Karwoche

Als Jesus seine Reden beendet hatte, sagte er zu seinen Jüngern: Ihr wisst, dass in zwei Tagen das Paschafest beginnt; da wird der Menschensohn ausgeliefert und gekreuzigt werden. (Mt 16,1-2)

Jesus hat vor seinen Jüngern eine lange Rede gehalten. In ihr ging es um die Endzeit, die kommende Not, die der Wiederkunft des Menschensohnes voraus gehen wird. Nur wer wachsam ist, wird gerettet. Das macht Jesus an mehreren Gleichnissen deutlich. Am Ende der Rede steht das Gleichnis vom Weltgericht.

Jesus bereitet seine Jünger auf die Zeit vor, in der er nicht mehr bei ihnen sein wird, und diese Zeit steht nahe bevor. Nur noch zwei Tage sind es bis zum Beginn des Paschafestes. An diesem Fest wird der Herr sein Leben hingeben als Opferlamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Um die gleiche Zeit versammelten sich die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes im Palast des Hohenpriesters, der Kajaphas hieß, und beschlossen, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen und ihn zu töten. Sie sagten aber: Ja nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht. (Mt 26,3-5)

Während Jesus mit seinen Jüngern im vertrauten Gespräch ist, werden andernorts heimliche Gespräche geführt. Die Hohenpriester und Ältesten halten eine Versammlung ab, in der sie den Tod Jesu beschließen. Jetzt ist Jesus in Jerusalem, jetzt müssen sie zugreifen, bevor er wieder nach Galiläa geht und ihren Machtbereich verlässt. Doch wie sollen sie Jesus verhaften? Ihn einfach während seiner Reden abzuführen, würde einen Aufruhr im Volk auslösen. Das wollen sie verhindern. Die Stimmung in Jerusalem ist sowieso zum Paschafest schon aufgeheizt wegen all der Pilger, die in der Stadt sind. Doch es wird sich eine Lösung finden.

Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte zu ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat. (Mt 26,6-13)

Von der Versammlung, auf der Jesu Tod beschlossen wurde, wechselt der Evangelist die Perspektive wieder hin zu Jesus. Er hat mittlerweile mit seinen Jüngern die Stadt verlassen und ist im nahen Betanien bei Freunden eingekehrt. Der Gastgebet, Simon der Aussätzige, ist uns nicht weiter bekannt. Vielleicht aber war er den Menschen zur Zeit des Matthäus noch vertraut, weshalb er hier mit Namen genannt wird. Sein Beiname “der Aussätzige” rührt möglicherweise daher, dass er durch Jesus vom Aussatz geheilt worden ist und das Andenken daran bewahren und zugleich Zeugnis geben möchte von Jesu Wundertaten.

Wenn wir die Evangelien miteinander vergleichen, so merken wir, dass hier verschiedene Traditionen vorliegen. Matthäus benutzt die Markus-Vorlage, nach der Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen einkehrt, wo ihm eine nicht namentlich genannte Frau salbt. Nach dem Johannesevangelium begibt sich Jesus auch nach Betanien, kehrt dort aber bei seinen Freunden Marta, Maria und Lazarus ein, und es ist Maria, die ihn salbt. Lukas berichtet von der Salbung Jesu nicht im Zusammenhang mit der Passion sondern weit früher, während Jesu wirken in Galiläa. Auch dort geschieht die Salbung im Haus eines Simon, der aber als Pharisäer gekennzeichnet wird.

Wir sehen hier deutlich, wie die einzelnen Evangelisten mündlich überlieferte oder bereits schon schriftlich fixierte Berichte über Jesus verwenden und in ihre Evangelien einbauen. Die Salbung in Betanien im Rahmen der Passion als Vorausbild der Totensalbung Jesu zu sehen ist sinnvoll. Zugleich könnte der Streit um das vermeintlich sinnlos vergeudete Öl der Anlass dafür gewesen sein, dass Judas Iskariot endgültig entscheidet, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Johannes stellt diese These auf, während bei den anderen Evangelisten alle Jünger ihr Unverständnis über die Verschwendung des Öls äußern.

Sorge für die Armen oder sinnfreies Opfer, was ist wichtiger? Ich denke, diese Frage ist falsch gestellt, ebenso wie manche Kritik am Reichtum der Kirche unangebracht ist. Oft hört man Menschen sagen, die Kirche solle doch mehr den Armen geben anstatt prächtige Kirchen zu bauen oder wertvolle Kelche und Gewänder für den Gottesdienst anzuschaffen. Ich denke, beides hat seine Bedeutung. Verschwenderischer Reichtum steht der Kirche nicht zu. Das stimmt. Aber zur Ehre Gottes ist es angebracht, dass das Gotteshaus und die liturgischen Gewänder auch einen gewissen künstlerischen Wert haben. Hilfe für die Armen und liturgischer Schmuck haben beide eine wesentliche Bedeutung für die Kirche. Das eine geht nicht ohne das andere. Aber dennoch gilt bis heute der Satz des heiligen Diakons Laurentius: “Die Armen sind der wahre Schatz der Kirche.”

Palmsonntag

Als sich Jesus mit seinen Begleitern Jerusalem näherte … (Mt 21,1a)

Über zwei Kapitel hinweg hat uns Matthäus vom Weg Jesu mit seinen Jüngern nach Jerusalem berichtet. Nun sind sie am Ziel angekommen, Jerusalem, dem Zentrum des jüdischen Glaubens mit dem imposanten Tempel des Herodes. Galiläa war Provinz, weit weg von den Schaltstellen der Macht. Dort war Jesus weitgehend sicher. In Jerusalem aber sitzen die religiösen Führer der Juden, denen Jesus schon lange verdächtig ist, und auch die römische Besatzungsmacht ist hier stark präsent.

Jesus hat den Weg nach Jerusalem bewusst gewählt. Hier will Jesus bewusst Aufmerksamkeit erregen. Er zieht nicht heimlich in die Stadt ein, vielmehr wird es ein Triumphzug werden. In Jerusalem zeigt sich Jesus offen als Messias und fordert so die Menschen zur Entscheidung – für ihn oder gegen ihn. Es ist alles vorbereitet, Jesus weiß, wohin er seine Jünger schicken muss, um das passende Reittier zu besorgen.

… und nach Betfage am Ölberg kam, schickte er zwei Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los, und bringt sie zu mir! Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen.
Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers. (Mt 21,1b-5)

Jesus erfüllt, was der Prophet Sacharja (Sach 9,9) verheißen hat. Er ist der neue König von Israel, in dessen Reich Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Er kommt nicht stolz hoch zu Ross, sondern demütig auf einem Esel, wie es der Prophet angekündigt hat. Aber gerade durch die Erfüllung des Prophetenwortes lässt Jesus keinen Zweifel daran: er beansprucht die Herrschaft über die Stadt, er beansprucht die Herrschaft über die Herzen.

Die Jünger gingen und taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf der Straße aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. (Mt 21,6-8)

Bisher war Jesus nicht darauf aus, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen. Er hat seine Wunder im Verborgenen gewirkt, wollte nicht, dass die Menschen davon sprechen. Ihm ging es vor allem darum, einem konkreten Menschen zu helfen oder ein Zeichen zu geben, auf keinen Fall aber, selbst vor den Menschen groß dazustehen. Jedes Mal, wenn nach einem Wunder die Menge begeistert war, hat Jesus sie auf ein tieferes Geheimnis hingewiesen, woraufhin die Menge meist ratlos war.

Jesus ist bisher auch noch nie geritten, immer war er zu Fuß unterwegs. Doch nun ist es anders. Er lässt sich von den Menschen feiern. Er lässt zu, dass die Menschen ihn König, Sohn Davids, nennen. Doch auch hier ist es anders als es bei Königen normalerweise ist. Es sind nicht Soldaten, die ihm zujubeln, sondern einfache Menschen. Sie haben keine großen Geschenke. Sie breiten ihre Kleider über den Weg und reißen sich Zweige von den Bäumen ab zur Huldigung. Jesus reitet auf einem kleinen Esel, er ist der Friedenskönig. Er will sein Reich des Friedens auf der Erde errichten, das nicht mit Waffengewalt die Herrschaft über die Menschen durchsetzt, sondern in Liebe die Herzen aller Menschen vereint.

Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!
Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung, und man fragte: Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa. (Mt 21,9-11)

Alles ist gut vorbereitet. Jesus weiß, was er tut. Die Leute wissen es auch. Sein Einzug in Jerusalem bleibt nicht verborgen. Die ganze Stadt gerät in Aufregung und die Menschen strömen zusammen, um dem neuen König zu huldigen. “Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!”

Zu Recht waren sie ergriffen, als sie das wunderbare Geschehnis erblickten. Ein Mensch wurde wie Gott gepriesen, aber gleichzeitig wurde Gott im Menschen gepriesen. Ich glaube jedoch, dass selbst diejenigen, die die Loblieder sangen, nicht wussten, was sie priesen; vielmehr trat plötzlich der Geist in sie ein und goss ihnen Worte der Wahrheit ein. (Johannes Chrysostomus)

Anders als bei weltlichen Königen, denen man den Segen Gottes wünscht und für die man Gott bittet, dass ihr Handeln segensreich sein möge, geht von Jesus selbst das Heil aus. Kein irdischer Herrscher kann sich anmaßen, den Menschen das Heil zu bringen. Er kann durch eine segensreiche Regierung die Rahmenbedingungen für ein gutes Leben der Menschen herstellen, aber nicht deren Heil wirken. Doch Jesus bringt das Heil für den ganzen Menschen und für alle. Dieses Heil erlangt, wer sich der Herrschaft Gottes unterstellt.

Die Menschen geben Zeugnis von Jesus, als viele nicht wissen, wer hier so machtvoll in die Stadt einzieht. Das ist Jesus aus Nazaret in Galiläa, ein Prophet. Doch Jesus ist mehr als ein Prophet. In den folgenden Tagen wird er in Jerusalem durch seine Worte und Taten den Menschen zeigen, was die nun anbrechende Gottesherrschaft bedeutet. Und dann wird er seinen Thron besteigen und nach seinem Tod am Kreuz den ihm gebührenden Platz zur Rechten Gottes einnehmen.

Leben im Geist

Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt. Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm. (Röm 8,8-9)

Paulus nennt hier das Grundcharakteristikum christlichen Lebens: das Leben aus dem Geist. Das jüdische Gesetzt, über dessen Bedeutung Paulus in den vorangegangenen Kapiteln nachgedacht hat, blieb der menschlich-fleischlichen Ordnung verhaftet. Es hob den Menschen nicht über sich hinaus. Erst mit Christus ist etwas Neues geschehen. Er hat den Geist gesandt, und zwar unbegrenzt.

Zwar war Gottes Geist auch schon vorher am Werk, aber sein Wirken blieb auf einige wenige Menschen begrenzt. Der Geist wurde den Propheten und einigen anderen besonderen Menschen zuteil, aber nie dem ganzen Volk. So lesen wir im Alten Testament, dass er auch auf die Ältesten herabkam, die Mose als Stammesführer bestellt hatte.

Eine Ausnahme im Alten Testament stellt wahrscheinlich die Vision des Ezechiel dar, in der der Geist Gottes die in einer Ebene verstreuten Gebeine des Gottesvolkes neu belebt. Hier meint der Prophet die verzweifelten Israeliten in der Verbannung in Babylon, die durch Gottes Geist neue Kraft und neues Leben geschenkt bekommen. Doch das ist eine Vision. Die Wirklichkeit sah auch nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft anders aus. Erst Christus hat das erfüllt, was der Prophet geschaut hat. Erst mit Christus kam der Geist auf alle herab, wie wir im Neuen Testament vor allem in der Apostelgeschichte immer wieder lesen.

Das Erfüllt-Sein mit dem Heiligen Geist ist ein Wesensmerkmal der Christen. Doch ist dem auch so? Sehen wir nicht auch unter Christen das menschlich-fleischliche Element überwiegen? Schon Paulus kritisiert seine Gemeinden scharf, weil sie trotz ihrer Berufung zur Heiligkeit noch stark im Irdischen verhaftet geblieben sind, was beispielsweise erkennbar wird durch interne Streitigkeiten, Neid, Gier nach Macht und Reichtum oder einen unsittlichen Lebenswandel. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Ist das Leben aller Getauften aus dem Geist also nicht mehr als eine fromme Wunschvorstellung? Wie können wir Realität werden lassen, wozu wir berufen sind?

Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit. (Röm 8,10)

Die Worte des Paulus sind nicht leicht zu verstehen. Aber wir können eine Ahnung davon bekommen, was sie bedeuten. In der menschlich-fleischlichen Ordnung kümmern wir uns hauptsächlich um unseren Leib. Wir schauen darauf, dass wir einen guten Beruf haben, genug verdienen, damit wir uns auch möglichst viel leisten können und so ein möglichst komfortables Leben haben. Eine schöne Wohnung, schöne Kleidung, gutes Essen. Diese Dinge sind an sich nicht schlecht, bringen uns aber im Glauben nicht weiter, ja bergen das Risiko in sich, dass wir durch sie weiter in der Sünde verhaftet bleiben. Machen wir uns nichts vor. Unser Reichtum ist nur möglich, weil es auf der anderen Seite der Welt Armut gibt, Menschen, die sehr wenig verdienen, um das, was wir uns kaufen wollen, möglichst billig zu produzieren. Unser hoher Lebensstandard geht auf Kosten anderer Menschen und der Umwelt. Andere werden für unseren Komfort zahlen, Menschen, die schon jetzt von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und vor allem die nachfolgenden Generationen, denen wir eine zerstörte Natur hinterlassen. Welches Wort wäre also treffender für unsere Lebensform als das Wort Sünde?

Wenn wir aus dem Geist leben, dann verlieren die Werte dieser Welt an Bedeutung. Wir können zwar auch so nicht ohne Geld leben, aber wir werden uns nur das kaufen, was wir wirklich brauchen. Aber das bestimmt nicht mehr unser Denken, es ist eine Nebensache, die uns nicht weiter beschäftigt, weil wir wissen, dass Gott uns alles geben wird, was wir brauchen, wenn wir das unsere dazu tun. Vielmehr werden wir danach streben, Gott in allem zu verherrlichen, und seine Liebe in der Welt Wirklichkeit werden zu lassen.
Somit ist, wie Paulus schreibt, unser Leib tot. Nicht, weil wir ihn abgetötet haben, sondern weil uns seine Bedürfnisse nicht mehr beschäftigen, sondern wir ihre Erfüllung quasi nebenbei erledigen, ohne dass uns die Sorge darum die ganze Zeit beschäftigt.

Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt. (Röm 8,11)

Wenn wir in der neuen Ordnung des Geistes leben, dann haben wir ein neues Leben, ein Leben, das zwar von außen her sich nicht von dem Leben anderer Menschen unterscheidet, im Inneren aber sind wir grundlegend neu gestaltet. Der alte Mensch, der dem Irdischen verpflichtet war, ist tot. Der neue Mensch lebt aus dem Geist ein Leben der Gotteskindschaft, ein Leben, das bestimmt wird von der Liebe.

Wie ein solches Leben aussieht, können wir beispielsweise in der Bergpredigt nachlesen. Der neue Mensch verlässt sich ganz auf Gott, verzichtet darauf, über andere zu richten und andere zu verurteilen und lebt ganz aus der Liebe, einer Liebe, die auch vor dem Feind nicht Halt macht. Auch wenn wir als schwache Menschen wohl nie vollkommen aus der Liebe leben können, muss dies doch unser Ziel sein. Jeden Tag können wir aufs Neue damit beginnen. Jeden Tag können wir dem Geist Gottes mehr Raum in uns verschaffen, bis er irgendwann uns ganz mit seiner Kraft erfüllt.

Wenn wir als Christen so aus dem Geist leben, dann verschaffen wir unserer Botschaft, unserem Glauben neue Glaubwürdigkeit. Dann wird es uns gelingen, die Menschen um uns wieder mit dem Feuer des Geistes anzustecken und dann wird Gottes Liebe wieder mächtig sein in dieser Welt. Bitten wir Gott um den Mut, uns von seinem Geist leiten zu lassen.

Entfache dein Feuer, Geist des auferstandenen Christus, Geist des Mitleids, Geist des Lobpreises, deine Liebe zu jedem Menschen wird nie vergehen.
Geist des lebendigen Gottes, wenn Zweifel und Zögern, dich einzulassen, alles zu verschlingen scheinen, dann bist du da, dann bist du zugegen.
Du entfachst das Feuer, das inwendig unter unserer Asche glimmt. Du nährst dieses Feuer mit unseren Anfechtungen, mit unseren Dornen, mit allem, was uns an uns selbst und bei anderen wehtut, so dass durch dich sogar die Steine unseres Herzens verglühen, du Licht in unserer Finsternis, du Morgenglanz unserer Dunkelheit.
(Frere Roger Schutz)

Die Vision des Ezechiel

So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel. Wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole, dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin. Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig und ich bringe euch wieder in euer Land. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin. Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des Herrn. (Ez 37,12-14)

Der Prophet Ezechiel hat eine Vision. Der Herr führt ihn in eine Ebene voller Gebeine, ausgetrockneter Gebeine. Es erinnert uns an ein Schlachtfeld, in dem Leichen verstreut liegen. Ein erschütterndes Bild. Es ist das Bild für das Volk Israel in der Verbannung in Babylon. Das Volk siecht dahin. Die Menschen leben, aber sie sind wie tot. Trauer über den Verlust ihrer Heimat, Hoffnungslosigkeit angesichts des Lebens in der Fremde.
Ein Bild zugleich für die Vielen zu allen Zeiten, denen die Lebensfreude abhandengekommen ist, die nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen, die von einem Schicksalsschlag gezeichnet sind und keine Hoffnung mehr haben. Ausgetrocknet, innerlich verdorrt. Wie können solche Menschen wieder zum Leben finden? Fromme Sprüche helfen da wenig.
Gottes Geist vermag die vertrockneten Gebeine mit neuem Leben zu erfüllen, kann den Hoffnungslosen neuen Lebensmut geben. Gottes Geist wirkt machtvoll, dort wo kein Mensch mehr helfen kann. Gott wirkt. Gott schaut nicht von fern dem Elend der Menschen zu und bleibt abseits stehen. Gott greift ein. Gott gibt den Lebensgeist, macht die Gebeine lebendig mit Sehnen, Fleisch und Haut. Er schenkt erneut den Lebensatem, mit dem er schon den ersten Menschen lebendig gemacht hat.

Gott ist ein Gott des Lebens, ein Gott, der Leben schenkt, ein Gott, der den Tod besiegt, ein Gott, der den Menschen nicht im Stich lässt. Gott greift ein. Gott wirkt. Mit diesem Wirken Gottes dürfen wir immer rechnen.

Der Lebensquell des Volkes Israel ist der Glaube an den einen Gott und die Freude daran, im verheißenen Land zu leben. Beides war durch das Exil in Babylon in Frage gestellt worden. Gott schien sein Volk verlassen zu haben. Er hat es nicht vor den Feinden beschützt. Die Feinde haben das Volk Israel seines Landes beraubt und durch die Zerstörung des Tempels auch scheinbar ihres Gottes.

Doch im Exil wird Israel eine ganz neue Erfahrung machen: Gott ist bei seinem Volk auch in der Verbannung. Gott ist unter seinem Volk gegenwärtig, auch wenn es keinen Tempel mehr besitzt, in dessen Allerheiligstem das Volk sich die Gegenwart Gottes vorgestellt hat. Das heißt aber nicht, dass Heimat und Tempel verloren sind. Es wird eine Zeit kommen, in der Israel wieder in sein Land zurückkehren wird und auch den Tempel wieder aufbauen wird und Gott von neuem darin Wohnen wird.

Das Leben aus dem Geist ist nicht an Irdisches gebunden, das wird Paulus ausführlich im Römerbrief darlegen. Durch das Kommen Jesu Christi gibt Gott den Geist unbegrenzt. Jeder Mensch auf der ganzen Erde, egal, aus welchem Volk, egal aus welchem Land, kann aus dem Geist Gottes leben, wenn er an Jesus Christus glaubt und sich vom Geist Gottes leiten lässt.

Gottes Geist macht lebendig. Er macht sein Volk lebendig, das in der Verbannung in Babylon in Verzweiflung lebt, er wird auch die Kirche heute lebendig machen, die uns oft so vertrocknet und mutlos erscheint wie die Gebeine in der Vision des Ezechiel. Das kann überall dort Wirklichkeit werden, wo sich Menschen von Gottes Geist erfüllen und leiten lassen. Erbitten wir das mit dem bekannten Gebet:

Herr, erwecke deine Kirche
und fange bei mir an!
Herr, baue deine Gemeinde
und fange bei mir an!
Herr, lass Frieden überall auf Erden kommen
und fange bei mir an!
Herr, bringe deine Liebe
und Wahrheit zu allen Menschen
und fange bei mir an.

Auferweckung des Lazarus

Tod und Leid, Krankheit, der Verlust eines lieben Menschen, auch wir Christen bleiben von sogenannten Schicksalsschlägen nicht verschont. Wie Marta von Betanien beim Tod ihres Bruders Lazarus sagen auch wir oft:

“Herr, wärst du hier gewesen, dann …” (Joh 11,21)

Wo warst du Herr? Warum hast du das zugelassen? Warum ein so früher Tod? Sind wir nicht deine Freunde, wie es auch Maria, Marta und Lazarus waren? Wo ist deine Freundschaft, Herr, wo ist deine Liebe? Zeigst du dich so als unser Freund?

Wir verstehen oft Gottes Handeln nicht, sind verzweifelt. Mühsam versuchen wir, mit schweren Situationen fertig zu werden. Und da ist Jesu Wort:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. (Joh 11,25-26)

Herr, du sagst: Ich bin die Auferstehung, ich bin das Leben. Wer an mich glaubt wird leben, wer an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Was bedeutet das, Herr? Auch wir müssen sterben, sehen den Tod unserer Lieben, werden getroffen von Leid und Schicksalsschlägen.

Aber du führst uns den Weg hindurch, legst deine Hand auf uns wie ein Freund, sagst: Ich bin bei dir. Kein Weg ist zu dunkel, dass er nicht erhellt werden könnte von deinem Licht. Der Tod raubt uns das Leben, aber du schenkst es uns neu.

Du bist bei uns, lässt uns deine Nähe spüren, schenkst Wärme, da wo Kälte ist, Licht in der Finsternis, Leben im Tod. Wenn wir zweifelnd fragen, schenkst du uns ein Zeichen. Wir erkennen dich vielleicht nicht sofort, aber doch bist du da, lässt uns nicht allein.

Jesus, unser Freund, zeige uns das Leben, das du schenkst. Schenke uns Trost, wenn wir trauern und gib uns Hoffnung und die Kraft, aus dieser Hoffnung zu leben.