Gott wohnt unter den Menschen

Joh_14_Wohnen

Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. (Joh 14,23)

Die Liebe zu Jesus lässt uns an seinem Wort und seinen Geboten festhalten. Das betont Jesus immer wieder. Wenn wir seine Gebote halten, wird er den Vater bitten, und er wird uns den Geist als Beistand senden, so hat Jesus einige Sätze vorher gesagt. Nun verheißt er noch mehr: Er selbst wird mit dem Vater kommen und in dem Menschen wohnen, der liebt. Die Liebe ist das Band zwischen Gott und Mensch, sie vereinigt den Himmel mit der Erde. Wer nicht liebt, der ist nur Welt, gedacht als Gottferne und Raum der Mühsal und Bedrängnis. Wer aber liebt, in dem ist Gottes Reich gegenwärtig.

Der Geliebte Sohn zu werden, das bedeutet, die Wahrheit Fleisch werden lassen, dass wir geliebt werden, und zwar in restlos allem, was wir denken, sagen oder tun. Das setzt einen langen und mühsamen Prozess der Aneignung oder besser: der Fleischwerdung voraus.

Diese Worte von Henry Nouwen, dem großen Schriftsteller, der immer wieder von diesem Einswerden als Geliebter mit dem liebenden Gott schreibt, zeigen, dass eine rein äußerliche Aufnahme dieser Worte Jesu noch nichts bringt. Wir müssen und von diesen Worten Jesu ganz durchdringen lassen, sie leben und in uns lebendig werden lassen. Das geht nur durch das Feuer des Heiligen Geistes. Er kommt zuerst und bereitet den Boden für das Kommen des Vaters und des Sohnes. Er gewöhnt uns an das Feuer, dass Gottes Liebe uns nicht verbrennt.

Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. (Joh 14,27)

Jesus verheißt seinen Jüngern den Frieden. Als der Auferstandene wird zuerst den Jüngern den Frieden zusprechen. In jeder Messe wird dieses Wort Jesu lebendig. Wir wünschen einander Frieden. Aber wo ist der Frieden in unserer Welt?

Aller Unfriede auf Erden, ob es Streitigkeiten in der Familie oder Kriege zwischen den Völkern sind, hat seinen tiefsten Ursprung in dem gestörten Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer, in der Sünde. Der Mensch, der nicht Geschöpf, sondern selber Schöpfer sein will, lehnt sich nicht nur gegen seinen Schöpfer auf, er schafft zugleich Spaltung in der Menschheit, wird zum Anstifter des Unfriedens und damit verantwortlich für unsagbares Leid.

Wir erkennen die Wahrheit dieser Worte, wenn wir auf unsere Welt blicken. Ist es nicht eine falsche und krankhafte Form der Selbstverwirklichung des Menschen, die so viel Leid über die Erde bringt? Ist es nicht die Undankbarkeit dem Schöpfer gegenüber und die Gier nach Reichtum, die unsere Erde immer mehr an den Rand des Untergangs bringt? Ist es nicht die Machtgier einiger weniger, die ganze Völker in den Abgrund reißt?

Herr, gib und deinen Frieden! Gib der Welt deinen Frieden! Mach uns zu Werkzeugen deines Friedens, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Lass mich Frieden bringen in meiner Umgebung. Lass mich stets freundlich und hilfsbereit sein, schenke mir Geduld, dass ich nicht zornig werde wegen Kleinigkeiten.

Friede kommt von Gott. Das lehrt uns auch der große Friedensheilige, Bruder Klaus von der Flüe. Das Bild vom Rad wird für ihn ein Bild des göttlichen Friedens. Bei einem Rad gibt es die Nabe mit einem Punkt in der Mitte, den Reifen und sechs Speichen, die Nabe und Reifen verbinden. Dazu erklärt Bruder Klaus:

In dieser Figur sehe ich das Wesen Gottes, seine unendliche Lebensfülle. Im Mittelpunkt ist die ungeteilte Gottheit, umgeben von der Gemeinschaft der Heiligen. Von diesem Mittelpunkt gehen drei Personen aus, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Sie umgreifen Himmel und Erde, Dinge und Menschen, durchdringen das All und halten es in ihrer Hand. Und wie sie vom innersten Geheimnis ausgehen, so kehren sie wieder dorthin zurück – in die ‚unteilbare Macht.’

Die Worte von Bruder Klaus sind kurz und bündig. Und doch lassen sie die Ergriffenheit durchscheinen, mit der er beim Geheimnis des Dreifaltigen Gottes verweilt. In der Zeichnung sieht er kein trockenes Schema, sondern erlebt die unfassbare Lebensfülle Gottes.

Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede.

Bruder Klaus weiß um die Liebe Gottes, die aus dem innersten Geheimnis heraus bricht und die ganze Welt erfüllt. Er kennt das Wort „Gott ist die Liebe“. Aber Bruder Klaus macht noch eine weitere, persönliche Erfahrung: Der in drei Personen auseinandergefaltete Gott kehrt wieder zurück in die unteilbare Einheit. Wenn aber der ‚Dreifaltige’ Gott zum ‚Drei-einigen’ Gott wird, dann hat das mit Frieden zu tun. Bruder Klaus erlebt diese Wirklichkeit Gottes, den Gott des Friedens, ganz tief. Der Mystiker tut gewissermaßen einen Blick in den Himmel und sieht Gott als Urgrund des Friedens. Diesem Gott ist er begegnet.

Offenbarung des Johannes (5)

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Wasser ist lebensnotwendig. Wie einst die vier Ströme vom Paradies aus die ganze Erde bewässert haben, so war es später der Strom der Tempelquelle, der in der Vision des Ezechiel der Welt das Wasser des Lebens gebracht hat. Die Neue Welt Gottes zeichnet eine bisher nicht gekannte Gottesunmittelbarkeit aus. So geht auch das Wasser des Lebens unmittelbar von Gott aus. Es ist rein und klar. Es fließt durch die ganze Stadt und wohin es fließt, da erblüht das Leben.

Lebensbäume stehen in Hülle und Fülle am Ufer des Stroms und tragen überreich Früchte. Sie dienen zur Nahrung, nicht für ein vergängliches Leben, sondern für die Ewigkeit und ihre Blätter bringen Heilung. Dieses Bild macht deutlich, dass die neue Welt Gottes doch Ähnlichkeiten mit der bisherigen Welt aufweist. Die Menschen werden auch dort Wasser zu Leben und Nahrung brauchen, aber wie im Paradies wird alles wie von selbst da sein und muss nicht erst mühsam erarbeitet werden.

Hier finden wir auch eine Antwort auf die Frage, warum Gott in dieser Welt den Tod zulässt. Im Paradies gab es auch einen Lebensbaum. Seine Früchte hätten den Menschen schon damals Unsterblichkeit verliehen. Aber mit der Vertreibung aus dem Paradies, hat der Mensch auch den Zugang zu diesem Baum verloren. Nun gibt Gott den Menschen unbegrenzten Anteil am Baum des Lebens. Und wenn es doch eine Krankheit geben sollte, so schenken die Blätter des Lebensbaumes augenblicklich Heilung.

Nun wird es nichts mehr geben, was der Fluch Gottes trifft. Gott wird über die Stadt herrschen und alle werden ihm bereitwillig dienen. Es ist eine gerechte Herrschaft, die allen Bewohnern wahres Glück und unvergänglichen Wohlstand gewährt. Alle werden stehen im ewigen Licht Gottes, das auf alle segenspendend scheint ohne Nacht und Finsternis.

Komm, Herr Jesus!

Mit diesem sehnsüchtigen Ruf endet die Offenbarung des Johannes, nachdem der Seher uns den Blick geöffnet hat für die Geheimnisse der irdischen und der himmlischen Welt. Auch Paulus überliefert uns am Ende des Ersten Korintherbriefes diesen Gebetsruf der frühen Kirche:

Marana tha – Unser Herr, komm!

Sehnsüchtig erwartet die Kirche seit dem Fortgang des Herrn bei seiner Himmelfahrt seine Wiederkunft.

Erwarten auch wir den wiederkommenden Herrn, oder haben wir es uns in dieser Welt bequem eingerichtet, dass wir uns von ihm jetzt nicht unbedingt stören lassen möchten?

Bald sollte das Kommen des Herrn erfolgen, doch nun sind schon fast 2000 Jahre seit diesen Ereignissen vergangen. Wo bleibt der Herr? Sicher war seine Verheißung nicht Lug und Trug. Auch wenn sein endgültiges Kommen noch aussteht, so erfahren wir doch stets Zeichen seiner Gegenwart, die uns deutlich machen, dass der Herr schon jetzt mitten unter uns ist.

Wir vereinen uns mit der frühen Kirche im Gebet um den Heiligen Geist. Der Geist ist es, der in uns und durch uns ruft: Komm Herr Jesus. Er macht uns bereit, für das Kommen des Herrn. Wie einst der Geist bei jenem ersten Pfingsten die Zungen der Jünger löste und sie zum Zeugnis befreite, so ersehnen auch wir den Geist, dass er uns in alle Wahrheit einführt und zu Zeugen Jesu Christi macht.

Nicht erst jenes letzte Kommen des Herrn ist entscheidend, sondern stets ist sein Kommen in die Mitte der Kirche und in das Herz jedes Menschen von größter Bedeutung. Dafür wollen wir uns bereiten, darum wollen wir beten und dieses Kommen ersehnen.

Offenbarung des Johannes (4)

Offb_21_02_Neues-Jerusalem

In den beiden letzten Kapiteln der Offenbarung wird dem Seher Johannes die Schau der neuen Welt Gottes zuteil. Bisher waren seine Visionen geprägt vom Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und seinen Getreuen und dem Tier und seinen Verbündeten. Die Gläubigen hatten vieles zu leiden. Doch immer wieder ist die Herrlichkeit Gottes zum Durchbruch gekommen, bis schließlich Gericht gehalten wurde über die gottfeindlichen Mächte.

Nun kommt etwas ganz Neues. Die alte Erde mit ihren Schauplätzen von Krieg, Gewalt und Katastrophen ist endgültig Vergangenheit. Es braucht sich keiner mehr an diese Zeit zu erinnern. Es wird kein Trauma bleiben. Alle Wunden werden geheilt, alle Tränen abgewischt. Auch das Meer als bedrohende Macht, aus dem das gotteslästerliche Tier hervorgegangen ist, als Wohnung von Seeungeheuern, wie es uns das Alte Testament vorstellt, ist nicht mehr.

2Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. 3Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein.

Die Stadt Gottes ist geschmückt wie eine Braut, die ihren Bräutigam empfängt. Kein Bild kann die neue innige Beziehung zwischen Gott und den Menschen besser zum Ausdruck bringen, als das Bild der Ehe. Im Alten Testament zeigten die Propheten Gott als Bräutigam, der um seine Braut wirbt, die ihm untreu wurde und anderen Göttern nachlief, die er aber mit unendlicher Liebe liebt. Nun erfüllt sich diese Liebe. Nun wird Gottes Liebe offenbar und kein Mensch wird sich je nach einer anderen Liebe sehnen, weil Gottes Liebe höchste und unendliche Erfüllung schenkt.

Gott wird mitten unter den Menschen wohnen. Schon im Judentum war die Einwohnung Gottes in seiner Schöpfung, die Schekhina, von großer Bedeutung. Zunächst hat Mose beim Auszug aus Ägypten auf Anordnung Gottes das Bundeszelt errichtet, als Ort der Begegnung mit Gott. Als die Israeliten im Heiligen Land sesshaft wurden, entstanden mehrere Heiligtümer. Zentrale Bedeutung hat der Tempel in Jerusalem erlangt. Das Allerheiligste im Tempel war aus Sicht der Juden der Ort der Einwohnung Gottes in dieser Welt.

Mit Christus ist Gott selbst in diese Welt gekommen. Christus ist der Beginn von etwas ganz Neuem. Nun ist das Reich Gottes gekommen, die Endzeit ist angebrochen und wir warten auf die Wiederkunft Christi. Christus hat nach seinem Tod und seiner Auferstehung die Welt nicht einfach wieder verlassen, sondern hat den Heiligen Geist gesandt und der Kirche die Sakramente geschenkt als Zeichen seiner Gegenwart. So bleibt Gott uns nahe in dieser Welt. Ganz besonders wird dies in der Eucharistie deutlich.
In der Offenbarung heißt es: Seht das Zelt Gottes unter den Menschen. Hier steht im lateinischen Text das Wort tabernaculum. Wenn es auch viele Orte der Gegenwart Gottes in dieser Welt gibt, so ist doch seine Gegenwart in den Tabernakeln unserer Kirchen ein ganz besonderes Zeichen dieses Wohnen Gottes mit den Menschen in seiner Schöpfung. Es zeigt uns, dass die Verheißung der Offenbarung sich nicht nur auf die Zukunft bezieht, sondern jetzt schon Wirklichkeit ist.

Liebe und Eucharistie gehören untrennbar zusammen, wie uns Jesus beim letzten Abendmahl deutlich gemacht hat. So wird das Wohnen Gottes in seiner Schöpfung da in ganz besonderer Weise Wirklichkeit, wo Menschen in Liebe vereint sind. Das ist geschieht, wenn die christliche Gemeinde zum Gottesdienst zusammenkommt, aber auch überall dort, wo sich Menschen im Alltag in Liebe begegnen. Durch unser christliches Dasein und Tun können wir überall Zeichen der Gegenwart Gottes setzen.

Offenbarung des Johannes (3)

Allerheiligen_11

In Gottes Hand befindet sich eine Buchrolle. Sie ist mit sieben Siegeln versehen und niemand vermag es, diese Siegel zu öffnen, bist Christus auftritt. Er erscheint als Lamm, wie geschlachtet und doch lebendig. Er ist es, der allein die sieben Siegel lösen kann, mit denen das Buch dieser Welt versiegelt ist. Alles, was sich nun in den folgenden Kapiteln bis zur Schau der Neuen Welt Gottes im 21. Kapitel abspielt, zeigt diese Entsiegelung der Geschichte in immer neuen Bildern, die auseinander hervor und ineinander übergehen.

Die Öffnung der ersten vier Siegel macht die Übel der Welt offenbar. Es erscheint ein Reiter, der auszieht, um zu siegen, doch sein Sieg ist nicht von Dauer, ein zweiter Reiter macht ihm den Sieg streitig und Krieg kommt über die ganze Erde und bringt in Gestalt zweier weiterer Reiter die Übel von Hungersnot und Tod mit sich. Das fünfte Sigel offenbart die Leidenden, die sehnsüchtig auf Erlösung hoffen, und die Öffnung des sechsten Siegels lässt die Ordnung der Welt zusammen brechen.

Hans Urs von Balthasar fasst dies mit folgender Deutung zusammen:

Wenn das Lamm die Siegel zu öffnen beginnt, dann enthüllt sich zuerst die Schöpfung, nicht wie sie in der Idee Gottes, sondern wie sie in sich selbst ist, mit ihrem ganzen, auch von der Freiheit des Menschen mitbestimmten Realismus. Auf eine einzige Formel ist dieser nicht zu bringen, daher erscheint er auch vierfach anvisiert in den vier nacheinander auftauchenden Reitern. Jeder für sich verkörpert einen Aspekt der Welt. …

Um die Vierzahl zur Siebenzahl zu ergänzen, bedarf es noch der Öffnung der letzten drei Siegel. Diese betreffen nicht mehr die Welt, sondern die konkrete Geschichte der Menschheit. Und diese Geschichte wird selber konkret erst durch die Konfrontation der Gewalttätigkeit und des Unrechts in ihr mit dem letzten Prinzip der Geschichte, dem Lamm, das seinem Wesen nach keinen Pakt und Vergleich mit Gewalt und Unrecht eingehen kann.

Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang. Und ich sah: Sieben Engel standen vor Gott; ihnen wurden sieben Posaunen gegeben. (Offb 8,1-2)

Stille herrscht, als das Lamm das siebte Siegel öffnet. Es ist die Stille der Vollendung, gleich dem siebten Schöpfungstag.

Es ist das Eigenartige, und für die Apokalypse Bezeichnende: das Siebte ist nicht Fortsetzung des Bisherigen, sondern wie der Sabbat nach sechs Schöpfungstagen ein Ende, das aus sich selbst die folgenden Sieben entlässt. Jetzt sind es die richtenden Strafen Gottes über die schuldige Welt. Wieder stehen die ersten vier für sich, sie wirken sich vorwiegend an der Natur aus. Die drei Übrigbleibenden werden als die drei Weh über die Menschheit ausgerufen.

(Hans Urs von Balthasar)

Die vier ersten Posaunen bringen Naturkatastrophen über die Erde, Hagel und Feuer, die Verseuchung des Meeres und der Flüsse und Quellen an Land, und schließlich eine Verdunkelung der Himmelslichter. Mit der fünften Posaune bringt ein gewaltiger Schwarm riesenhafter Heuschrecken Not und Verderben über die Menschen und mit der sechsten Posaune kommen Reiter auf tobenden Pferden hervor, die mit Feuer, Rauch und Schwefel den Tod bringen.

Im zehnten Kapitel tritt ein Engel an Johannes heran und gibt ihm ein Buch zu essen. Danach wird ihm aufgetragen, den Tempel zu vermessen und es werden zwei Zeugen gesandt, die auftreten, um die Menschen zu warnen. Nun ist die Zeit endgültig knapp geworden, denn in Kürze wird mit der dritten Posaune endgültig Gottes Herrschaft über die Erde anbrechen und alles vergehen, was sich gegen Gott entschieden hat.

Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang. (Offb 12,1-6)

Mit dem Ertönen der dritten Posaune öffnet sich der Blick auf das messianische Geschehen der Endzeit. Die Frau, die gebären wird, ist zum einen Bild für das Volk Israel, das erwählte Volk, aus dem der Messias hervorgegangen ist. Es ist aber auch ein Bild für Maria, die als Vertreterin ganz Israels konkret den Messias geboren hat. Ihr Kind ist Christus, aber zugleich auch das neue Volk Gottes, das Christus gegründet hat, die Kirche. Maria ist so auch Mutter der Kirche.

Im Himmel aber entsteht ein Kampf, der auch Auswirkungen auf die Erde hat. Der Drache, der gegen die Frau und ihr Kind kämpft ist Satan, der sich gegen Gott erhoben hat und von Michael und seinem Engelsheer gestürzt und auf die Erde geworfen wurde. Hier führt er nun den Kampf weiter gegen die Kinder Gottes. Da er im Himmel nicht über Gott siegen konnte, so will er wenigstens auf Erden Gottes Diener vernichten.

Mit zwei Tieren, den Lügenpropheten, die aus der Urgewalt des Meeres aufsteigen (in Kapitel 21 werden wir sehen, dass in der neuen Welt Gottes kein Platz mehr sein wird für dieses bedrohliche Weltmeer), bringt der Satan seine gottwidrige Botschaft über die Menschheit. Viele lassen sich verführen. Aber auch Gott sammelt seine Getreuen unter der Führung des Lammes vom Zion her.

Gottes Engel schwärmen aus, um der Erde Gottes Botschaft zu bringen. Alle Menschen können sie hören. Alle haben noch einmal die Möglichkeit, sich zu bekehren. keiner wird sagen können, er habe nichts von Gott gewusst, wenn der Menschensohn kommt, um die Welt zu richten, um ihre Trauben zu ernten und die Kelter des Zornes Gottes zu treten.

Mit den sieben letzten Plagen kommt noch einmal eine große Not über die Welt. Doch die Menschen verstehen nicht den Sinn, dass Gott ihnen damit eine letzte Warnung zur Umkehr geben will.

In zwei Kapiteln (17 und 18) wird das Gericht über die Hure Babylon geschildert. Diese Stadt steht symbolisch für den Inbegriff des Bösen, für alle Unzucht und für alle Gräuel, die Menschen je begangen haben, für den Kampf gegen die Heiligen Gottes, von deren Blut sie trunken ist. Sie ist das Gegenbild der Frau, die den Messias geboren hat, der Mutter der Kinder Gottes. Die ganze Welt klagt über den Untergang Babylons, aber ihre Vernichtung bedeutet die Bezwingung der letzten Bastion der gottfeindlichen Mächte und macht den Weg frei für Gottes Sieg.

Jubel ertönt im Himmel und ein Kämpfer zieht vom Himmel aus, um gegen das Tier und seinen Propheten und gegen deren Verbündete zu kämpfen. Das Tier und sein Prophet werden in den See von brennendem Schwefel geworfen, alle aber, die sich mit ihm verbündet hatten, werden mit dem Schwert getötet und von den Vögeln gefressen.

Doch noch ist der Satan nicht endgültig vernichtet, er ist nur gebannt und es beginnt eine tausendjährige Herrschaft der Heiligen Gottes. Danach kommt es zu einem letzten Kampf, wenn sich noch einmal alle gottfeindlichen Mächte verbünden, um gegen die Heiligen Gottes zu Kämpfen. Doch er ist bald beendet und der Satan wird in den See von brennendem Schwefel geworfen. Dann wird Gericht gehalten über alle Toten. Wer nicht im Buch des Lebens eingetragen ist, wird in den Feuersee geworfen. Was aber die Heiligen Gottes erwartet, das schildern die letzten beiden Kapitel.

Offenbarung des Johannes (2)

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Die Offenbarung ist in Briefform verfasst und beginnt mit einem Sendschreiben an sieben Gemeinden in Asien. Diese Gemeinden stehen symbolisch für die ganze Kirche, worauf die Siebenzahl hinweist. Gott schenkt Frieden. Er ist es, der war und der ist und der kommen wird. Alle Zeit ist sein. Gottes Ewigkeit umspannt unsere Zeit. Er ist immer gegenwärtig.

Christus wird dargestellt als der Retter, der die Menschen aus Liebe mit seinem Blut erlöst hat, er ist das Wort Gottes, er hat uns Gott wahrhaft verkündet und thront als der Auferstandene zur Rechten des Vaters als Herrscher über die ganze Erde. Wir sind berufen, an seinem Amt teilzuhaben als Könige und Priester für Gott. Seine Wiederkunft erwarten wir. Sie wird allen sichtbar sein. Gott selbst spricht. Er ist Alpha und Omega, Anfang und Ende, Herrscher über Zeit und Ewigkeit.

Am Tag des Herrn, also am Sonntag, hat Johannes zunächst eine Audition. Er hört hinter sich eine laute Stimme, gleich einer Posaune. Es ist damit ein langgezogenes, metallenes Blasinstrument mit Mundstück und Schalltrichter gemeint. Als lautestes aller damaligen Instrumente wird es oft im Zusammenhang von apokalyptischen Schilderungen oder Theophanien, wie beispielsweise am Sinai, erwähnt.

Als er sich umwendet, sieht Johannes sieben Leuchter, Symbol für die sieben Adressatengemeinden der Offenbarung, aber auch für die gesamte Kirche. Die Leuchter sind aus Gold, dem damals reinsten und edelsten aller Metalle, ein Zeichen dafür, wie wertvoll die Gemeinde und jeder einzelne für Gott ist. Christus hat ja selbst gesagt: Ihr seid das Licht der Welt. Und Christus ist in seiner Kirche gegenwärtig. Johannes sieht zwischen den Leuchtern eine Gestalt gleich einem Menschensohn. Dieser Begriff stammt aus dem Buch Daniel und wurde schon früh zur Christusprädikation. Der kundige Leser weiß also sofort, dass es sich dabei um niemand anderen als Christus handeln kann, wenngleich sich Christus erst wenige Verse später selbst unmissverständlich durch sein Wort zu erkennen gibt.

Johannes beschreibt diesen Menschensohnähnlichen. Das lange Gewand und der goldene, durch die Achselhöhlen und über die Brust laufende Gürtel deuten auf eine vornehme Person, einen Herrscher oder Priester hin. Christus wird dargestellt als der wahre und endgültige Hohepriester.

Leuchtendweißes Haupt und Haare weisen hin auf alttestamentliche Gottesbilder und symbolisieren die Reinheit Gottes. Augen wie Feuerflammen durchdringen alles, ihnen bleibt nichts verborgen. Die Füße aus Golderz, einer Legierung, die als noch wertvoller galt als Gold, zeigen das Gewicht und die machtvolle Würde der Person. Der Klang der Stimme ist majestätisch, wie das Tosen von Wassermassen, wie die Stimme Gottes im Alten Testament.

Christus hält in seiner rechten Hand, der Herrscherhand, sieben Sterne, Symbol für die Engel der sieben Gemeinden, aber auch wieder für die gesamte Kirche. Die Gerechten sind in Gottes Hand und niemand kann sie seiner Macht entreißen, wie es im Alten Testament heißt. Christus nimmt die Gläubigen unter seinen Schutz, er ist mächtiger als alle anderen Mächte. Jedoch können die Gläubigen aus diesem Schutz herausfallen, wenn sie nicht mehr nach Gottes Willen leben und sein Wort missachten. In dieser Gefahr stehen die sieben Gemeinden. Christus ist zugleich auch Richter. Dies zeigt das Schwert aus seinem Mund, Christus richtet durch sein Wort.

Noch einmal kommt das leuchtende Antlitz Christi in den Blick. Es ist der Glanz der Gottheit, vor dem Mose schon sein Gesicht verbergen musste und den der Mensch nicht ertragen kann, ohne zu sterben. So sinkt auch Johannes nieder, wie tot. Doch die rechte Herrscherhand Christi ist zugleich auch seine Segenshand. Er richtet seinen Diener auf. Fürchte dich nicht. Nun gibt sich Christus durch sein Wort zu erkennen. Er ist der Erste und der Letzte und der Lebendige, alles alttestamentliche Gottesprädikationen, die bewusst auf Christus angewandt werden, um ihn als wahren Gott zu zeigen. Er ist der Auferstandene. Er hat durch seinen Tod und seine Auferstehung das dämonische Paar, Tod und Hades, besiegt und ihnen den Schlüssel zur Unterwelt entrissen. Nun herrscht Gott auch über den Ort, zu dem er nach alttestamentlichen Vorstellungen keinen Zutritt hatte.

Die Sendschreiben an die sieben kleinasiatischen Städte Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea stehen stellvertretend für die Kirche auf der ganzen Erde. Gott kennt die Nöte der Gläubigen, aber er weiß auch, was jeder tun könnte und wo er hinter dem zurück bleibt, was möglich wäre. Lauheit ist abscheulich. Entweder heiß oder kalt. Jeder muss sich entscheiden und wie es so oft in der Offenbarung deutlich wird, die Entscheidung drängt. Wer umkehrt, erlangt Verzeihung, wer sich aber selbst etwas vormacht und sich für perfekt hält, obwohl er es nicht ist, dem droht das Gericht. Gott kann man nichts vormachen.

Hans Urs von Balthasar bezeichnet die Sendschreiben als Beichte der Gemeinden:

Die sieben Schreiben an die Gemeinden bilden zusammen eine Beichte der Kirche, die der Herr der Kirche an ihr vornimmt und die wie jede christliche Beichte zugleich etwas unerbittlich Richtendes und etwas unendlich gnadenhaft Aufrichtendes hat. So ist auch diese vom Himmel her ergehende Bloßlegung des ganzen Zustandes der Kirche keine pauschale, sondern eine – wie es sich in der Beichte gehört – minutiös differenzierte, alle verborgenen Winkel auslotende Schau.

Das vierte und fünfte Kapitel der Offenbarung versetzen den Seher und mit ihm auch den Leser in die Welt des Himmels. Wir sehen Gott auf seinem Thron, umgeben von vierundzwanzig Ältesten. Blitze, Stimmen und Donner gehen vom Thron aus. Die sieben Geister Gottes stehen als lodernde Fackeln vor dem Thron und vier Lebewesen, die uns schon in den Visionen der Propheten Jesaja und Ezechiel begegnen, und zu Symbolen der vier Evangelisten geworden sind: Löwe, Stier, Mensch und Adler. Vor dem Thron Gottes ereignet sich eine ewige Liturgie, die vom Ruf des Dreimal-Heilig geprägt ist.

Offenbarung des Johannes (1)

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An den Sonntagen der Osterzeit hören wir im Lesejahr C verschiedene Stellen aus der Offenbarung des Johannes, ein guter Anlass dafür, dieses Buch und die betreffenden Stellen näher zu betrachten.

Der Titel Apokalypse oder Geheime Offenbarung geht auf das erste Wort des Buches zurück, das auf Griechisch Apokalypsis, zu Deutsch Offenbarung, heißt. Apokalyptische Visionen gab es bereits im Alten Testament und bis heute gibt es eine Flut apokalyptischer Literatur. Meist verbindet man mit dem Wort Apokalypse etwas Zerstörerisches, Visionen vom Weltuntergang. In seiner Grundbedeutung, in der es auch als Überschrift über diesem Buch steht, meint es einfach nur Offenbarung. Das Buch gibt Zeugnis von einer verborgenen Wirklichkeit, gibt Kunde von den Geheimnissen der Schöpfung.

Als Name des Autors wird Johannes angegeben. Ihm zeigt ein Engel die Offenbarung, die Christus von Gott empfangen hat. Es ist einer der sieben Engel, die vor dem Angesicht Gottes stehen. Der Engel ist der Mittler der Visionen an Johannes und ist auch der, der sie deutet. Im Bild, das ich zum ersten Vers der Offenbarung gewählt habe, wird dem Seher Johannes symbolisch das, was er erst in Visionen schauen wird, aus dem Himmel herab in einem Buch übergeben. Dies weist hin auf die Vision in Kapitel 10, in der Johannes vom Himmel ein Buch erhält, das zu essen er aufgefordert wird. Der Prophet verinnerlicht somit ganz das, was ihm offenbart wird.

Über die Person des Johannes gibt es verschiedene Auffassungen. Die griechische Sprache der Apokalypse und die vielen Anklänge an das Alte Testament weisen auf einen judenchristlichen Verfasser hin. Die frühkirchliche Tradition, darunter Justin der Märtyrer und Irenäus von Lyon, hat den Autor der Apokalypse mit dem Apostel und Evangelisten Johannes gleichgesetzt. Johannes soll ja ein sehr hohes Alter erreicht haben und noch unter dem zur Jahrhundertwende regierenden Kaiser Trajan der Gemeinde von Ephesus vorgestanden haben. Schon immer aber gibt es auch Zweifel an dieser Gleichsetzung.

Entstanden ist die Apokalypse der Tradition nach, wie es Vers 9 sagt, auf der Insel Patmos in Kleinasien, wohl um das Jahr 95, unter der Herrschaft des Kaisers Domitian (81-96). Dieser intensivierte den Kaiserkult und ließ sich seit dem Jahr 85 “dominus et deus noster” (unser Herr und Gott) nennen, was unter den Gläubigen heftige Irritationen ausgelöst hat. Die aus christlicher Sicht unumgängliche Ablehnung eines derartigen Kaiserkultes führte zu Ausgrenzung und Verfolgung der Christen.

Jedoch dürfen wir die Offenbarung nicht nur als eine in diese Zeit hinein gesprochene Trostschrift verstehen, sondern sie ist zu allen Zeiten aktuell. Wie Lukas sein Evangelium mit der Apostelgeschichte bis in die Zeit der jungen Kirche erweitert hat, so können wir auch die Offenbarung des Johannes als Gegenwärtigsetzung seines Evangeliums in die Zeit der Kirche betrachten.

Wie schon im Evangelium, geht Johannes auch hier eigene Wege. Nicht chronologisch und historisch wie Lukas geht er vor, sondern mit einer Fülle von Bildern sprengt er die logische Folge von Zeit und Geschichte. Das verwirrt uns aufgeklärte Menschen, die wir alles mit der Logik des Verstandes durchdringen möchten. Doch das Geheimnis Gottes übersteigt menschliche Logik und genau zu diesem Punkt möchte uns Johannes führen, damit wir so Gottes Größe erkennen.

Die Bilder der Apokalypse wollen nicht in eine zeitliche Reihenfolge gepresst und historisch ausgedeutet werden. Sie zeigen das, was immer geschieht, auf verschiedene Weise, und gehen ineinander über und auseinander hervor. Die einzelnen Siebener-Reihen beispielsweise sind nicht in sich abgeschlossen, sondern untrennbar miteinander verwoben.

Der Kampf zwischen dem Reich des Tieres und den Getreuen des Lammes, von dem die Offenbarung berichtet, tobt zu allen Zeiten. Er ist kennzeichnend für den Zustand dieser Welt und wird erst enden, wenn Gottes neue Schöpfung Wirklichkeit geworden ist. Zwar ist Gottes neue Schöpfung schon verborgen in der Welt gegenwärtig, aber erst dann, wenn sie in ihrer Fülle offenbar werden wird, gibt es keinen Raum mehr für die Mächte des Bösen.

In alle Zeiten ergeht daher der mahnende Ruf des Sehers an die Gemeinden, treu in der Liebe zum Herrn zu stehen. Lassen auch Sie sich von seinen Bildern leiten und schmälern Sie nicht deren Kraft durch scheinbar logische und historische Deutungen. Versuchen Sie nicht zu verstehen, sondern tauchen Sie ein in die Vielfalt der Bilder, die in immer anderen Aspekten das deuten, was Sie im Hier und Jetzt erleben. Lassen Sie sich rufen vom Ruf zur Umkehr. Diese ist sicher nicht leicht, aber wird belohnt mit unvorstellbarem Glück.

Hans Urs von Balthasar gibt in „Das Buch des Lammes“ folgende Zusammenfassung des Inhalts der Offenbarung:

Die Offenbarung hat den Sinn der Weltgeschichte und damit der Schöpfung im Ganzen zum Inhalt, so wie dieser aus der Perspektive des einzig zuständigen Lammes aufgeht, ein Sinn aber, der nicht einfach abgelesen werden kann, sondern durch das Sich-Ereignen des Ganzen hindurch sich erschließt: durch das Handeln des Lammes zuerst, da es geschlachtet wurde und nun lebend dasteht, durch das Handeln der Menschen, die den Sinn dieses Handelns selber handelnd entweder für treu und zuverlässig halten oder sich ihm gegenüber ablehnend verhalten. Und da jedem die Freiheit zum Glauben und zum Nichtglauben bleibt, wird dieser Sinn nicht in einer platten Geschichtserzählung dessen, was kommen wird, dargelegt, sondern in Visionsbildern, die das Weltgeschehen, das sich zwischen Himmel und Erde vollzieht, in zugleich offenbarenden und Geheimnis bleibenden Gestalten vorzeigen.

18.4. Hl. Apollonius (+um 186)

ApolloniusNach den schweren Christenverfolgungen unter Kaiser Marc Aurel brachte die Regierung seines Nachfolgers Commodus (180 bis 192) den Christen etwas Ruhe. Unter diesen günstigen Umständen bekehrten sich auch zunehmend vornehme Römer zum Christentum. Dennoch kam es auch weiterhin zu meist lokal begrenzten Christenverfolgungen. Dabei wurde auch Apollonius, der von einem seiner Sklaven wegen seines christlichen Glaubens angezeigt wurde, verhaftet. Gegen ihn kam es zu einem Gerichtsverfahren vor dem Prokonsul Perennis. Über das Leben des Apollonius wissen wir wenig. Er war Alexandriner von Geburt und ein philosophisch gebildeter Römer aus vornehmem Haus. Wegen seiner ausführlichen Verteidigungsrede hat er den Beinamen „der Apologet“ erhalten.

Apollonius wird angeklagt, gegen einen Senatsbeschluss, der das Christentum verbietet und Opfer vor den Göttern und dem Standbild des Kaisers vorschreibt, zu verstoßen. Er macht deutlich, dass der Gott der Christen der Schöpfer von allem ist und ein Christ auch ohne diese Opfer ein gerechter Staatsbürger sein kann:

Ich bin Christ und darum verehre und fürchte ich Gott, der Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht hat. Wer von den gerechten, guten und bewundernswerten Geboten Gottes seinen Sinn abwendet, der ist gesetzlos, sündhaft und in Wahrheit gottlos; wer aber von jeder Ungerechtigkeit, Gesetzlosigkeit, Götzendienerei und von bösen Gedanken sich abwendet, die Herrschaft der Sünden flieht und nicht mehr zu ihnen zurückkehrt, ein solcher ist gerecht.

Der Prokonsul Perennis aber verlangt ein Opfer vor den Göttern und dem Standbild des Kaisers, mit dem Apollonius seine Loyalität gegenüber Kaiser und Reich zum Ausdruck bringen soll. Dies kann Apollonius als Christ nicht leisten. Er erklärt Perennis vielmehr, was ein wahres Opfer ist: 

Ein unblutiges und reines Opfer bringen ich und alle Christen dem allmächtigen Gott dar, dem Herrn über Himmel und Erde und alles, was Leben hat, ein Opfer, das besonders in Gebeten besteht für die geistigen und vernünftigen Ebenbilder, die von der göttlichen Vorsehung zum Herrschen auf Erden eingesetzt sind. Darum beten wir täglich nach Vorschrift rechten Gebotes zu Gott, der im Himmel wohnt, für Commodus, der auf dieser Erde herrscht, indem wir sicher wissen, dass er nicht von einem anderen, sondern einzig nach dem Willen des unbesiegbaren Gottes, der, wie ich vorhin sagte, alle Dinge umfasst, die Herrschaft auf Erden ausübt.

 Nach diesen Worten des Apollonius unterbricht der Prokonsul das Verfahren und setzt es nach drei Tagen unter Anwesenheit einer großen Menge von Senatoren, Ratsherren und Gelehrten fort. Auch vor ihnen bleibt Apollonius fest bei seinem Entschluss, in der Gottesfurcht zu verharren. Er zeigt die Nichtigkeit des Götzendienstes. Was für eine Erniedrigung ist es für den Menschen, sein eigenes Werk als Gott anzubeten. Auch das, was die Natur hervorbringt, ist nicht als göttlich zu verehren. „Dinge, die in den Bauch eingehen und in den Abort ausgeworfen werden“ können nicht göttlich sein, ebenso wenig wie Tiere oder andere Lebewesen. Auch sterbliche Menschen sind keine Götter.

Dass die Christen aber den wahren Gott verehren, zeigt sich darin, dass Verfolgungen ihnen nicht schaden können:

Der Ratschluss Gottes kann von einem menschlichen Ratschluss nicht aufgehoben werden. Denn je mehr man die, welche an ihn glauben, die nichts Übles tun, ohne Recht und Urteil tötet, desto mehr wird ihre Zahl von Gott gemehrt.

Erneut zeigt er, dass Christen ein rechtschaffenes Leben ohne Ausschweifungen führen:

 Die Schüler des Logos entsagen täglich den Lüsten, indem sie diese durch Enthaltsamkeit zügeln und sich vornehmen, nach den göttlichen Vorschriften zu leben. … Es gibt auch nicht ein Stücklein ausschweifenden Vergnügens bei uns Christen, vielmehr entfernen wir jeden schändlichen Anblick, der uns zu verführen sucht, aus unseren Augen, damit unser Herz unverwundet bleibe. Bei solchen Lebensgrundsätzen halten wir das Sterben um des wahrhaftigen Gottes willen nicht für ein Unglück, denn was wir sind, sind wir um Gottes Willen. Darum ertragen wir auch alles, um nicht unglückselig zu sterben. Denn ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn.

Damit zeigt Apollonius die Zuversicht der Christen. Nichts kann ihnen etwas anhaben, weil sie zum Herrn gehören und der Herr ihnen nahe ist, auch in allen Verfolgungen und Nöten. Sie geben ihr Leben für den Herrn, weil es ein höheres Gut gibt als das irdische Leben: das ewige Leben bei Gott. Das veranlasst Perennis zu der Frage: So entschlossen stirbst du gern? Darauf antwortet Apollonius:

Ich lebe gern, Perennis, jedoch so, dass ich den Tod nicht fürchte aus Liebe zum Leben. Denn nichts ist schätzenswerter als das Leben. Ich meine aber das ewige Leben, das die Unsterblichkeit der Seele ist, die das gegenwärtige Leben gut verbracht hat.

Die Rede von der Unsterblichkeit der Seele und dem ewigen Leben ist für Perennis unverständlich. Sein Denken unterscheidet sich grundlegend von dem des Apollonius. Auch was die Rede vom Logos – einem Begriff aus der griechischen Philosophie – angeht, unterscheiden sich christliches und heidnisches Denken grundlegend. So werfen auch einige der anwesenden Gelehrten Apollonius Irrtum vor. Für die Heiden ist „der Logos Gottes der Erzeuger des Leibes und der Seele, der erkennt und lehrt, was Gott angenehm ist.“ Apollonius aber sagt über den Logos, dass er „für ein sehendes Herz wie das Licht für sehende Augen ist. Wenn einer aber zu unempfänglichen Menschen über ihn spricht, so nützt das ihnen nichts, ebenso wie einem Blinden das Licht nichts nützt, wenn es für ihn aufleuchtet.“ Der wahre Logos ist Jesus Christus.

Dass aber Christus für seine Gerechtigkeit den Tod erleiden musste, ist nichts Ungewöhnliches, denn das ist das Schicksal aller Gerechten. Er führt dabei das Beispiel des Sokrates an und ein Zitat eines unbekannten griechischen Schriftstellers, der sagt, dass „der Gerechte gegeißelt, gefoltert, gefesselt, an beiden Augen geblendet und zuletzt, nachdem er alles Üble erlitten hat, gekreuzigt werden wird.“ So ist der Tod des Gerechten nicht ein Zeichen für mangelnde Gerechtigkeit, sondern die Folge von Neid und Missgunst der Mächtigen um ihn.

Der Statthalter Perennis ist beeindruckt von den Worten des Apollonius und hätte ihn wohl gerne frei gelassen, aber das verbieten ihm die geltenden Gesetze, die das Opfer vor dem Standbild des Kaisers verlangen, das Apollonius verweigert. Perennis will aber „Humanität walten lassen in der Ausführung der Todesstrafe.“ Daraufhin stirbt Apollonius den Märtyrertod durch Enthauptung.

 

Psalm 23 – Der Gute Hirte (2)

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Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Der Beter des Psalms weiß, dass im Leben nicht alles glatt geht, dass es auch dunkle Schluchten zu durchwandern gilt. Der Weg führt weg von der Weide ins dunkle Tal. Die hebräische Formulierung lässt keinen Zweifel, woran der Beter denkt: An das Tal der Todesschatten, an den Tod selbst. Auch in dieser ausweglosen Situation hat der Beter keine Angst, weil er sich bei Gott weiß. Diese Nähe Gottes kommt auch sprachlich zum Ausdruck. Die Anrede Gottes wechselt plötzlich vom Er zum Du. Aus dem eher ungleichen und unpersönlichen Verhältnis des Schafes zu seinem Hirten ist ein persönliches Verhältnis der Freundschaft mit Gott geworden.

Der Weg durch die Finsternis schweißt zusammen. Viele Heilige haben Gott erst im Dunkel besonders erfahren, sie mussten einen Zustand der scheinbaren Gottferne durchschreiten, um Gottes Nähe zu entdecken. Auch von menschlichen Freundschaften kennen wir dies, dass eine tiefe Nähe gerade bei Extremsituationen entsteht. Hier zeigt sich auch der wahre Freund, mit dem man durch Dick und Dünn gehen kann.

Selbst in der tiefen dunklen Schlucht fürchtet sich der Beter nicht. Stock und Stab sind Keule und Hirtenstab des orientalischen Hirten. Die Keule ist da, um wilde Tiere zu vertreiben, mit dem krummen Hirtenstab angelt der Hirt das Schaf herbei, das vom Weg abgerät. So kommt die Herde sicher durch die Schlucht und wie wir gleich sehen werden, erwartet sie danach etwas, das noch herrlicher ist als die schönsten Weiden, auf denen sie bisher gelagert haben.

Der Weg durch die finstere Schlucht ist wichtig für unser Leben. Wir können auf der saftigen Weide bleiben und es uns dort gemütlich machen. Dann werden wir aber nie entdecken, was hinter dem nächsten Hügel ist. Mag sein, dass vielen Menschen die eigenen vier Wände genug sind. Was braucht man mehr? Unsere moderne Konsum- und Unterhaltungsgesellschaft gaukelt uns ja vor, dass dies die größte Erfüllung ist. Viele wollen uns zu Menschen machen, die einfach nur Konsumieren, sich berieseln lassen und damit zufrieden sind.

Wer mehr sehen will, wir gefährlich. Wer aufbricht und sich auf den Weg macht, kann Dinge entdecken, die ihn unruhig werden lassen. Wer nicht aufbricht, bleibt das dumme Schaf. Erst wer aufbricht wird zum Freund und Partner Gottes, der mit ihm die Welt gestaltet und Gottes Schöpfung denen entreißt, die sie plündern und zerstören. Nur wer aufbricht kann zur Fülle des Lebens finden, das Gott in die Schöpfung gelegt hat und wer den Grund dieses einmal entdeckt hat, wird alles daran setzen, es zu schützen und zu bewahren vor den Feinden des Lebens.

Mit Gott gelingt uns der Aufbruch. Er ist bei uns. Stehen wir auf. Gehen wir. Wir kennen den Weg nicht. Er führt uns durch unbekannte Landschaften. Es ist ein enger und schwerer Weg. Aber Gott geht mit uns. Er kennt das Ziel. Wenn wir uns von ihm leiten lassen, werden wir selbst unsere Erfüllung finden.

Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.

Nun wechselt die Perspektive des Psalms. Zunächst hat der Beter die Fürsorge Gottes als des guten Hirten erfahren. Dann ist er mit Gott durch die finstere Schlucht gewandert und aus dem eher unpersönlich für ihn sorgenden Gott ist die Erfahrung eines Gottes geworden, der ein Freund und Begleiter ist, ein lebendiges Du, das mit dem Beter den Weg des Lebens geht. Die neu erfahrene Nähe Gottes zeigt sich im Bild der Gastfreundschaft, bei dem der Beter Geborgenheit findet, und zwar für immer.

Als guter Gastgeber beschützt Gott den Beter vor seinen Feinden und bereitet ihm ein reiches Mahl. Wie es Brauch ist, salbt er den Gast mit Öl, was zum einen ein Reinigungsritual ist, zum anderen aber auch die Würde des Gastes betont. Könige und Propheten werden gesalbt. Gott gibt dem Menschen Anteil an seiner Würde. Indem der Mensch sich von Gott leiten – regieren, oder auch dirigieren – lässt (im Anklang an Vers 1), wird er selbst zu einem, der andere leiten kann. Nun gibt es nicht mehr nur frisches Grün und sprudelndes Wasser, sondern köstliches Speisen und kostbaren Wein.

Zugleich bringt dieser Vers aber ein Bild, das uns leicht irritiert. Es ist von den Feinden die Rede, vor deren Augen das alles geschieht. Warum reicht es nicht, dass Gott den Beter so beschenkt? Warum muss hier noch besonders zur Sprache kommen, dass er es vor den Augen der Feinde tut? Wir haben im letzten Abschnitt bereits gesehen, dass derjenige, der sich mit Gott auf den Weg macht, anecken wird, weil es viele gibt, die ihn nicht verstehen, oder mehr noch, die ihn von diesem Weg abhalten möchten.

Für den Beter des Psalms sind die Feinde eine nicht wegzudenkende Realität. Israel war schon immer von Feinden umgeben, die es bedroht haben. Aber Gott beschützt sein Volk, er schützt jeden Menschen, der ihm vertraut. Die Feinde können ihm nichts anhaben, ja mehr noch, Gott wird ihn vor ihren Augen erhöhen. Was kann dies besser schildern als das Bild von einem Menschen, der in Ruhe am gedeckten Tisch sitzt und es sich schmecken lässt, während rings herum die Feinde toben, aber nicht an ihn heran kommen. Er sitzt wie hinter einer unzerstörbaren Glasscheibe, die ihn von den Feinden trennt.

Als Glaubende haben wir schon hier in dieser Zeit Anteil an Gottes ewigem Reich. Wir sind Kinder Gottes und gehören damit seinsmäßig zu einer anderen Wirklichkeit. Die Kinder dieser Welt können den Kindern Gottes zwar äußerlich Schaden zufügen, sie aber nicht wirklich besiegen. Das zeigen und die Märtyrer. Zwar mussten sie große Schmerzen leiden und wurden grausam hingerichtet, aber man konnte ihnen ihr Vertrauen auf Gott nicht nehmen. Ihre Peiniger konnten ihr Leben nicht auslöschen, denn nicht das irdische Leben ist ihr höchstes Gut, sondern das ewige Leben, und in dieses sind sie sicher hinübergegangen. Sie saßen, um im Bild des Psalms zu bleiben, bereits voller Freude beim himmlischen Gastmahl, während die Feinde an ihnen die grausame Marter vollzogen. So wird das Bild der Salbung auch zum Zeichen des Sieges, den Gott dem Beter schenkt.

Die Salbung mit Öl ist eine rituelle Handlung. Der Gesalbte ist Priester und König. Priestertum und Königtum im Sinne der Schrift sind nicht zunächst Funktionen, sondern Seinsweisen. Der Gesalbte gehört der göttlichen Sphäre an, nimmt teil an den Gesetzen der göttlichen Welt und an ihrer Grundverfassung: der Freude. Königlich ist die Tafel, an der er Platz nimmt, königlich der Becher.

(Robert Spaemann)

Die Christen haben dann auch schon sehr früh diesen Vers des Psalms auf die Eucharistie gedeutet. Hier haben die Menschen schon in dieser Welt Anteil am himmlischen Hochzeitsmahl.

Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.

Der letzte Vers des Psalms nimmt Bezug auf den Anfang und überbietet ihn zugleich. Der Beter ist nicht mehr das vom Hirten umsorgte Schaf, dem es auf seiner Weide gut geht, das aber vielleicht doch einmal geschlachtet wird. Er ist auch mehr als der im vorhergehenden Vers gezeigte Gast, der die Fürsorge des Gastgebers genießt. Der Beter ist vielmehr zum Freund Gottes geworden. Er sitzt mit Gott zu Tisch und zwar nicht nur für drei Tage, wie es der Pflicht des Gastgebers entspricht, sondern viele Tage lang, was so viel bedeutet wie unbegrenzt.

Es sind jetzt auch nicht nur die einen oder anderen Dinge, und mögen sie noch so schön und nützlich sein, die er bekommt. Wir sehen hier nochmals eine Seigerung. Sind zuvor aus frischem Grün und fließendem Wasser ein köstliches Mahl und erlesener Wein geworden, so sind es nun Gottes Güte und Huld, die dem Beter geschenkt werden. Nahrung brauchen wir zum Überleben, aber Gottes Güte und Huld schenken uns Leben, wahres, unvergängliches Leben, Leben in Fülle.

So will uns der Beter zeigen, was das Entscheidende im Leben ist. Die begehrenswertesten materiellen Güter verblassen angesichts dessen, was Gott uns schenken kann. Sie übertreffen das Vorausgehende nicht allein in ihrer Unvergänglichkeit. Es ist alles, was ein Mensch sich erhoffen kann. Gott schenkt sich ihm selbst aus der Fülle seines Herzens. Bei Gott darf ich wohnen, mit ihm sein und seine Zuneigung genießen – unvergänglich in Ewigkeit.

Psalm 23 – Der Gute Hirte (1)

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Der Herr ist mein Hirte.

Das Bild vom Hirten und den Schafen ist die zentrale Perspektive im ersten Teil des Psalms 23. Es ist ein Bild, das viele fasziniert und diesen Psalm zu einem der beliebtesten und bekanntesten Psalmen gemacht hat. Es fällt nicht schwer, ihn auswendig zu lernen und man meditiert ihn gerne. Das Bild vom Hirten, der seine Schafe auf die schönste Weide führt, das der Psalm dann weiter expliziert, ist angenehm zu betrachten.

Wenn der Psalm aber vor unseren Augen das Bild von Schafen und Hirt lebendig werden lässt, so tut er das nicht, um den Menschen als ein Tier ohne freien Willen darzustellen. Der freie Wille ist es ja, der den Menschen vom Tier unterscheidet. Der freie Wille allein ist aber keine Garantie, den richtigen Weg zu finden. Der Mensch braucht einen Führer, der ihn seine Würde erkennen lässt und ihm den Weg zeigt, gemäß dieser Würde zu leben.

Die freie Selbstbestimmung ist ein Mittel, sie ist nicht selbst das Ziel. Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten. Um dies zu können, müssen wir ihrer ansichtig werden. Sie muss uns gezeigt werden. Der Hirt – das ist der, der den Weg zeigt. Aber es ist auch der, der es erst möglich macht, diesen Weg zu gehen.

(Robert Spaemann)

Hirte sein, das war im Orient auch das Bild für einen guten Herrscher. In der alten lateinischen Fassung beginnt der Psalm 23 mit den Worten: Dominus regit me. Regere bedeutet führen, leiten, aber auch herrschen und ist verwandt mit rex – König. Der Regent soll einer sein, der die Menschen führt. Doch es gab in der Geschichte auch grausige Führer, die ganze Nationen in die Irre geführt haben.

Jesus Christus bezeichnet sich im Johannesevangelium (Joh 10) selbst guten Hirten und stellt sich damit in die Tradition der Gottesbilder des Alten Testaments, die Gott als Hirten seines Volkes sehen. Besonders deutlich wird dies bei den Propheten Ezechiel (Ez 34-37) und Sacharia (Sach 13) und eben im Psalm 23. Das Bild von Jesus als guten Hirten erfreut sich seit frühesten Zeiten größter Beliebtheit und ist vielleicht eine der ältesten Darstellungen, die sich Christen von Jesus gemacht haben. In den Katakomben von Rom finden wir über 140 Mal dieses Bild. Der vierte Sonntag der Osterzeit wird traditionell als “Sonntag vom Guten Hirten” gefeiert. Auf meiner Seite zu diesem Sonntag finden Sie mehr Gedanken zu diesem Thema.

Mir wird nichts fehlen.

Das Leben des Menschen ist geprägt von seiner Bedürftigkeit. Das Schaf ist zufrieden mit einer grünen Wiese und wir werden im nächsten Vers sehen, dass der gute Hirte die Schafe zur saftigsten aller Weiden führen wird. Als Menschen aber müssen wir für unseren Lebensunterhalt sorgen, müssen normalerweise irgendeiner Tätigkeit nachgehen. So kann Gottes Sorge um uns nicht bedeuten, dass wir es uns einfach gemütlich machen können und nichts tun brauchen.

Der Weg, den Gott führt, mündet in die Fülle. Wir sind nicht in der Fülle. Sorge, Fehlen, Mangel, Bedürftigkeit ist unsere Grundverfassung. Nichts von dem, was unser Wesen braucht, ist mit unserem Dasein schon mitgegeben. … Wir bleiben endliche und also bedürftige Wesen in alle Ewigkeit. Aber der Weg Gottes führt immer tiefer hinein in die Erfüllung. Mir wird nichts fehlen. Die fundamentale Bedürftigkeit hängt zusammen mit unserer Zeitlichkeit.

(Robert Spaemann)

Doch auch wenn wir in unserem Leben uns um die täglichen Bedürfnisse mühen müssen und unsere tiefste Sehnsucht noch unerfüllt bleibt, können wir schon jetzt Gottes Sorge erfahren. Wer im Vertrauen auf Gott lebt – und das bedeutet ja Glaube – der weiß darum, dass keine existentielle Not – und mag sie noch so groß sein – ihm letztlich schaden kann. Gott führt immer einen Weg aus der Finsternis zum Licht, aus der Trockenheit ans Wasser, aus der Wüste in fruchtbares Land.

Gott führt uns, das bedeutet, dass wir uns führen lassen, dass wir bereit sind, selbst dorthin zu gehen, wohin er uns weist. Gott wird uns aber auch nie zurück lassen, wenn wir schwach sind und nicht weiter können. Wenn es nötig ist, wird Gott uns tragen, wie ein verwundetes und schwaches Schaf. Gerade dieses Bild ist es ja, das die Menschen so fasziniert.

Ich kann das nicht machen. Ich kann nur immer wieder das loslassen, was mich von Gott fern hält, und lernen, mich in Gottes Arme fallen zu lassen. Vertrauen lernen auf Gott, indem ich die Bilder dieses Psalms meditiere.

 

Im Psalm 23 wird die Integrität, die ungeschmälerte Fülle heilen Lebens erfahren, die Gott aus freien Stücken, „um seines Namens willen“ (V.3) schenkt. Wenn ich die objektiv beschreibende, form- und wortanalytische „Behandlung“ des Textes als Sache hinter mir, diesen Psalm vor mich hinsage, ihn in mich hinein „murmle“, mich von den Worten in ihr Sagen ziehen lasse, fühle ich das tiefe Vertrauen, die Vertrautheit, ja Wärme in der Beziehung eines Menschen des Alten Bundes zu Gott.“

(Fridolin Stier)

 

 

 

Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.

Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.

 

Sich von Gott führen lassen, das bedeutet auch zu lernen, das Schöne im Leben zu sehen und jeden Tag als Geschenk zu betrachten. Wie wir die Welt sehen, hängt auch von den Augen ab, mit denen wir auf sie blicken.

 

Für den Glaubenden geht jeder Augenblick der Welt und des eigenen Lebens als ein ihm zugedachtes Ereignis neu aus der Hand Gottes hervor. Er findet darin eine immer neue Möglichkeit, den Willen des Vaters zu tun und darin sein Wesen zu verwirklichen. So findet er von Augenblick zu Augenblick die Speise, von der Christus spricht, frisches Grün und frisches Wasser.

(Robert Spaemann)

 

Wenn auch unsere Sehnsucht hier nie ganz zu ihrer Erfüllung gelangt – was wäre das für ein Leben, wenn man alles erreicht hätte – so wissen wir doch, dass einst all unsere tiefsten Wünsche erfüllt werden, wenn wir Gott sehen dürfen – ein Anblick, an dem wir uns in alle Ewigkeit nicht satt sehen können. Und doch will Gott uns auch schon jetzt die Geheimnisse seiner Schönheit offenbaren. Die Welt als seine Schöpfung gibt Zeugnis davon, wenn wir lernen, sie recht zu betrachten.

 

Wir dürfen wissen, dass Gott weiß, was wir bedürfen, ehe wir darum bitten. Das gibt unserem Gebet größte Zuversicht und fröhliche Gewissheit.

(Dietrich Bonhoeffer)

 

Um seines Namens Willen, weil wir seine Kinder sind und Gott keine anderen Absichten hat, als uns das Heil zu schenken, wir er für uns sorgen, jeden Tag neu.