Gottes Heilige Nacht

19C_Weish-Nacht

Jene Nacht wurde unseren Vätern vorher angekündigt; denn sie sollten zuversichtlich sein und sicher wissen, welchen eidlichen Zusagen sie vertrauen konnten. So erwartete dein Volk die Rettung der Gerechten und den Untergang der Feinde. Während du die Gegner straftest, hast du uns zu dir gerufen und verherrlicht. Denn im Verborgenen feierten die frommen Söhne der Guten ihr Opferfest; sie verpflichteten sich einmütig auf das göttliche Gesetz, dass die Heiligen in gleicher Weise Güter wie Gefahren teilen sollten, und sangen schon im Voraus die Loblieder der Väter. (Weish 18,6-9)

Die Nacht, von der hier die Rede ist, ist die Nacht des Auszugs Israels aus Ägypten, der den Höhepunkt von Gottes Rettungstat an Israel darstellt. Das Pessach-Fest, das in dieser Nacht gefeiert wurde, ist bis heute das höchste Fest des Judentums. Vorangegangen waren lange, erfolglose Verhandlungen zwischen Mose und dem Pharao. Gott hat Ägypten mit vielen Plagen gestraft, doch immer wieder hat der Pharao seine Zustimmung zum Auszug Israels aus Ägypten widerrufen.

Im Kapitel 12 des Buches Exodus gibt Gott durch Mose dem Volk detaillierte Anweisungen, wie das Pessach-Fest begangen werden soll. Das Volk soll es feiern in Bereitschaft zum Aufbruch, die Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen. Es wird gefeiert als Mahl in der Familie. Während jedoch die Juden feiern, geht Gottes Würgeengel im Land Ägypten um und tötet alle Erstgeburt der Ägypter. Erst dieses grausame Ereignis veranlasst die Ägypter, Israel endlich aus dem Frondienst zu entlassen und in das gelobte Land ziehen zu lassen.

Die Nacht des Heils für das Volk Israel wird zugleich zu einer Nacht des Schreckens für Ägypten. Bis heute können wir nicht verstehen, warum Gott diesen Weg gegangen ist, um sein Volk zu befreien. Doch alle anderen Plagen, mit denen Ägypten geschlagen wurde und die großes Leid über das Volk gebracht haben, konnten das Herz des Pharao nicht erweichen. Er blieb hart und deshalb kam es zum Äußersten, daher mussten Unschuldige sterben.

Den neuen Bund, in den wir als Christen mit Gott stehen, schließt Gott nicht mehr mit dem Blut Unschuldiger. Hier macht sich Gott selbst zum Opfer für die Sünden der Menschen, wie wir im Exsultet der Osternacht singen:

O unfassbare Liebe des Vaters: Um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin!

Auch wir Christen feiern in dieser Nacht unsere Befreiung. In deutlichen Anklängen an den Exodus Israels heißt es im Exsultet, dem großen Osterlob:

Gekommen ist das heilige Osterfest, an dem das wahre Lamm geschlachtet ward, dessen Blut die Türen der Gläubigen heiligt und das Volk bewahrt vor Tod und Verderben.

Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hat.

Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat.

Dies ist die Nacht, die auf der ganzen Erde alle, die an Christus glauben, scheidet von den Lastern der Welt, dem Elend der Sünde entreißt, ins Reich der Gnade heimführt und einfügt in die heilige Kirche.

In der Nacht geschieht Großes, Außergewöhnliches. Der Tag ist zum Arbeiten da, Alltag sagen wir. Da sind wir eingebunden in die gewöhnlichen Abläufe unseres Lebens. In der Nacht erholen wir uns vom Tag, der Schlaf gibt uns neue Kraft. Doch auch im Schlaf geschieht etwas, wir haben Träume, unser Gehirn verarbeitet die Eindrücke des Tages, manchmal finden wir im Schlaf der Nacht die Lösung eines Problems, über das wir am Tag vergeblich nachgedacht haben.

In der Nacht aber geschehen auch entscheidende Ereignisse. Wenn andere schlafen, kann unbeobachtet geschehen, was tagsüber nicht möglich ist. Nicht nur Diebe nutzen die Ruhe der Nacht. Wer mit anderen gemeinsam wacht, kann Erfahrungen machen, die am Tag nicht möglich sind. Viele große Heilige haben die Nächte im Gebet verbracht und so zu einer besonderen Begegnung mit Gott gefunden.

In der Nacht zu wachen ist mühsam, wir sind es gewohnt, zu schlafen. Wir brauchen unseren Schlaf. Aber doch gibt es Nächte, in denen es sich lohnt, zu wachen, weil wir sonst Entscheidendes verpassen. Gottes Volk hat im Verborgenen das Pessach-Fest gefeiert. Die Israeliten haben sich darauf vorbereitet, die Ägypter wussten von nichts. So entstand eine Gemeinschaft, ein Bund der Wachenden mit Gott. Und dem gemeinsamen Mahl folgte der Aufbruch.

Gott schläft nie. Gott ist immer da, gegenwärtig. Wenn die Geräusche des Tages verklingen, kann in der Stille der Nacht eine besondere Begegnung mit Gott geschehen. Im Großen und im Kleinen, vorbereitet und unvorbereitet, allein oder in Gemeinschaft, die Nacht bietet immer die Möglichkeit, tiefer mit Gott in Beziehung zu treten. Vielleicht hilft uns dieser Gedanke auch dann, wenn wir einmal eine unbeabsichtigt schlaflose Nacht haben.

Eine schlaflose Nacht ist immer eine lästige Sache. Aber sie ist erträglich, wenn man gute Gedanken hat. Wenn man daliegt und nicht schläft, ist man leicht ärgerlich und denkt an ärgerliche Dinge. Aber man kann auch seinen Willen brauchen und Gutes denken. (Hermann Hesse)