermeidung einer ewigen Verdammnis als sinnvoll erscheinen lässt. Das Evangelium muss Frohbotschaft sein, die zeigt, dass der Glaube an Jesus Christus Glück und Heil schenkt, das sonst nirgendwo zu finden ist.

Jeder Schriftgelehrte also, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt. (Mt 13,52)

Gregor der Große versteht das Alte als die Tatsache, “dass die Menschheit für ihre Schuld in ewiger Strafe zugrunde geht”. Das Neue aber ist das Evangelium, die Botschaft davon, “dass, wer sich bekehrt, im Reich lebt”. Das bedeutet für die Verkünder des Evangeliums:

Derjenige ist in der heiligen Kirche ein unterrichteter Verkündiger, der es versteht, Neues über die Schönheit des Reiches vorzubringen. (Gregor der Große)

Zwar fügt Gregor der Große auch noch an, dass dieser Verkünder ebenso “Altes über den Schrecken der Strafe” hervorzubringen weiß, jedoch muss heute das Neue über die Schönheit des Reiches im Vordergrund stehen. Wir leben in einer Zeit, die viele Annehmlichkeiten zu bieten hat. Was gibt es für einen Grund, auf diese um eines verborgenen Himmelreiches willen zu verzichten? Wir erkennen aber auch die Brüchigkeit dieses irdischen Glücks, wenn Beziehungen zerbrechen, eine plötzliche Krankheit das Leben verändert, oder plötzlich das Geld knapp wird. Wer oder was trägt uns auch durch schwere Zeiten? Gibt es ein unvergängliches Glück?

Menschen suchen und fragen. Wir dürfen nicht mit Antworten kommen, die hundert Jahre oder älter sind. Das Umfeld der Menschen verändert sich, heute schneller als je zuvor. Die Fragen und das Suchen der Menschen sind gleich geblieben, die Antworten aber müssen mit der Zeit gehen. Die Botschaft von Jesus Christus ist zeitlos. Man kann heute die Evangelien noch genauso gut lesen und verstehen wie vor 1000 Jahren. Wir brauchen Verkünder, die es verstehen, den Schatz des Evangeliums auch heute wieder zum Glänzen zu bringen, die ihn attraktiv sein lassen für die Menschen unserer Zeit.

Herr Jesus Christus, gib uns Phantasie und deinen Geist, damit wir die Botschaft vom Himmelreich auch heute so verkünden, dass sie die Menschen ins Herz trifft und dass sie in dir den Schatz sehen, der sie reich und glücklich macht.

Unkraut im Weizen (Mt 13)

Und Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. (Mt 13,24-26)

Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen folgt auf das Gleichnis vom Sämann. In beiden geht es um das Wort, das ausgesät wird. Das Gleichnis vom Sämann endet damit, dass das Wort Frucht bringt, wenn es auf guten Boden fällt. Ein solches fruchtbares Feld kommt nun in diesem Gleichnis in den Blick. Der Samen ist aufgegangen und bringt reichlich Frucht. Damit könnte ja alles gut sein, aber so einfach ist es nicht. Der Feind, der schon einen Teil des Samens am Wachstum gehindert hat, sät nun auch noch Unkraut unter den guten Weizen.

Matthäus ist der einzige Evangelist, der ein solches Wort Jesu über die Saat des Bösen überliefert. Wahrscheinlich bringt er damit die Erfahrung der Gemeinden in seinem Umfeld zum Ausdruck, dass leider auch die Kirche keine ideale Gemeinschaft ist, sondern dass es auch in ihr Streitigkeiten gibt und Menschen, die den Frieden stören. Auch die Erfahrung des Leids gehört weiterhin zur Wirklichkeit der Christen. Diese Spannung zwischen einem perfekten Ideal und einer als unvollkommen erfahrenen Gegenwart gilt es auszuhalten.

Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? (Mt 13,27)

Die Saat des Bösen geht auf und wird für alle sichtbar. Auf dem reichlich Frucht tragenden Acker des Wortes Gottes sprießt auf einmal auch Unkraut unter dem Weizen. Woher kommt das Unkraut? So fragen die Knechte und wer von uns hat diese Frage nicht auch schon an Gott gestellt. Du hast doch eine gute Schöpfung gemacht, warum gibt es dann darin so viel Böses? Ja selbst im neuen Volk Gottes, der Kirche, gibt es viele, die trotzdem weiter Böses tun. Und wenn ich auf mich selbst blicke: trotz aller Bemühungen und aller guten Vorsätze falle ich doch immer wieder in Schuld und Sünde.

Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune. (Mt 13,28-30)

Am liebsten würden die Knechte das Unkraut ausreißen. Doch der Herr mahnt zur Vorsicht. Allzu leicht könnten sie dabei auch das gute Getreide erwischen und zusammen mit dem Unkraut vernichten. Sicher werden beim Gang durch das Feld auch so manche Halme zertreten. Der Schaden würde also auf jeden Fall größer werden, als er ohnehin schon ist. Es ist eine zwar unschöne, aber dennoch unumgängliche Tatsache, dass unter jedem guten Samen auch Unkraut wächst. Es gibt nicht die perfekte Gesellschaft, in der alle nur gut sind. Es wird immer Menschen geben, die Fehler machen, aus Schwäche oder aber auch aus Bosheit. Dies muss jede Gemeinschaft ertragen können. Menschliches Reinheitsstreben schießt oft über das Ziel hinaus. Die Geschichte liefert uns genug Beispiele dafür, dass sogenannte Säuberungsaktionen oft in brutaler Gewalt geendet haben und Gemeinschaften der “Reinen” sich durch ihren Wahn selbst aufgefressen haben.

Jesus mahnt zur Geduld. Gott wird zur gegebenen Zeit das Unkraut vom Weizen trennen. Aber es fällt uns oft schwer, Raum für Gottes Wirken zu lassen. Wir wollen lieber selbst alles in die Hand nehmen und die großen Macher sein. Es braucht ohne Frage Menschen, die Verantwortung übernehmen. Wir sollen nicht über jedes Fehlverhalten einfach hinwegsehen. Brüderliche Ermahnung gehört von Anfang an zu einem Charakteristikum christlicher Gemeinschaften. Aber wir können nicht verhindern, dass die Saat des Bösen immer wieder aufgeht und wir müssen es auch nicht verhindern. Es gibt sicher einen gerechtfertigten heiligen Eifer, der die Kinder Gottes gegen das Böse verteidigen will, aber er darf nicht zu der Utopie werden, dass wir mit unserer eigenen Kraft Gottes Gerechtigkeit in dieser Welt durchsetzen könnten.

Fanatischer Eifer reißt mit den Bösen auch viele gute Menschen aus, weil unser Urteilsvermögen einfach begrenzt ist. Gott allein kommt es zu, zu richten, er allein besitzt unumschränkte Macht. Gerade aber weil Gott über allem steht und er allein Gott ist, muss er seine Macht nicht immer wieder neu beweisen, denn es gibt niemand, der sie ihm ernsthaft streitig machen könnte. Gott hat es nicht nötig, wie ein Tyrann, der immer um seine Herrschaft fürchten muss, alle sofort zu vernichten, die nur den Anschein erwecken, etwas gegen ihn zu haben. Er kann es sich erlauben, Nachsicht zu üben, weil ihm letztlich keiner schaden kann.

Mt 13 – Das Gleichnis vom Sämann

An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. (Mt 13,1-2a)

Nach der Bergpredigt und der Aussendungsrede an die Jünger ist die Rede über das Himmelreich die dritte der fünf großen Reden Jesu im Matthäus-Evangelium. Wie die Bergpredigt richtet Jesus auch diese Rede an eine große Menschenmenge. Ist Jesus bei der Bergpredigt auf einen Berg gestiegen, um möglichst gut von allen gesehen und gehört zu werden, so fährt er nun mit einem Boot auf den See, um zu den Menschen am Ufer zu reden. Diesmal sind es vor allem Gleichnisse, mit denen Jesus deutlich machen möchte, wie sich das Wort Gottes unter den Menschen ausbreitet und damit Gottes Herrschaft in dieser Welt sichtbar wird. Das erste dieser Gleichnisse, das vom Sämann, gehört zu den bekanntesten Gleichnissen der Evangelien.

Er sagte: Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre! (Mt 13,2b-9)

Jesus gebraucht wie in allen Gleichnissen ein Bild, das den Menschen der damaligen Zeit vertraut war. Damals wurde das Saatgut noch mit der Hand auf das Feld ausgestreut. Der Sämann hatte einen großen Korb mit dem wertvollen Saatgut umgehängt, griff mit der Hand hinein und warf die Körner in hohem Bogen über das Feld. Die Felder damals waren keine großen Äcker, sondern kleine Parzellen, umgeben von Dornengestrüpp und steinigem Boden. Daher fiel nur ein kleiner Teil des Samens auf fruchtbaren Boden. Doch trotz des Risikos, dass ein Teil des Samens nicht bis zur Reife gelangen wird, sät der Sämann mutig aus, weil er weiß, dass der Samen, der auf fruchtbaren Boden fällt, einen hohen Ertrag bringen wird, der den Verlust bei weitem ausgleicht.

Obwohl das Bild vom Sämann eigentlich verständlich ist, muss Jesus es auslegen, damit deutlich wird, was es mit Himmelreich und Jüngerschaft zu tun hat.

Hört also, was das Gleichnis vom Sämann bedeutet. Immer wenn ein Mensch das Wort vom Reich hört und es nicht versteht, kommt der Böse und nimmt alles weg, was diesem Menschen ins Herz gesät wurde; hier ist der Samen auf den Weg gefallen. Auf felsigen Boden ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt, aber keine Wurzeln hat, sondern unbeständig ist; sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird, kommt er zu Fall. In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort zwar hört, aber dann ersticken es die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum und es bringt keine Frucht. Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach. (Mt 13,18-23)

So wie der Sämann den Samen mutig ausstreut, ohne vorher zu überlegen, ob er auch wirklich Frucht bringen wird, weil er weiß, dass der Samen auf fruchtbarem Boden den Verlust des Samens auf schlechtem Boden bei weitem ausgleichen wird, so spricht Gott sein Wort zu allen Menschen, weil er weiß, dass unter den vielen immer einige sind, die es aufnehmen und danach leben. Das soll uns Mut machen, wenn wir meinen, gerade heute würde das Wort Gottes ungehört verhallen.

Es kommt zu allen Zeiten vor, dass Gottes Wort auf harte Herzen trifft, in die es keinen Einlass findet. Doch Gott kennt die Herzen der Menschen, er weiß, wer ein offenes Ohr für ihn hat. Er ist der Sämann, der den Samen des Wortes Gottes aussät und wir alle sind von ihm auf je eigene Weise in den Dienst der Verkündigung gerufen. Wir wissen nicht genau, wo der Samen des Wortes, das Gott durch uns aussät, hinfällt und wo er Frucht bringt.

Jesus gibt allen Menschen die gleiche Chance, sein Wort zu hören. Daher dürfen auch wir, die wir dazu berufen sind, sein Wort zu verkünden, uns nicht nur an die wenden, von denen wir meinen, dass sie gut genug wären, uns zu hören und von anderen denken: “Die begreifen das eh nicht, denen braucht man erst gar nicht anfangen, etwas zu erklären.” Wir wissen vorher nie, was das Wort Gottes in einem Menschen bewirkt. Erst mit der Zeit wird sich zeigen, welche Frucht es bringt. Geben wir dem Wort Gottes Raum, um zu wirken.

Jesus, Lehrer der Weisheit Gottes (Mt 11)

In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. (Mt 11,25)

Nach seiner Unterweisung der Jünger wendet sich Jesus nun wieder an alle, die zu ihm gekommen sind, um seine Worte zu hören. Jesus wird dargestellt wie ein Weisheitslehrer, der Schüler und interessierte Zuhörer um sich schart. Bei ihm finden die Menschen das, wonach sie sich im Innersten sehnen. Doch es gibt zwei grundlegende Unterschiede zwischen der Lehre Jesu und der anderer Weisheitslehrer.

Weisheitslehrer wie beispielsweise die antiken Philosophen sammelten in ihren Schulen eine Elite von Gelehrten um sich, die durch immer tiefgründigere Gedanken zu immer komplexeren Erkenntnissen gelangen sollten. Vom Denken schloss man damals auf die Natur und erst langsam schlugen die Gelehrten den anderen Weg ein, von Naturbeobachtung zu Erkenntnissen zu gelangen.

Doch Jesus will uns nicht solches Wissen über die Welt vermitteln und auch keine Philosophie, die auf tiefgründigen Gedanken beruht. Jesus richtet sich nicht an die Philosophen, sondern gerade an einfache, unmündige Menschen. Ihnen eröffnet er Geheimnisse über Gott, die menschliches Denken allein nicht in der Lage ist zu ergründen. Wenn nämlich schon die Wirklichkeit der Welt weit größer ist, als wir sie mit unserem Wissen erfassen können, um wie viel mehr gilt das dann für die Wirklichkeit Gottes. Von Gott versteht mehr, wer mit demütigem und gläubigem Herzen seine Offenbarung annimmt, als wer ihn mit seinem Verstand zu ergründen sucht.

Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. (Mt 11,27)

Ein zweites unterscheidet Jesus grundlegend von anderen Weisheitslehrern. Jesus hat seine Weisheit und Lehre sich nicht wie diese durch Nachdenken erarbeitet, sondern er selbst ist diese Wahrheit und Lehre. Er bringt mit seiner Lehre nicht etwas, das er erworben hat, sondern er bringt sich selbst. Er selbst ist die Wahrheit, von der er spricht und diese Wahrheit hat er von seinem Vater empfangen, mit dem er untrennbar verbunden ist.

Denn dadurch, dass er allein den Vater kennt, deutet er verborgen an, dass er gleichen Wesens mit ihm ist, so als wenn er sagen würde: Was ist es verwunderlich, wenn ich Herr über alles bin, da ich etwas anderes Größeres besitze, nämlich den Vater zu kennen und gleichen Wesens mit ihm zu sein?

(Johannes Chrysostomus)

Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. (Mt 11,28)

Jesus Christus, der Sohn des Vaters, ist von Ewigkeit her mit dem Vater und dem Heiligen Geist eines Wesens. Er ist gekommen, um die Menschen in die Gemeinschaft zu rufen, in der er mit dem Vater lebt. Sie ist der Ort, an dem wir Ruhe finden, ewiges Leben, das unvergänglich in Gott geborgen ist.

Jesus, in dem die Fülle der Gottheit wohnt, ist unsere Wohnung geworden. Indem er in uns Wohnung nimmt, können auch wir in ihm Wohnung nehmen. Indem er sich in unserem Innersten niederlässt, eröffnet er uns die Möglichkeit, an seiner eigenen Nähe zu Gott teilzuhaben. Indem er uns als seinen bevorzugten Wohnort wählt, lädt er uns ein, ihn als unseren bevorzugten Wohnort zu wählen. Das ist das Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes.

(Henri Nouwen)

Gott behütet euch

Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Cent? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. (Mt 10,29-31)

Jesus macht den Jüngern Mut zum furchtlosen Zeugnis. Sie brauchen sich nicht vor den Menschen zu fürchten. Egal, was geschieht, sie sind in Gottes Hand geborgen. Er kennt jeden Menschen, sogar die Haare auf den Kopf eines jeden hat Gott gezählt. Für ihn ist der Menschen nicht nur eine Nummer, sondern ein lebendiger Partner, mit dem Gott eine innige Beziehung eingehen möchte.

Jesus sagt uns immer wieder, wie wertvoll wir für Gott sind. Ihr seid mehr wert als viele Spatzen, ihr seid für Gott mehr wert als alles auf der Welt. Dies hat uns Gott konkret darin gezeigt, dass er in Jesus Christus selbst auf diese Erde gekommen und Mensch geworden ist, dass er sich für uns hingegeben hat am Kreuz.

Jeder Mensch ist wertvoll vor Gott. Jeder Mensch bedeutet Gott etwas und Gott hält jeden Menschen in seiner Hand geborgen. Wenn wir uns in unserem Leben auch oft fragen: Wo ist Gott? So dürfen wir dennoch nie verzweifeln. Gott ist immer nahe, auch wenn wir uns manchmal von ihm verlassen fühlen.

Guter Gott, lass uns zu jeder Zeit deine helfende Nähe und Gegenwart erfahren!

Fürchtet euch nicht (Mt 10)

Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. (Mt 10,28)

Fürchtet euch nicht! Wie oft sagt Jesus diese Worte zu seinen Jüngern und wie oft müssen wir uns diese Worte sagen lassen! Wie oft hindert uns Furcht daran, den Glauben zu verkünden, und für andere Menschen einzutreten. Wir wollen möglichst nicht auffallen, machen uns Gedanken darüber, was andere über uns reden könnten.

Fürchtet euch nicht! Nehmt keine falsche Rücksicht! Um aber furchtlos auftreten zu können, muss man selbst überzeugt sein von dem, was man tut, überzeugt von Gott, für den man Zeugnis gibt, von seiner Existenz und der Wahrheit seiner Offenbarung. Von allen Seiten hören wir, dass es mit Gott doch ganz anderes ist als wir glauben, wir können nicht sagen, dass es einen Gott gibt. Jesus Christus war einfach nur ein guter Mensch, der die Liebe verkündet hat. Darum sollen wird die Menschen doch einfach so lassen, wie sie sind, nicht versuchen, andere zu missionieren und von unserem Glauben zu überzeugen.

Doch wenn wir die Worte Jesu in den Evangelien lesen wird deutlich, dass er kein Freund von Beliebigkeit ist. Für ihn gibt es nur einen Gott, den Vater im Himmel, und dieser Vater liebt die Menschen. Und wer sich von Gottes Liebe überwältigen lässt, der wird das Heil erfahren. Von diesem Gott und seiner Liebe sollen wir anderen erzählen, ja mehr noch, wir sollen durch unser Leben die Existenz und die Liebe Gottes erfahrbar werden lassen.

Das erfordert Mut. Das bedeutet auch, dass wir anecken. Sobald wir ernsthaft von unserem Glauben an Jesus Christus reden, werden wir eine Großzahl unserer Zuhörer zu Gegnern haben. Wir können natürlich das Evangelium auch so verpacken, dass es seine Konturen verliert, dass wir einfach nur vom guten Menschen Jesus reden, dann wird sich kaum einer an unseren Worten stören. Wir werden so aber auch kaum jemand für Jesus Christus begeistern können. Das ist die Situation, in der wir heute stehen.

Was hindert uns daran, Mut zu haben, aufzustehen, und mit Begeisterung das Evangelium mit allen Ecken und Kanten zu verkünden? Die Botschaft, dass Jesus Christus nicht einfach nur ein guter Mensch war, sondern dass er Gott ist, dass er uns erlöst hat und dass er uns als seinen Jüngern den Auftrag gegeben hat, von ihm Zeugnis zu geben und andere Menschen zu ihm zu führen.

Allmächtiger Gott,
du berufst immer wieder Menschen,
Zeugnis zu geben von deiner Liebe.
Stärke uns durch die Kraft des Heiligen Geistes,
dass auch wir deinem Ruf folgen
und erkennen, wozu du uns erwählt hast.
Gib uns Mut, ohne Menschenfurcht
und falsche Rücksichtnahme für dich einzutreten,
dich, die Wahrheit die uns Leben schenkt.
Amen.

Berufung der Zwölf

Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. (Mt 9,36-38)

Hier beginnt ein neuer Abschnitt des Wirkens Jesu im Matthäus-Evangelium. Bisher hat Jesus selbst das Volk gelehrt und Heilungen gewirkt. Nun zieht er die Jünger, die er in dieser ersten Zeit berufen hat, stärker in die Verantwortung. Jesus kann nicht selbst zu allen Menschen gehen, dafür sind es zu viele. Überall warten Menschen auf das Wort Gottes und auf Heilung. Die Menschen irren umher, wie eine Herde ohne Hirten, sie warten auf jemand, der sie führen kann. Die Zeit ist reif für die Ernte, und dazu braucht es Arbeiter. So beruft Jesus die Zwölf als seine Boten und gründet auf sie zugleich das neue Gottesvolk. Wie einst das Volk Israel aus den zwölf Stammvätern hervor gegangen ist, so werden die zwölf Apostel zum Fundament des neuen Gottesvolkes.

Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn später verraten hat. (Mt 10,1-4)

Die Kirche ist auf die Apostel gegründet und durch die Bischöfe bleibt die Verbindung zu den Aposteln dauerhaft bestehen. Um sein Volk aus allen Bewohnern der Erde zu sammeln, braucht Gott Menschen, die sich in seinen Dienst stellen lassen. Das sind nicht Menschen, die sich aus eigenem Entschluss in den Dienst Gottes stellen oder von anderen Menschen dazu bestellt werden, Gott selbst ist es, der beruft und sendet. Menschen können sich nicht selbst berufen, sondern nur mit ihrem Ja auf den Ruf Gottes antworten. Menschen können nicht selbst Arbeiter in den Weinberg Gottes schicken, sondern sie müssen Gott darum bitten, er allein kann es tun.

Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. (Mt 10,5-6)

Es muss unser größtes Anliegen sein, dass alle Menschen auf der Welt von Gottes Liebe erfahren. Es geht darum, allen Menschen auf der Erde die Botschaft zu bringen, dass es einen Gott gibt, der Liebe ist, einen Gott, der das Heil aller Menschen will. An erster Stelle steht daher der Auftrag Jesu zur Verkündigung des Himmelreiches und daraus folgt die Vollmacht zur Heilung:

Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! (Mt 10,7-8a)

Gott und sein Reich müssen im Mittelpunkt der Verkündigung stehen. Die Kirche ist dazu bestimmt, von Gott Zeugnis zu geben, und nicht nur eine Botschaft vom guten Menschen zu verkünden. Wenn aber Gott im Mittelpunkt der Verkündigung steht, dann steht auch der Mensch im Mittelpunkt. Das erkennt man an den Taten, die der Verkündigung folgen. Nur, wem es zuerst um Gott geht, der kann auch den Menschen helfen, denn die Menschen können Wunder nicht aus eigener Kraft wirken. Gott allein ist es, der die Krankheiten der Menschen heilt, Tote auferweckt, Aussätzige rein macht, Dämonen austreibt. Er tut es aber durch Menschen, die in seinem Namen handeln.

Gott kümmert sich um sein Volk, Gott ist nahe in allen Nöten und Leiden. Gott nimmt sich seines Volkes an. Das ist der Trost, der in diesen Worten liegt. Wie wichtig ist es da, dass Gott Menschen beruft, die in seinem Namen den Menschen diesen Trost bringen, Menschen, denen Gott selbst Vollmacht und Kraft gibt für ihren Dienst. Bitten wird Gott, dass er uns solche Menschen schenkt.

Karwoche

Als Jesus seine Reden beendet hatte, sagte er zu seinen Jüngern: Ihr wisst, dass in zwei Tagen das Paschafest beginnt; da wird der Menschensohn ausgeliefert und gekreuzigt werden. (Mt 16,1-2)

Jesus hat vor seinen Jüngern eine lange Rede gehalten. In ihr ging es um die Endzeit, die kommende Not, die der Wiederkunft des Menschensohnes voraus gehen wird. Nur wer wachsam ist, wird gerettet. Das macht Jesus an mehreren Gleichnissen deutlich. Am Ende der Rede steht das Gleichnis vom Weltgericht.

Jesus bereitet seine Jünger auf die Zeit vor, in der er nicht mehr bei ihnen sein wird, und diese Zeit steht nahe bevor. Nur noch zwei Tage sind es bis zum Beginn des Paschafestes. An diesem Fest wird der Herr sein Leben hingeben als Opferlamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Um die gleiche Zeit versammelten sich die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes im Palast des Hohenpriesters, der Kajaphas hieß, und beschlossen, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen und ihn zu töten. Sie sagten aber: Ja nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht. (Mt 26,3-5)

Während Jesus mit seinen Jüngern im vertrauten Gespräch ist, werden andernorts heimliche Gespräche geführt. Die Hohenpriester und Ältesten halten eine Versammlung ab, in der sie den Tod Jesu beschließen. Jetzt ist Jesus in Jerusalem, jetzt müssen sie zugreifen, bevor er wieder nach Galiläa geht und ihren Machtbereich verlässt. Doch wie sollen sie Jesus verhaften? Ihn einfach während seiner Reden abzuführen, würde einen Aufruhr im Volk auslösen. Das wollen sie verhindern. Die Stimmung in Jerusalem ist sowieso zum Paschafest schon aufgeheizt wegen all der Pilger, die in der Stadt sind. Doch es wird sich eine Lösung finden.

Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte zu ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat. (Mt 26,6-13)

Von der Versammlung, auf der Jesu Tod beschlossen wurde, wechselt der Evangelist die Perspektive wieder hin zu Jesus. Er hat mittlerweile mit seinen Jüngern die Stadt verlassen und ist im nahen Betanien bei Freunden eingekehrt. Der Gastgebet, Simon der Aussätzige, ist uns nicht weiter bekannt. Vielleicht aber war er den Menschen zur Zeit des Matthäus noch vertraut, weshalb er hier mit Namen genannt wird. Sein Beiname “der Aussätzige” rührt möglicherweise daher, dass er durch Jesus vom Aussatz geheilt worden ist und das Andenken daran bewahren und zugleich Zeugnis geben möchte von Jesu Wundertaten.

Wenn wir die Evangelien miteinander vergleichen, so merken wir, dass hier verschiedene Traditionen vorliegen. Matthäus benutzt die Markus-Vorlage, nach der Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen einkehrt, wo ihm eine nicht namentlich genannte Frau salbt. Nach dem Johannesevangelium begibt sich Jesus auch nach Betanien, kehrt dort aber bei seinen Freunden Marta, Maria und Lazarus ein, und es ist Maria, die ihn salbt. Lukas berichtet von der Salbung Jesu nicht im Zusammenhang mit der Passion sondern weit früher, während Jesu wirken in Galiläa. Auch dort geschieht die Salbung im Haus eines Simon, der aber als Pharisäer gekennzeichnet wird.

Wir sehen hier deutlich, wie die einzelnen Evangelisten mündlich überlieferte oder bereits schon schriftlich fixierte Berichte über Jesus verwenden und in ihre Evangelien einbauen. Die Salbung in Betanien im Rahmen der Passion als Vorausbild der Totensalbung Jesu zu sehen ist sinnvoll. Zugleich könnte der Streit um das vermeintlich sinnlos vergeudete Öl der Anlass dafür gewesen sein, dass Judas Iskariot endgültig entscheidet, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Johannes stellt diese These auf, während bei den anderen Evangelisten alle Jünger ihr Unverständnis über die Verschwendung des Öls äußern.

Sorge für die Armen oder sinnfreies Opfer, was ist wichtiger? Ich denke, diese Frage ist falsch gestellt, ebenso wie manche Kritik am Reichtum der Kirche unangebracht ist. Oft hört man Menschen sagen, die Kirche solle doch mehr den Armen geben anstatt prächtige Kirchen zu bauen oder wertvolle Kelche und Gewänder für den Gottesdienst anzuschaffen. Ich denke, beides hat seine Bedeutung. Verschwenderischer Reichtum steht der Kirche nicht zu. Das stimmt. Aber zur Ehre Gottes ist es angebracht, dass das Gotteshaus und die liturgischen Gewänder auch einen gewissen künstlerischen Wert haben. Hilfe für die Armen und liturgischer Schmuck haben beide eine wesentliche Bedeutung für die Kirche. Das eine geht nicht ohne das andere. Aber dennoch gilt bis heute der Satz des heiligen Diakons Laurentius: “Die Armen sind der wahre Schatz der Kirche.”