Psalm 23 – Der Gute Hirte (2)

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Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Der Beter des Psalms weiß, dass im Leben nicht alles glatt geht, dass es auch dunkle Schluchten zu durchwandern gilt. Der Weg führt weg von der Weide ins dunkle Tal. Die hebräische Formulierung lässt keinen Zweifel, woran der Beter denkt: An das Tal der Todesschatten, an den Tod selbst. Auch in dieser ausweglosen Situation hat der Beter keine Angst, weil er sich bei Gott weiß. Diese Nähe Gottes kommt auch sprachlich zum Ausdruck. Die Anrede Gottes wechselt plötzlich vom Er zum Du. Aus dem eher ungleichen und unpersönlichen Verhältnis des Schafes zu seinem Hirten ist ein persönliches Verhältnis der Freundschaft mit Gott geworden.

Der Weg durch die Finsternis schweißt zusammen. Viele Heilige haben Gott erst im Dunkel besonders erfahren, sie mussten einen Zustand der scheinbaren Gottferne durchschreiten, um Gottes Nähe zu entdecken. Auch von menschlichen Freundschaften kennen wir dies, dass eine tiefe Nähe gerade bei Extremsituationen entsteht. Hier zeigt sich auch der wahre Freund, mit dem man durch Dick und Dünn gehen kann.

Selbst in der tiefen dunklen Schlucht fürchtet sich der Beter nicht. Stock und Stab sind Keule und Hirtenstab des orientalischen Hirten. Die Keule ist da, um wilde Tiere zu vertreiben, mit dem krummen Hirtenstab angelt der Hirt das Schaf herbei, das vom Weg abgerät. So kommt die Herde sicher durch die Schlucht und wie wir gleich sehen werden, erwartet sie danach etwas, das noch herrlicher ist als die schönsten Weiden, auf denen sie bisher gelagert haben.

Der Weg durch die finstere Schlucht ist wichtig für unser Leben. Wir können auf der saftigen Weide bleiben und es uns dort gemütlich machen. Dann werden wir aber nie entdecken, was hinter dem nächsten Hügel ist. Mag sein, dass vielen Menschen die eigenen vier Wände genug sind. Was braucht man mehr? Unsere moderne Konsum- und Unterhaltungsgesellschaft gaukelt uns ja vor, dass dies die größte Erfüllung ist. Viele wollen uns zu Menschen machen, die einfach nur Konsumieren, sich berieseln lassen und damit zufrieden sind.

Wer mehr sehen will, wir gefährlich. Wer aufbricht und sich auf den Weg macht, kann Dinge entdecken, die ihn unruhig werden lassen. Wer nicht aufbricht, bleibt das dumme Schaf. Erst wer aufbricht wird zum Freund und Partner Gottes, der mit ihm die Welt gestaltet und Gottes Schöpfung denen entreißt, die sie plündern und zerstören. Nur wer aufbricht kann zur Fülle des Lebens finden, das Gott in die Schöpfung gelegt hat und wer den Grund dieses einmal entdeckt hat, wird alles daran setzen, es zu schützen und zu bewahren vor den Feinden des Lebens.

Mit Gott gelingt uns der Aufbruch. Er ist bei uns. Stehen wir auf. Gehen wir. Wir kennen den Weg nicht. Er führt uns durch unbekannte Landschaften. Es ist ein enger und schwerer Weg. Aber Gott geht mit uns. Er kennt das Ziel. Wenn wir uns von ihm leiten lassen, werden wir selbst unsere Erfüllung finden.

Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.

Nun wechselt die Perspektive des Psalms. Zunächst hat der Beter die Fürsorge Gottes als des guten Hirten erfahren. Dann ist er mit Gott durch die finstere Schlucht gewandert und aus dem eher unpersönlich für ihn sorgenden Gott ist die Erfahrung eines Gottes geworden, der ein Freund und Begleiter ist, ein lebendiges Du, das mit dem Beter den Weg des Lebens geht. Die neu erfahrene Nähe Gottes zeigt sich im Bild der Gastfreundschaft, bei dem der Beter Geborgenheit findet, und zwar für immer.

Als guter Gastgeber beschützt Gott den Beter vor seinen Feinden und bereitet ihm ein reiches Mahl. Wie es Brauch ist, salbt er den Gast mit Öl, was zum einen ein Reinigungsritual ist, zum anderen aber auch die Würde des Gastes betont. Könige und Propheten werden gesalbt. Gott gibt dem Menschen Anteil an seiner Würde. Indem der Mensch sich von Gott leiten – regieren, oder auch dirigieren – lässt (im Anklang an Vers 1), wird er selbst zu einem, der andere leiten kann. Nun gibt es nicht mehr nur frisches Grün und sprudelndes Wasser, sondern köstliches Speisen und kostbaren Wein.

Zugleich bringt dieser Vers aber ein Bild, das uns leicht irritiert. Es ist von den Feinden die Rede, vor deren Augen das alles geschieht. Warum reicht es nicht, dass Gott den Beter so beschenkt? Warum muss hier noch besonders zur Sprache kommen, dass er es vor den Augen der Feinde tut? Wir haben im letzten Abschnitt bereits gesehen, dass derjenige, der sich mit Gott auf den Weg macht, anecken wird, weil es viele gibt, die ihn nicht verstehen, oder mehr noch, die ihn von diesem Weg abhalten möchten.

Für den Beter des Psalms sind die Feinde eine nicht wegzudenkende Realität. Israel war schon immer von Feinden umgeben, die es bedroht haben. Aber Gott beschützt sein Volk, er schützt jeden Menschen, der ihm vertraut. Die Feinde können ihm nichts anhaben, ja mehr noch, Gott wird ihn vor ihren Augen erhöhen. Was kann dies besser schildern als das Bild von einem Menschen, der in Ruhe am gedeckten Tisch sitzt und es sich schmecken lässt, während rings herum die Feinde toben, aber nicht an ihn heran kommen. Er sitzt wie hinter einer unzerstörbaren Glasscheibe, die ihn von den Feinden trennt.

Als Glaubende haben wir schon hier in dieser Zeit Anteil an Gottes ewigem Reich. Wir sind Kinder Gottes und gehören damit seinsmäßig zu einer anderen Wirklichkeit. Die Kinder dieser Welt können den Kindern Gottes zwar äußerlich Schaden zufügen, sie aber nicht wirklich besiegen. Das zeigen und die Märtyrer. Zwar mussten sie große Schmerzen leiden und wurden grausam hingerichtet, aber man konnte ihnen ihr Vertrauen auf Gott nicht nehmen. Ihre Peiniger konnten ihr Leben nicht auslöschen, denn nicht das irdische Leben ist ihr höchstes Gut, sondern das ewige Leben, und in dieses sind sie sicher hinübergegangen. Sie saßen, um im Bild des Psalms zu bleiben, bereits voller Freude beim himmlischen Gastmahl, während die Feinde an ihnen die grausame Marter vollzogen. So wird das Bild der Salbung auch zum Zeichen des Sieges, den Gott dem Beter schenkt.

Die Salbung mit Öl ist eine rituelle Handlung. Der Gesalbte ist Priester und König. Priestertum und Königtum im Sinne der Schrift sind nicht zunächst Funktionen, sondern Seinsweisen. Der Gesalbte gehört der göttlichen Sphäre an, nimmt teil an den Gesetzen der göttlichen Welt und an ihrer Grundverfassung: der Freude. Königlich ist die Tafel, an der er Platz nimmt, königlich der Becher.

(Robert Spaemann)

Die Christen haben dann auch schon sehr früh diesen Vers des Psalms auf die Eucharistie gedeutet. Hier haben die Menschen schon in dieser Welt Anteil am himmlischen Hochzeitsmahl.

Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.

Der letzte Vers des Psalms nimmt Bezug auf den Anfang und überbietet ihn zugleich. Der Beter ist nicht mehr das vom Hirten umsorgte Schaf, dem es auf seiner Weide gut geht, das aber vielleicht doch einmal geschlachtet wird. Er ist auch mehr als der im vorhergehenden Vers gezeigte Gast, der die Fürsorge des Gastgebers genießt. Der Beter ist vielmehr zum Freund Gottes geworden. Er sitzt mit Gott zu Tisch und zwar nicht nur für drei Tage, wie es der Pflicht des Gastgebers entspricht, sondern viele Tage lang, was so viel bedeutet wie unbegrenzt.

Es sind jetzt auch nicht nur die einen oder anderen Dinge, und mögen sie noch so schön und nützlich sein, die er bekommt. Wir sehen hier nochmals eine Seigerung. Sind zuvor aus frischem Grün und fließendem Wasser ein köstliches Mahl und erlesener Wein geworden, so sind es nun Gottes Güte und Huld, die dem Beter geschenkt werden. Nahrung brauchen wir zum Überleben, aber Gottes Güte und Huld schenken uns Leben, wahres, unvergängliches Leben, Leben in Fülle.

So will uns der Beter zeigen, was das Entscheidende im Leben ist. Die begehrenswertesten materiellen Güter verblassen angesichts dessen, was Gott uns schenken kann. Sie übertreffen das Vorausgehende nicht allein in ihrer Unvergänglichkeit. Es ist alles, was ein Mensch sich erhoffen kann. Gott schenkt sich ihm selbst aus der Fülle seines Herzens. Bei Gott darf ich wohnen, mit ihm sein und seine Zuneigung genießen – unvergänglich in Ewigkeit.

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